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Ein Festival der Ensembles

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Die Langeweile wurde eines Tages von der Einförmigkeit geboren”, so zitiert der Prospekt des Generalprogramms von 1969 einen französischen Fabulisten. Das ist eine so unwiderlegliche These wie die, daß die Armut von der pauvretė komme. Und der Textautor des Programms von Montreux meint weiter: „Wenn die Gleichartigkeit das Gesicht der Routine annimmt, verblaßt jeder Glanz. Das legt den Gedanken nahe, daß sich zwei aufeinanderfolgende Festivals nicht zu sehr gleichen sollten.” Billige Weisheiten? Man möge sie auch andernorts, zum Beispiel in Salzburg, beherzigen, und nicht glauben, ein für allemal den Stein der Weisen gefunden zu haben.

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Die Langeweile wurde eines Tages von der Einförmigkeit geboren”, so zitiert der Prospekt des Generalprogramms von 1969 einen französischen Fabulisten. Das ist eine so unwiderlegliche These wie die, daß die Armut von der pauvretė komme. Und der Textautor des Programms von Montreux meint weiter: „Wenn die Gleichartigkeit das Gesicht der Routine annimmt, verblaßt jeder Glanz. Das legt den Gedanken nahe, daß sich zwei aufeinanderfolgende Festivals nicht zu sehr gleichen sollten.” Billige Weisheiten? Man möge sie auch andernorts, zum Beispiel in Salzburg, beherzigen, und nicht glauben, ein für allemal den Stein der Weisen gefunden zu haben.

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Ein interessantes Programm erfordert Sachkenntnis, Phantasie — und ein wenig Courage. Der künstlerische Leiter der Musikwochen von Montreux ist Renė Klopfenstein. Er stammt aus Lausanne und wurde nicht nur in seiner Heimat, sondern auch am Mozarteum in Salzburg ausgebildet. In Wien haben wir ihn vor vielen Jahren als Assistenten von Igor Markewitsch kennengelernt. Für volle fünfzehn Jahre unterbrach Klopfenstein seine Tätigkeit als Dirigent, um sich pädagogischen und administrativen Arbeiten zu widmen (an der Schola Cantorum und bei Philips). Während der letzten Jahre dirigierte er das Orchester der Pariser Concerts Lamoureux, die Philharmonie von Stockholm und die von Leningrad, 1970 wird er u. a. eine Japan-Tournee absolvieren.

1970 — das ist auch das Jubiläumsjahr für Montreux: da werden zum 25. Male die beliebten Musikwochen am Genfersee stattfinden. Der „Sep- tembre musical Montreux-VSvey” beginnt bereits in der letzten Augustwoche und dauert heuer bis zum 5. Oktober. In diesem Zeitraum finden im großen Konzertsaal des Pavillons, im Casino-Theater von Montreux, in der schönen aus dem 13. Jahrhundert stammenden Kirche Saint-Martin von Vevey sowie In dem berühmten Schloß von Chillon rund zwei Dutzend Konzerte statt.

Das heurige Festival könnte man als eine große Parade der verschiedenartigsten Ensembles bezeichnen. Es konzertierten ein Festspielorchester von, mit und unter Yehudi Menuhin, das Prager Kammerorchester (38 Mann ohne Dirigenten), das Spanische Nationalorchester unter Frühbeck de Burgos, die Camerata Bariloche aus Buenos Aires unter der Leitung des Menuhin-Sehülers AJbfejtadbysy, ferner natürlich auch die bestrenommierten Schweizer Ensembles wie das Orchestre de la Suisse Romande (unter dem ein wenig allzu effektvollen und naiven Herrera de la Fuente mit dem großartigen Henryk Szeryng als Solist des Beethoven-Konzerts), das Festival-Strings, Luzern, das Kammerorchester von Lausanne, das Orchestra della Radio Svizzera Įtaliana und schließlich das Genfer Instrumental- und Schlagwerkensemble, das als einziges in einem einzigen Konzert neueste Musik spielte, mit der man im vergangenen Jahr keine guten Erfahrungen gemacht hatte und der man daher heuer nur diese eine knappe Reverenz erwies …

Zwei Konzerte des Radio-Sympho- nie-Orchesters Berlin unter Wolfgang Sawallisch mit Menuhin und Gelber als Solisten waren, als wir nach Montreux kamen, schon vorbei, andere — wie die der Musici di Roma oder des Festspielorchesters Wiesbaden, hatten noch nicht stattgefunden. Doch dominieren in fast allen Konzerten durchaus die Werke der Wiener Klassik, bis einschließlich Brahms. Zweimal tauchen die Namen Mendelssohns und Dvoraks in den Programmen auf, die Spanier werden am letzten Festspieltag auch Grieg und de Falla interpretieren, und die Musici di Roma kommen mit Corelli, Giordan! und Vivaldi.

Ein kleiner, aber gehaltvoller Bach- Zyklus wird in der schönen, nur im Inneren allzu gründlich renovierten Kirche von Saint-Martin in Vevey absolviert: mehrere Instrumentalkonzerte unter der Leitung des Menuhin-Sehülers Alberto Lysy u. a. Ein Orgelabend Kurt Richters sowie die Aufführung der h-Moll-Messe mit dem Kammerorchester von Lausanne und dem Festspielchor Montreux unter der Leitung von Andrė Charlet stehen noch bevor.

