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Ein neuer Roman von Erich Wolfgang Skwara: Autobiographisches in formvollendeter Sprache.

Der aus Österreich stammende, in Kalifornien wirkende Literaturprofessor Stein (ein einziges Mal wird auch sein Vorname genannt: Thomas) hat einen Freund aus Pariser Studententagen, mit dem ihn nicht sehr viel, intensiv aber der Hunger nach Leben, Erleben, verbindet. Zu seinem eigenen Fünfziger lädt er Stéphane zu einem Besuch an die US-Westküste ein. Scheinbar ziellos fahren die beiden im blauen Stadtflitzer Steins (Autos sind für den Unersättlichen, wie Häuser, wie jeder Raum, eine Erweiterung des eigenen, immer als ungenügend empfundenen Körpers) durch Stadt und Land.

Daraus wird erzählerisch eine Daseinsbilanz, die an Schlüsselorte von Steins Leben zurückführt: Paris, Italien, eine Sternwarte, einen Friedhof, ein Schloss, ein Casino und natürlich zu den Frauen und Männern, die seiner Besitzgier erlegen sind: Robert, Christine, Sophie, Giovanni, Annalisa, Sibylle und wie sie alle hießen. Giovanni und Sophie sind die Schlüsselfiguren: der schöne italienische Knabe, im Vergleich zu dem alle folgenden Frauen nur noch Lust, aber keine Liebe mehr weckten, und die zerbrechliche Französin, die sich das Leben nehmen wollte, um seine Eifersucht für immer zu zerstreuen.

In so gut wie allen von Skwaras Romanen steckt Autobiographisches, in diesem besonders viel. Im "Versuch einer Heimkehr" (Suhrkamp, 1998) ging der gebürtige Salzburger mit sich und seiner Heimatstadt mitleidlos um.

Auch diesmal werden die Fakten nicht beschönigt, aber die Eigendeutung des Charakters fällt nachsichtiger aus. Der Klappentext ist unglaubwürdig, wo er uns weiszumachen versucht, die Fahrt der zwei schrägen Vögel Stein und Stéphane ginge in Richtung Hölle weiter.

Ist der Autor einsichtiger geworden? Der Romanheld klagt sich der Erniedrigung seiner Frau und der Vernachlässigung seiner beiden Töchter geradezu rührend an, obwohl er sich durch Ehe und Familie hatte Verantwortung verordnen wollen. Gibt er selbst endlich zu, in Lebenslust und Erlebensgier nicht nur die Sinne, sondern auch den Sinn zu suchen? Geht es ihm in der Tat nicht um Erweise seiner Männlichkeit, sondern um Erforschung der "Fülle des Unerhörten und Wunderbaren"?

Zwar lehren ihn die Skelette aus karolingischer Zeit, die auf einer Baustelle auf der Pariser Place Baudoyer zu Tage gefördert werden, letztlich nur das Horaz'sche "Carpe diem!" Aber heißt, den Tag zu nutzen, die Jagd nach Lustbefriedigung ohne Pause und Schonung zu betreiben? Was soll dann Steins Geständnis, letztlich sei keine Frau in seinem Leben unentbehrlich gewesen, "sondern allein die Büchernähe, die ihm den Mut zusprach: so lebe doch!"?

Lässt das eher beiläufige Geständnis, alle seine Reisen hätten nur im Kopf stattgefunden, an der Realität auch mancher seiner Liebesabenteuer zweifeln?

Oder war etwa ein Schlüsselsatz für das Verständnis seines Lebens schon in seinem ersten Roman, der "Pest von Siena", zu lesen gewesen? "Seine frühe Maßlosigkeit," hieß es dort, "war eine etwas schwierig verständliche Form der Keuschheit gewesen." Don Juan, der der Pest in Siena entronnen war, sehnte sich erst nach diesem existenziellen Erlebnis nach der ersten Liebe.

