Sich einmal richtig stark fühlen

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Wenn das vernünftige Großhirndenken aussetzt und das archaische Stammhirndenken Menschen dazu motiviert, nur mehr in Kategorien von Kampf, Flucht oder Totstellen zu "denken" - soferne man diese Einweghandlungsimpulse samt monotonen Egobefehlen noch als Denken bezeichnen will - dann hängt es nur mehr von der Griffbereitschaft einer Waffe ab, ob sie eingesetzt wird, oder nicht.

Deshalb sollen Vorschriften, auf welche Weise Waffen und wie - gesondert - Munition aufzubewahren sind, möglichst viele zeitliche Hürden bauen, damit der potentielle Mörder in uns allen eine reelle Chance hat, wieder "zur Vernunft zu kommen". Daß diese Vorschriften selten eingehalten werden, beweisen die schrecklichen Unfälle von Kleinkindern, die Papas oder Opas Knarre unter dem Bett oder hinter dem Fernsehapparat finden.

Waffen sind "Verlängerungen" des Selbst. Man(n) - selten frau - macht sich damit "durchschlags"-kräftiger, egal, ob man behauptet, sie nur als Instrument für Abschreckungen, Warnungen oder zur Selbstverteidigung einsetzen zu wollen. Man überbrückt mit ihnen räumliche oder auch zeitliche Distanzen (zum Beispiel mit Sprengkörpern) und verschafft sich symbolisch wie real "mehr Gewicht". Und scheinbar auch mehr Sicherheit.

Waffen dienten ursprünglich zur Abwehr und zum Schutz vor wilden Tieren, wie Barbara Ehrenreich in "Blutrituale" nachweist; die Jagd als vorerst kollektiver, später auch individueller Einsatz von Waffen sei erst viel später entstanden. Das bewiesen beispielsweise Grabfunde. Allerdings werde dies nicht so gerne zur Kenntnis genommen - denn selbst Forscher wehrten das Bewußtsein ab, daß Menschen (und damit auch sie selbst) leichte Beute für Raubtiere wären und gar nicht die unverwundbaren Helden, für die wir uns alle gerne halten.

Später erfüllten Waffen noch eine weitere Funktion der Selbstvergrößerung: das Recht, Waffen zu tragen, eignete sich hervorragend zur Unterscheidung von Sozialklassen und damit von Über- und Unterordnungen. Dem freien Mann das Schwert, dem Knecht die Mistgabel. Frauen höchstens das Brotmesser. Wen wundert es da noch, das Waffen hohen Symbolwert besitzen!

Weit mehr als ein Gebrauchsgegenstand wurden - und werden - Waffen geschmückt, gepflegt, gehortet, als Kostbarkeit vererbt, gelegentlich "ausgeführt" und so mit Libido (Triebenergie) "aufgeladen". Insoferne haben Waffen für manche Waffenliebhaber wirklich bräutlichen Charakter - nicht nur für Soldaten, denen dies noch immer suggeriert wird. Leider. Denn so bekommt nicht nur die Waffe Talismancharakter, sondern führt dazu, daß reale Menschen, die man eigentlich lieben sollte, abgewertet und instrumentalisiert werden.

Der Gedankenfehler, der bei der aktuellen "Waffen weg!"-Debatte gemacht wird, ist, daß Schußwaffen fokussiert werden und vergessen wird, daß man so ziemlich alles als Waffe einsetzen kann: das Besteck, den Glasaschenbecher, den Fön, das Auto, den Hund, den Stöckelschuh.

Bräutlicher Charakter Ja, aber mit Schußwaffen kann man ungesehen aus dem Hinterhalt Unschuldige niederballern, lautet meist das eilige Gegenargument. Mit Ausnahme der von langer Hand perfid geplanten Schulmassaker oder von Hochhausamokschützen in den USA haben aber fast alle Schußwaffenattentäter aus kurzer Distanz abgedrückt. Und ich behaupte: ihr "Durchdrehen" war voraussehbar und verhinderbar.

"Das Tun des einen ist das Tun des anderen" lautet der Titel eines Buches des führenden Systemtherapeuten Helm Stierlin. Auf Gewalttaten bezogen, zeigt dies: selten liegt zwischen dem gewaltauslösenden Geschehen und der daraus entwachsenen Gewalttat eine so lange Zeitstrecke, daß der Zusammenhang nicht erkennbar ist.

Jede Gewalttat hat eine Geschichte - die Geschichte eines in seinem Selbstwert verletzten Menschen, der im verzweifelten Versuch, seine Selbstachtung wiederherzustellen, zum Fetisch Waffe als Symbol seiner Verletzungsmacht greift anstatt sich in seiner lebendigen, nämlich auch verletzlichen Ganzheit zu zeigen.

Droht demjenigen, der die Waffe braucht, um sich "stark" und damit abgesichert zu fühlen, der Verlust dieser Egokrücke, wird vielfach genau wieder der Gewaltmechanismus ausgelöst, der durch Waffenentzug verhindert werden soll. Es wechselt nur das Instrument - das Syndrom bleibt gleich.

Die beste Gewaltprävention besteht im respektvollen Ernstnehmen von Menschen, die in Kampfkategorien denken und, aus welchen Gründen auch immer, nicht die Selbstsicherheit besitzen, Unterlegenheit ertragen zu können. Voraussetzung dazu ist die Selbsterkenntnis, das wir, die Gesellschaft, es sind, die noch immer das Denken in Kampf- und Gewaltkategorien fördern.

Die Autorin ist promovierte Juristin, Diplomerwachsenenbilderin und Psychotherapeutin.

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