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Nachbarn an der Donau“

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Im Jahre 1892 fand ein Ereignis zum erstenmal statt, das seither nicht wiederholt worden Ist: die Begegnung der Nationen im Donauraum. Damals gastierten anläßlich der Intern nationalen Theaterausstellung neben deutschen Bühnen und der Comedie francaise die tschechischen, ungarischen und polnischen Nationaltheater mit Opern- und Schauspielprogrammen in Wien. Es war ein wahrhaft revolutionärer Vorgang für das alte Österreich, das mitten im Nationailitätenstreit steckte. Er bedeutete die erstmalige Anerkennung der Völker als eigenständige Kultur-naitionen; der Widerhall dieses Ereignisses war außerordentlich. Daß dabei ein derartiges Meisterwerk wie die „Verkaufte Braut“ — die schon Jahrzehntelang in Prag unbeachtet gespielt worden war — entdeckt werden konnte und ihren schnellen Siegeszug um die Welt antreten konnte, war eine Bestätigung des Vorgangs,

Wenn die Wiener Festwochen nun dieses noch immer aktuelle Thema aufgreifen, so ist dies für ein Festival zwar ungewöhnlich, doch, für Österreich von Notwendigkeit. Für eine Generation, die die Zeit vor 1918 nicht mehr miterlebt hat, wird die Nachbarschaft im Donauraum nun zu einem neuen Erlebnis. Es erstaunt zwar nicht, daß bei der Behandlung dieses Themas jeder zuerst einmal an die Vergangenheit denkt, doch sollte uns Gegenwart und Zukunft weit intensiver beschäftigen. Da aber gilt es zu prüfen, ob es über die ideologischen Verschiedenheiten der Gesellschaftssysteme hinweg diesen Donauraum als kulturelle Landschaft überhaupt gibt. Ist das Wort bloß Phrase, dann sollten wir seine Verwendung fortan unterlassen. Läßt sich aber ein solcher Donauraum auch exakter bestimmen, dann wäre er als gemeinsame kulturelle Landschaft darzustellen, die gemeinsame Stil— elemenite aufweist. Die ernsthafte Diskussion könnte im Verhältnis der Nachbarstaaten einen neuen Beginn darstellen, könnte ein Vertrauensverhältnis schaffen, das diese leidgeprüfte Landschaft gewiß notwendig braucht.

Der Terminus „Donauraum“ ist noch gar nicht so alt. Er wurde von dem Geographen Friedrich Ratzel gegen Ende des vorigen Jahrhunderts verwendet als geographisch-politische Bezeichnung für die Länder der mittleren und unteren Donau. Sudeten-, Karpathen-umd Ostalpenländer gelten dabei als Kerngebiet, dem die Ebene zwischen den Trans-sylvanischen Alpen und dem Balkan angegliedert ist. Diese Begriffsbildung stellte den Versuch dar, Elemente größerer Räume wissenschaftlich „in den Griff“ zu bekommen. Das schloß jedoch, wie man weiß, den politischen Mißbrauch durch unwissenschaftlichen Dilettantismus nicht aus.

In der Kultur- und Kunstgeschichte ist die Bezeichnung „Donau“ als einigender Terminus bisher nur selten verwendet worden. So ist mit Bezug auf die Bandkeramik der Jungsteinzeit von einem „Donauländischen Kreis“ die Rede, und man faßt unter dem Namen „Donauschule“ das Wirken jener deutschen Maler am Beginn des 16. Jahrhunderts zusammen, die voll lebhafter Empfindung die Landschaft in. ihrer Verbindung mit dem Menschen entdeckten. Näher und faszinierender sind uns jene künstlerischen Manifestationen im Donauraum, die sich auf eine Grunditatsache zurückführen lassen: Auf die vielfältige Wechselwirkung der großen europäischen Kulturströme lateinischen und germanischen, griechischen und slawischen Ursprungs, in die immer wieder auch außereuropäische Wellen dringen.

