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Der modische .mündige Bürger4
Das sind A uszüge aus einer Rede, die der schweizerische Kantonsrat Paul Stadlin vor dem Parteitag der Freisinnigen Partei des Kantons Zug gehalten hat. Man bedenke einmal, ob in der meist demagogisch auf geheizten A tmosphäre des Parteitags irgend einer österreichischen Partei ein solches Referat gehalten werden könnte . . .
Das sind A uszüge aus einer Rede, die der schweizerische Kantonsrat Paul Stadlin vor dem Parteitag der Freisinnigen Partei des Kantons Zug gehalten hat. Man bedenke einmal, ob in der meist demagogisch auf geheizten A tmosphäre des Parteitags irgend einer österreichischen Partei ein solches Referat gehalten werden könnte . . .
In der Politik sollte in erster Linie gedacht werden, und so man das getan hat, kann man versuchen, etwas auszusprechen, nicht umgekehrt. Dabei bitte ich zu beachten, daß denken nicht nur heißt, neue Gedanken zu entwicklen. Es heißt vor allem, die Gedanken und Überlegungen anderer in selbständiger Manier zu werten, abzulehnen oder fortzuführen!
Wenn der Akzent auf dem Denken liegt, dann darf die Lautstärke nicht übertrieben sein. Das Aufreißen des Maules mag beim Zahnarzt nötig erscheinen und wird von ihm geschätzt, im öffentlichen Leben jedoch viel weniger . . .
Ferner ist anzumerken, daß sich politischer Verstand und Sachverstand nicht unbedingt zu decken brauchen, wenigstens nicht auf kurze Sicht. Etwas kann in einem bestimmten Moment sachlich falsch und politisch dennoch richtig sein. Indessen muß die Deckung irgendwann wieder hergestellt werden, und zwar möglichst bald.
Man sieht das besonders in der Wirtschaftspolitik, wo der Aufschub fälliger Maßnahmen wie ein süßes Gift wirkt, das zur Folge hat, daß Rückschläge später dann um so härter ausfallen . ..
Ein Charakteristikum der Politik ist, daß sie fast stets nur auf die nahe Zukunft, gewöhnlich bis zu den nächsten Wahlen, angelegt wird, obwohl dahinter natürlich eine Langzeitstrategie stecken kann. Die Weitsicht schreibt man hierbei dem Staatsmann zu, die Kurzsicht dem Politiker. Für diesen liegt die Schwierigkeit darin, daß er nicht gern kratzt, bevor es ihn beißt. Er sollte sich aber doch gelegentlich vorstellen, wo es ihn beißen könnte ...
Bismarck hat die Politik als Kunst bezeichnet, nämlich die „Kunst des Möglichen“, und ich habe bis jetzt keine bessere Umschreibung gefunden. Damit ist gesagt, daß es im politischen Kalkül nicht nur rationale, logische Überlegungen gibt, die der Computer bald mit viel größerer Zuverlässigkeit liefern dürfte, sondern daß auch viel Emotion, Psychologie und Irrationalität hineinspielen.
Deshalb gehören zum Vollblutpolitiker ebensosehr Phantasie, Gespür und Intuition. Der homo politicus muß sich in sehr verschiedene Situationen einzufühlen verstehen, um sie zu integrieren bzw. für seine Zwecke nutzen.
Deshalb versuchen die Politiker nicht nur, Wind zu erzeugen, was nur vorübergehend gelingt, sondern Strömungen aufzufangen und in ihre Kanäle zu leiten. Und wer das am besten kann, ohne sich selbst aufzugeben und nur mitzuschwimmen, dem winkt die Palme des Erfolges . . .
Es reizt mich, auch einen Blick auf die politische Sprachregelung.zu werfen. Sie hat ihre eigenen Gesetze und ist oft sehr skurril. Am extremsten manifestiert sie sich, wenn der Sinn eines Ausdrucks völlig auf den Kopf gestellt und in sein Gegenteil verdreht wird..
Dafür müssen beispielsweise die Begriffe „Freiheit“ und Demokratie“ in bestimmten Ideologien ausgiebig herhalten. Der Erfolgszwang, dem die Parteien in einem pluralistischen System ausgesetzt sind, kommt aber ebenfalls nicht ohne verbale Imagepflege aus. Vor allem will keiner ein Verlierer sein.
Bei einer Wahl etwa: Eine Partei rechnet sich zu den Gewinnern, allein schon, weil sie kein Mandat verloren hat. Hat sie aber solche verloren, dann ist sie trotzdem glücklich, weil der Hauptgegner noch mehr Haare lassen mußte.
Die andere Gruppe hat zwar kein Programm, aber populäre Kandidaten, die das Rennen machen. Sie werden gefeiert, wenn sie sich auf leere Stühle sitzen, mit denen sie nichts anzufangen wissen. Und sogar der unterlegene Aspirant hat gewonnen, nämlich seine Unabhängigkeit und die Verfügung über seine Zeit...
Ein vielbenützter und vieldeutiger Begriff ist in der Politik derjenige der Solidarität. Man beruft sich mit Vorliebe darauf, wenn man etwas verlangt, für das andere bezahlen sollen. Machen es aber andere so, indem sie für sich fordern, was wir bezahlen sollen, dann ist das Unverschämtheit, Verletzung der Menschenrechte und Einschränkung der persönlichen Freiheit.
In diesen Dingen kommt es natürlich auf das Maß an. Niemand braucht Solidarität zu üben, bis er gänzlich enteignet ist, auch wenn die Expropriation der Expropriateure meist nicht lange auf sich warten läßt; denn solche Prozesse haben einen unheimlichen Steigerungseffekt in sich.
Ein politisches Modewort von heute ist dasjenige des „mündigen Bürgers“. Daran knüpft man die Vorstellung von Rechten, Information, Konsultation, Mitsprache, und materiellen Verbesserungen.
Mündigkeit, das wird leicht vergessen, hat aber sehr viel mit Pflichten, Verzichten, vernünftiger Haltung zu tun, während es für den unter elterlichen Gewalt Stehenden oder Bevormundeten bezeichnend ist, daß er wohl eine Menge Rechte hat, aber die Verpflichtungen daraus nicht wahrzunehmen vermag!
An dieser einseitigen Präsentation der Rechte sind wir alle nicht unschuldig. Behörden und Parlamentarier überbieten sich doch oft, besonders in Wahlperioden, Geschenke zu verteilen, Versprechungen zu machen, Vorstöße zu lancieren, deren Verwirklichung äußerst kostspielig wäre.
Über die Lasten wird weniger diskutiert, meist nur gejammert im Zusammenhang mit den leeren Kassen und der Staatsverschuldung. Was Wunder, wenn der Bürger-der junge und der alte - sich mehr und mehr daran gewöhnt. Rechte und Leistungen zu fordern und die Verpflichtungen zu verdrängen.
Es scheint mir dies eine moderne Art von Schizophrenie, der nur entgegengewirkt werden kann, wenn Geben und Nehmen sich wieder in einem überschaubaren Personenkreis abwik- keln, und besonders, wenn das eigene Portemonnaie auch irgendwie betroffen wird.
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