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Akkitte an Metternicli

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Durchlauchtigster Fürst!

Hochgeehrter Herr Staatskanzler!

Verehrter Herr Bruder!

Sie werden über letztere Ansprache sicherlich nicht erzürnt sein, durchlauchtigster Fürst, sondern sie mit jenem schmalen Lächeln.entgegennehmen, das Sie zeitlebens für Skurrilitäten übrig hatten. Aber diese Anrede entspringt keineswegs der Laune eines Augenblickes, sie entspringt auch nicht der Ueberlegung, daß in der Ewigkeit die irdischen Standesunterschiede sich mehr oder minder verwischen. Ich fühle Ihnen gegenüber, hochgeehrter Herr Staatskanzler, eine brüderliche Anhänglichkeit, welche es eben mich wagen läßt, diese so seltsame Anrede zu gebrauchen. Dieses Bekenntnis wird Ihnen sicherlich wieder jenes seltsame Lächeln auf die Lippen zaubern, sind Ihnen doch die starken Reserven, die ich zur Zeit meines irdischen Lebens Ihrer Politik gegenüber empfand, nur zu sehr bekannt.

Die brüderliche Anhänglichkeit, die ich Ihnen gegenüber empfinde, hat ihre sehr einfachen Gründe. Glauben Sie nun nicht, daß ich vielleicht mich Ihnen, dem Fürsten von Geblüt, als Fürst der Dichter ebenbürtig fühle und dies die Ursache meiner so seltsam klingenden Ansprache ist. Glauben Sie auch nicht, daß ich mich viel- läicht vermesse, mich, den Hofrat Grillparzer, mit dem ersten und vornehmsten Ratgeber des Hofes, der Sie waren, auf eine Stufe zu stellen, nur einfach deshalb, weil wir beide die treuesten Staatsdiener waren, die es gab. Aber ich fühle mich Ihnen, durchlauchtigster Fürst, aus einem ganz einfachen Grund verbunden wie ein Bruder zu einem anderen: Sie waren, und dies wird Ihnen der tiefste Haß nicht absprechen können, doch ein Vollblutösterreicher. Und ich, bei aller Schüchternheit, die mir zu eigen war, kann doch behaupten, daß ich mich auch stets als solcher gefühlt habe. In unserem innersten Wesen waren wir uns sehr ähnlich. Schließlich drückte sich diese innere Wesensgleichheit auch im Aeußeren aus: wer unsere Altersbilder sieht, könnte gewiß glauben, daß wir leibliche Brüder seien. Und da Goethe sagt, daß man ab vierzig für sein Ge sicht verantwortlich sei, so muß die tiefere Ursache, daß wir uns so ähnlich sehen, doch in unserem Oesterreichertum gelegen sein.

Und eben deshalb, weil wir uns so ähnlich sehen, schreibe ich Ihnen diesen seltsamen Brief, um Ihnen, durchlauchtigster Fürst, einen Vorschlag zu unterbreiten, von dem ich hoffe, daß er Ihre Genehmigung finden wird. Es sind nun, am 11. Juni, hundert Jahre her, daß Sie Ihre Augen für immer schlossen und in die Ewigkeit eingingen. In diesen hundert Jahren hat es Oesterreich — unser Oesterreich — nicht der Mühe wert gefunden, für Sie ein Denkmal zu errichten. Und wie ich dieses Oesterreich kenne (ich muß dies gestehen, wenn auch mit Schmerzen), wird es sich kaum dazu aufraffen, Ihnen über kurz oder lang ein würdiges Monument aus Erz, aus Stein, aus sonst irgendeinem Stoff, zu widmen. Sie werden vielleicht, hochgeehrter Herr Staatskanzler, sofort abwinken und darauf hin- weisen, daß ja auch Kaiser Franz Joseph kein Denkmal gewidmet wurde, das seiner Bedeutung irgendwie gerecht werde, und daß infolgedessen erst recht Sie keinen Anspruch auf ein würdiges Monument besäßen. Ihr Einwand ist nicht ganz richtig. Denn das Andenken Kaiser Franz Josephs ist tatsächlich in einer Reihe von schönen Denkmälern der Nachwelt überliefert, wie durch das Monument in Ischl, das den kaiserlichen Herrn in schlichter Jagdtracht zeigt, oder durch das Denkmal im Burggarten zu Wien. Gewiß, es sind keine großartigen Denkmäler, aber sie zeigen den Kaiser doch so, wie er im Bewußtsein des Volkes lebt und fortleben wird: als der große, einsame, unnahbare und doch so schlichte Herr von Schönbrunn.