Skwaras Romanhelden sind keine selbstlosen Helfer anderer, keine Retter und Weltverbesserer - eher, wie Stein und Stéphane, "Komplizen darin, die Welt für dumm zu verkaufen", Genießer beide, aber in gewisser Weise auch "Deserteure des Lebens". Und doch gibt sich Stein immer wieder auch als Sucher nach Heimat und Zuhause zu erkennen. Österreich oder Salzburg gar können diese Heimat ebenso wenig wie Religion und Kirche sein, da schlägt die alte Hassliebe durch: "Stein war ein Österreicher wie alle, nur schlimmer, weil er sich in seinem Auslandsleben für besser hielt". Aber als Mitglied der "Kirche der Wartenden" glaubt er, obgleich "der oberflächlichste Erdbewohner, an die Gnade."

Göttliche Gnade, also unverdientes Geschenk, für die Angehörigen der Kirche der Wartenden: ein Bild, das so schnell nicht mehr loslässt. Der Roman "Zerbrechlichkeit oder Die Toten der Place Baudoyer" will Satz für Satz, sehr genau, gelesen werden. Man kann ihn nicht nur "überfliegen". Aber er lohnt alle Sorgfalt. Er lohnt sie durch die Vermittlung tiefer Einsichten in das weite Land der menschlichen Seele (die Schilderung der Suche nach dem alten Giovanni im Hotel Universo ist ein psychologisches Kabinettsstück) und er lohnt sie vor allem auch durch die gewaltige Kraft der Sprache, die Skwara immer mit Leidenschaft zu bändigen versuchte und diesmal in noch einmal verfeinerter Meisterschaft anbietet.

"Ich brauchte nicht erst auf die Uhr zu schauern, ich war die Uhr: nichts als Zeit erfüllte mich." Ein andermal: "Stille war nötig. Nebeneinanderliegen ohne Wildes." Oder: "Wie es Habenichtse gibt, muss es Seinsnichtse geben. Ich will kein Seinsnichts sein." In jedem Wein sieht er einen Botschafter seiner Herkunft: "Wein war für mich die Erde, die mancher Vertriebene in einem Säckchen mit sich in die Fremde nahm. Ich glaubte an keine Erde. Ich glaubte an den Wein. Einer wie ich trank keinen Alkohol, einer wie ich trank die Toscana, Umbrien, das Donautal, die Hügel von Burgund." Erlahmte die künstlerische Kraft, war der Gang der Welt dran schuld: "Schreiben war Sehnsucht, und es gab in der Welt keine Sehnsucht mehr." Aber immer ist da ein neuer Anfang: "Ich schlug die Augen auf und erhielt von der Sonne einen Stoß."

Skwaras poetische Kraft schöpft aus einer Sprachkunst, die man bei einem, der seit Jahrzehnten vornehmlich in den USA oder in Frankreich lebt, nicht vermuten würde. Er kreist um ein Lebensgefühl, das man hedonistisch, egoistisch, manchmal sogar asozial nennen könnte, wäre da nicht der immer wieder hörbar werdende Ruf nach Dazugehören-Wollen, der Stein beim Erklingen der amerikanischen Hymne sogar eine Tränenflut entlockt, obwohl "Tränen zu den Lebenswerten gehörten, die mir durch die Jahre abhanden gekommen sind, ebenso wie die Freude am Theater oder an den Menschen."

Wer mit Erich Wolfgang Skwara eine literarische Wanderschaft antritt, wandert, auch wenn er sich das nicht sogleich eingestehen mag, durch die Abgründe des eigenen Herzens.

Er wird mit viel Nachdenklichem, aber keinen billigen Lösungen versorgt. Die Kirche der Wartenden hat als Gnade den Trost bereit, dem der Autor aus Anlass des Absturzes des Wundervogels Concorde im Schlusssatz seines Romans die Worte lieh: "Menschen und Dinge haben ein Recht auf ihr Zerbrechen! Und jeder Bankrott wird zum Sieg, wenn wir ihn nur mit eigener Stimme eingestehen."

ZERBRECHLICHKEIT oder DIE TOTEN DER PLACE BAUDOYER

Von Erich Wolfgang Skwara

Insel-Verlag, Frankfurt/M. 2002

298 Seiten, Ln., e 20,50

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