Zu den positivsten Eindrücken der Woche vom 7. bis 14. September zählen: Das temperamentvolle und präzise Bach-Spiel der Camerata Bariloche, auf deren Programm sich zwei interessante Bearbeitungen befanden (das Violinkonzert g-Mo l war ursprünglich für Cembalo geschrieben und das Cembalokonzert d-Moll in der ersten Fassung für Violine); ferner die „1. Serenade bei Kerzenlicht” im Casino-Theater, ausgeführt vom Orchestra della Radio Svizzera įtaliana und geleitet von Renė Klopfenstein. Die Intensität der Wiedergabe und der Glanz, mit dem Haydns Oxford-Symphonie ausgestattet war, ließen aufhorchen. Das folgende Mozart-Konzert für Flöte und Harfe ist nicht mehr als ein Divertissement. So wurde Schuberts Dritte zum Höhepunkt, auch der Interpretation. Der Dirigent, das spürt man, liebt seinen Mozart und seinen Schubert, er hat ein gewissermaßen herzlichfamiliäres Verhältnis zu dieser Musik, abseits jeder Show — zu der sich diese Musik ja auch gar nicht eignet, und tritt an sie auf eine Weise heran, wie es der junge Bruno Walter etwa getan haben mag. Bemerkenswert in der ,,2, Serenade bei Kerzenlicht” de.r. bochmųsjkalische F’düsto Zadfa als Sollst des Klavierkonzerts G-Dur (KV 453) von Mozart und die Wiederentdeckung des im Todesjahr Mozarts geborenen Tschechen Jan Hugo Vorisek, der in Wien als Freund Beethovens und Hoforganist lebte und der sich in seiner vier- sätzigen Symphonie in D-Dur am stärksten von Beethoven und Schubert beeinflußt zeigt.

Das interessanteste Konzert war wohl das eine3 Warschauer Ensembles im Chateau de Chillon, das als das photogenste der Schweiz gilt. Unter der Leitung von Kazimierz Piwkowski spielten die Fistulatores et Tubicinatores Varsovienses Musik aus dem 12. bis 16. Jahrhundert. Die ältesten Werke stammten von den Minnesängern Spervogel, Walther von der Vogelwedde und Guillaume d’Amiens, der modernste Komponist auf dem Programm der Warschauer war Michael Praetorius. — Diese 14 Sänger und Instrumentalisten sind gelehrte Virtuosen. Sie haben alte Handschriften entziffert und spielen auf Instrumenten, die auf Grund wissenschaftlicher Forschungen sowie nach Originalen aus den Musiksammlungen von London, Berlin, Leipzig und Prag rekonstruiert wurden. Die seit fünf Jahren gemeinsam musizierenden Sänger und Instrumentalisten wechseln von einem alten Blasinstrument zum anderen, von der Laute zum Positiv, schlagen tamburinartige Trommeln und (echte) Glockenspiele — und beweisen, ihren güjen Geschmack auch In ‘įijen.T h stbri erewäen Kostümen, tiei Kerzeniicht und vor den verblassenden Fresken des großen Saales im Schloß Chillon kamen die verschiedenen Musikstücke aus dem deutschen und polnischen Mittel- alter zu einzigartiger Wirkung.

Der gleiche Saal war auch Schauplatz des gesellschaftlichen Höhepunktes der Musikwochen von Montreux: der Verleihung des großen Internationalen Schallplattenpreises. Der erste (Chateau de Chillon d’or) ging an Nikolaus Harnoncourt und den Concentus musicus, Wien, für eine Produktion der h-Moll-Messe von Bach. Den zweiten (Chateau de Chillon d’argent) erhielt das Vokal- und Instrumental-Ensemble Lausanne unter der Leitung von Michel Corboz für eine Monteverdi-Platte. Mit der Bronzeplakette wurde eine Aufnahme der „Sinfonia” von Luciano Berio ausgezeichnet, die unter der Leitung des Komponisten das New Yorker Philharmonische Orchester und die Swingle Singers ausführten. Ein Ehrendiplom schließlich wurde Walter Legge verliehen, der seit 40 Jahren Schallplatten produziert. Die Überreichung erfolgte durch die Gattin Legges, Elisabeth Schwarzkopf. Die genannten Aufnahmen wurden von den Plattenfirmen Telefunken, Erato und CBS hergestellt.

Der Gast aus Wien konnte mit dem Ergebnis der Jury-Entscheidung zu- : frieden sein, pie Beratungen und Abstimmungen entbehrten nicht dramatischer Momente — wie aus dem freizügig vorgelegten Protokoll der Generalsekretärin Nicole Hirsch her- vorgeht. Ein Vertreter Österreichs in der Jury (Prof. Kurt Blaukopf), der erste Preis an ein tüchtiges Wiener Ensemble, der 3. Preis für ein von uns hochgeschätztes Werk von Berio und die Auszeichnung Walter Legges, der mit dem Wiener Musikleben vielfältig verbunden iset: Besseres konnte man sich nicht wünschen. Es war ein schöner Abend, an dem das Musikland Österreich und Wien geehrt wurden.

• Die französische Autorengesellschaft hat Henry de Montherlant den „grand prix” für die Gesamtheit seines dramatischen Werkes verliehen. Am 15. September nahm die Comėdie Franęaise Montherlants berühmtes Werk „Port Royal” wieder in ihrem Spielplan auf.

1 In Klagenfurt wurde unlängst ein Kärntner Schriftstellerverband gegründet. In den Vorstand wurden Lorenz Mack als Vorsitzender und Walther Nowotny als dessen Stellvertreter gewählt. Der Zweck des Verbandes ist der Schutz und die Wahrung der Standesehre, die Förderung künstlerischer und gesellschaftlicher Interessen der Schriftsteller Kärntens und junger Talente, die Unterstützung notleidender Mitglieder, die Herausgabe literarischer Publikationen sowie die Zusammenarbeit mit literarischen und kulturellen Verbänden im Bundesgebiet und in anderen Ländern.

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