Damit war der Donauraum geradezu prädestiniert zum Experimentierfeld der Kultur. Der verbindenden und zugleich auch herausfordernden Funktion verdankt Wien den besonderen Reiz, den man noch heute so stark verspürt. Reichshauptstadt, Repräsentationsund Verwaltunigszentrum, Musentempel, Aus-bildumgsstätte, Zuflucht, Heimat und geselliger Treffpunkt vieler Nationen — all das hat den Charakter Wiens geprägt, der den Nationen des Donauraums entscheidende Züge verdankt und ihnen umgekehrt auch wieder als Kennmarke dienen konnte.

Das ging nicht ohne Einbußen ab. Wir wol lern gar nicht von der ungeheuerlichen historischen Hypothek reden, mit der die Monarchie belastet war und an der sie zerbrach: vom gleichzeitigen Fälligwerden nationaler und sozialer Forderungen. Wir wollen uns auf das kulturelle Gebiet 'beschränken. Hier aber müssen wir • zu unserem großen Erstaunen feststellen, daß echte kulturelle Begegnung der Nationen höchst selten und auch dann zumeist nur zaghaft stattgefunden hait. Das Modell, welches Max Brod für Prag skizziert hat, gilt eigentlich ganz allgemein: „Das alte österreichische Prag war eine Stadt, in der nicht nur die einzelnen gegeneinander polemisierten, sondern drei Nationen im Kampf gegeneinander standen: die Tschechen als Majorität, die Deutschen als Minorität und die Juden als Minorität innerhalb dieser Minorität ...“ Die Nationen des Vielvölkerstaates, die ein trügerisches Geschichtsbild der Operette fröhlich und farbenprächtig vereint meint, standen einander in Wahrheit feindlich gegenüber. Schlimmer noch: sie forcierten die Be-ziehungslosigkeit Was kennen wir in Wahrheit voneinander? Was wird gespielt, übersetzt, diskutiert?

Überblicken wir aber einmal gemeinsam den Beitrag, den die „Nachbarn an der Donau“ allein in diesem Jahrhundert zur Weltkunst geleistet haben, so darf man ihn wohl mit einigem Stolz als bedeutsam bezeichnen. Er ist auf der Landkarte dieser Welbkunsit längst eingezeichnet. Es ist an der Zeit, die gemeinsamen Stilelemente dieser Kunstlandschaft aufzuspüren. Kann das gelingen? Lebenshaltung und Denkmodelle, Thematik und künstlerische Intuition verraten bei aller Vielfalt immer wieder gemeinsame Züge. Diese Züge möge auch die Reihe festlicher Veranstaltungen demonstrieren, die von Künstlern, Ensembles und Institutionen Österreichs und seiner Nachbarn an der Donau bestritten werden.

Konfrontiert mit den künstlerischen Leistungen unserer Donaukulturlandschaft erkennen wir, daß das Große und Bleibende zumeist nicht Ergebnis kühnen Experiments ist, sondern vielschichtige Synthese: UberMefe-

Otto Gutfreund: „Cellospieler“. Gutfreund zählt zur Prager Avangarde der bildenden Kunst, die sich um 1907 formierte rung und neue Technik, Folklore und intellektueller Formwille, diesseitiger Realismus und Transzendenz, Eigenes und Fremdes. Noch fehlt uns der Katalog der Gemeinsamkeiten, der Begriff für eine unklar erkannte einigende Note, die wir doch längst fühlen. Wir stehen am Beginn. Noch wissen wir zu wenig voneinander, noch haben wir uns um den Nachbarn nicht wie Freund um Freund gekümmert. Österreich vor allem ist abseits gestanden. Machen wir den Versuch, zu dem uns der ungarische Dichter Läszlo Nemeth rät: „Wir Donauvölker befinden uns immer noch dort, wo wir uns vor dem (ersten) Krieg befunden haben. Wir leben in einer Schicksaitegemeinschaft, ohne etwas voneinander zu wissen. Es wäre an der Zeit, unsere Mitbrüder, mit denen wir an derselben trockenen Brust des gleichen Schicksals gesogen haben, endlich kennenzulernen.'“

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