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Auf vielen Wegen

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Viele Wege führen nach Rom ... Aber die Künstler sind sich nicht einig, welcher Ort ihnen heute „Rom“ zu sein hat. Nicht nur die Wege sind verschieden, auch die Ziele. Es ist das Verdienst des Direktors der Bibliothek der Akademie der bildenden Künste in Wien, dies in einer kleinen Ausstellung im Kupferstichkabinett der Bibliothek wieder einmal deutlich zu machen. Aus den Sammlungen der Akademiebibliothek hat er, unterstützt durch einige Dauerleihgaben des Bundesministeriums für Unterricht, die Ausstellung ,,A u f vielen Wegen. Versuche künstlerischer Gestaltung“ zusammengestellt, die Handzeichnungen, Aquarelle und Druckgraphik lebender österreichischer Künstler umfaßt. So möchte er die Aufgabe der Leiter von Kunstsammlungen demonstrieren, nicht bloß zu bewahren und festzuhalten, sondern auch das Neue zu sichten, und dieses nicht in Kästen zu verschließen, sondern allgemein zugänglich zu machen. Da von jedem Künstler nur ein einziges Blatt gezeigt werden kann, ist die Ausstellung nicht viel mehr als eine Bestandaufnahme und notwendigerweise lückenhaft. “Auf jeden Fall aber gibt sie uns eine erste Uebersicht und wird so zur brauchbaren Landkarte, die eine Orientierung durch die österreichische Graphik der Gegenwart ermöglicht.

Die Vertreter der älteren Generation bleiben mit ihren Aquarellen im Impressionismus; Staudacher, Moldovan, Absolon kommen vom Expressionismus her, Lehmden, Hutter, Fuchs vom Surrealismus, während Mild und der Plastiker Pillhofer vom Kubismus ausgegangen sind. Maria Laßnig, die durch eine sehr schöne „Automatische Phantastik“ vertreten ist, und Arnulf Rainer versuchen neue Wege der abstrakten Kunst, nachdem Kubismus und wohl auch Surrealismus heute als überwunden zu gelten haben. Claus Pack (Männerkopf), Gustav K. Beck (Schiffe), Gerhard Swoboda (Brücke im Sturm), Hans Staudacher (Rinderherde), Otto Beckmann (Dämonen), Werner Scholz (Hirschkäfer), Kurt Absolon (Herbstlandschaft) und Carl Unger (Freudenau, Galopprennplatz) sind durch in Stil und Technik besonders bezeichnende Blätter vertreten und stellen die Glanzstücke der Ausstellung.

Einen eigenen Weg sucht auch der junge Jakob Laub, Absolvent der Akademie der bildenden Künste, der mit seiner Ausstellung in der Galerie St. Stephan in der Grünangergasse zum ersten Male vor die Oeffentlichkeit tritt. Zwar zeichnet sich dieser Weg noch nicht in allen seinen Arbeiten ab, aber schon ist sein Wille zu erkennen, bewußt einen anderen als den herkömmlichen Weg einzuschlagen. Während die Entwicklung der Kunst, in den letzten Jahrzehnten deutlich einen Zug zur Vereinfachung, zur Ersetzung der vielfältigen Wirklichkeit durch die Grundform, durch das Zeichens und damit zur Abstraktion hat, versucht nun Laub, entgegen dieser Entwicklung von der Abstraktion auszugehen und sich schrittweise wieder der. Wirklichkeit zu nähern. Die Künstler nach Cezanne, die Kubisten vor allem, gingen den Weg zu Fläche und Punkt, Kurve und Gerade, zu geometrischen Formen, in denen sie die ursprünglichen Mittel der Malerei sahen, mit denen sie eine neue Bildordn'unjj aufbauen konnten. Der Weg führte weiter zu Kan-dinsky, der, obwohl er sich ganz von der Wirklich* keit löste und also abstrakt war, Phantasie und Abstraktion vereinte, dann zur Arte concreta. wie sie vornehmlich in Italien gepflegt wird, zu Bildern, die sich nur noch aus Geometrie, aus Dreiecken und Rechtecken vor allem, zusammensetzen, und schließlich zu Piet Mondrian, der Flächen horizontal und vertikal durch breite und schmälere Bänder gliedert, sich auf die Primärfarben Rot, Blau und Gelb beschränkt und nur noch Proportionen und Relationen gibt, um endlich nicht mehr Wirklichkeit, sondern nur noch Geist darzustellen, etwas, das — wie er es sah — von der Natur dieser Welt im Grunde verr schieden ist. Als Reaktion auf diese Entwicklung erscheinen uns der Surrealismus eines Max Ernst und der Automatismus eines Pollok, während umgekehrt Leger und Matisse die allgemeine Entwicklung dort zum Ausdruck bringen, wo sie am sinnfälligsten wird: im menschlichen Gesicht. Aber diese Entwicklung kann in einem jungen Künstler, der die Mittel, die die Meister vor ihm gefunden haben, beherrschen gelernt hat, den Durst nach Seele wachrufen, nach etwas Individuellem, Unverwechselbarem, und er wird versuchen, aus der Ellipse wieder das, Gesicht eines Menschen werden zu lassen und nicht bloß eine malerische Form. Er wird den Hunger nach all den herrlichen Zufälligkeiten der Wirklichkeit verspüren, nach der kleinen Falte unter dem Auge, irgendeiner harten Spur um den Mund, nach Dingen, die mathematisch nicht faßbar sind, weil sie eben Ausdruck der Seele sind, nach dem reichen Ueberfluß des Herzens, des Abends, nach den Verwandlungen des Lichts, nach der Schöpfung, nach all dem. das die Kunst überwinden zu müssen glaubte. Noch;läßt sich nicht sagen, ob Laub die angestrebte Synthese von malerischem Wissen und Freude an den Dingen und am Menschen gelingen wird: noch sind die meisten seiner Bilder nicht viel mehr als Formstudien: aber er ist schon unterwegs.

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