Aber von Ihnen, durchlauchtigster Fürst, gibt es nicht auch nur das bescheidenste Monument. Und dies ist eine traurige Tatsache. Denn wie immer man zu Ihrer Politik stand oder steht, und ich selbst hatte doch meine Reserven ihr gegenüber, so muß doch jeder zugeben, daß Sie der letzte, wirklich große österreichische Staatsmann waren. Ein Staatsmann, der es zuwege brachte, Oesterreich aus seiner tiefsten Erniedrigung wieder emporzuführen zu der größten europäischen Macht seiner Zeit. Ein Staatsmann, der seinem Land die Segnungen des Friedens durch mehr als drei Jahrzehnte erhalten konnte. Nach Ihnen gab es keinen Politiker innerhalb der Donaumonarchie mehr, der nur annähernd Ihr Format besaß. Gewiß, Schwarzenberg hatte ein großes Konzept. Aber er machte auch große Fehler, wie die Auflösung des Kremsierer Reichstages oder den Vergleich mit Preußen in Olmütz (statt nach Berlin zu marschieren), Fehler, die Sie nie begangen hätten. Außerdem starb Schwarzenberg sehr früh, so daß man gar nicht richtig urteilen kann, ob er wirklich der so große Politiker war, als der er vielfach hingestellt wird. Auch Erzherzog Franz Ferdinand war gewiß ein großer Staatsmann. Aber auch ihn ereilte der Tod, noch dazu von Mörderhand, bevor er überhaupt die Zügel der Politik ergreifen konnte. Aber was sonst in der Monarchie zwischen 1848, seit Ihrem Weggang, und 1918 regierte, reichte wirklich nicht annähernd an Ihre staatsmänmsche Kunst heran. Es gab nur einen einzigen Mann, der vielleicht Ihre Größe erreichen hätte können. Dies war der „jüngere“ Tisza. Sein Unglück war, daß er ein Madjare war und infolgedessen kein Gefühl für die nichtmadjarischen Nationen Ungarns und die sozialen Probleme seines Landes gewinnen konnte. Sein noch größeres Unglück war, daß er in Budapest Ministerpräsident war und nicht Staatskanzler in Wien. Im letzteren Fall hätte er gewiß die nationalen Probleme der Donaumonarchie und ihre sozialen sofort begriffen und dann hätte er seine Konnationalen so zu Paaren getrieben, daß Haynau als ein lammfrommer alter General in der ungarischen Erinnerung fortleben würde.

Gewiß haben auch Sie, durchlauchtigster Fürst, Fehler gemacht. Aber welcher Politiker kann sagen, daß er keine in seiner Laufbahn getan hätte. Viele Fehler, die man übrigens Ihnen ankreidet, fallen gar nicht auf Ihr persönliches Konto, sondern auf das Ihrer Mitarbeiter (die manchmal ihre versteckten Gegner waren, wie Graf Kolowrat). Viele Ihrer guten Ideen konnten dagegen gar nicht verwirklicht werden, weil Sie sich mit Ihrer Ansicht einfach nicht durchsetzen konnten, wie zum Beispiel die Wiederinbesitznahme der österreichischen Vorlande nach 1815, die der Habsburgermonarchie doch einen festen Platz in Deutschland gewährt hätte, und alle kommenden machtpolitischen Auseinandersetzungen für Oesterreich leichter gestaltet hätte. Oder die Durchführung einer österreichischen Kaiserkrönung, die Sie 1815 und 1836 forderten, wodurch der österreichische Staats und Reichsgedanke sicher stärker Wurzel gefaßt hätte. Gewiß, Sie waren ein Gegner des Nationalismus. Jetzt, im Rückblick, kann man nur dem Bedauern Ausdruck geben, daß Sie dieses Gift, das mitschuldig an der Zerstörung Europas ist, nicht noch nachhaltiger bekämpft haben. Gewiß, Sie waren auch ein Gegner konstitutioneller Regungen. Aber diejenigen, die so stürmisch Sie als den einzigen Gegner der Einführung einer Konstitution bekämpften, waren Ihrerseits weit länger nicht bereit, Schichten, die unter Ihnen standen, irgendwelche konstitutionelle Rechte zu gewähren. Und im übrigen waren die Nationalisten, die Sie so haßten, später oft die Schöpfer und Verteidiger eines Absolutismus, demgegenüber sich Ihr Absolutismus geradezu armselig ausnimmt. Dagegen hatten Sie, zum Unterschied von den Nationalen und Konstitutionellen, einen tiefen Respekt und einen richtigen Instinkt für die staatlichen Rechte der einzelnen habsburgischen Länder. So gab es deshalb auch nur noch zur Zeit Ihrer Staatskanzlerschaft nicht nur eine ungarische, sondern -auch eine böhmische und eine lombardische Königskrönung, die letzten, die in der Geschichte überhaupt stattfanden.

Sie waren ein großer Staatsmann, diesen Ruhm kann Ihnen niemand streitig machen. Sie waren der letzte österreichische Staatsmann von überdimensionalem Format, auch diesen Ruhm kann Ihnen niemand streitig machen.

Aber Sie werden deshalb in Oesterreich doch kein Denkmal erhalten. In anderen Ländern haben Staatsmänner, die nicht annähernd Thre Größe erreichten, die oft ein Unglück für ihr Land waren (denken Sie an Friedrich II. von Preußen, an Bismarck, an Garribaldi), landauf, landab ihre Denkmäler, Büsten, Tafeln usw.

Mich aber schmerzt diese Tatsache und ich möchte sie abschaffen. Und somit komme ich auf den eigentlichen Inhalt meines Schreibens. Denn da es doch gewiß ist, daß Oesterreich Ihnen kein Monument widmen wird, ich aber an dieser Undankbarkeit nicht teilhaben möchte, stelle ich Ihnen somit eines meiner Denkmäler, die mir zu Ehren errichtet wurden, zur Verfügung. Ich erwähnte schon, daß wir uns so ähnlich sehen, wie zwei Brüder sich ähnlich sehen können. Von nun an kann deshalb jeder, der an dem Monument, das meinem Andenken errichtet wurde, sei es an jenem im Volksgarten zu Wien oder anderswo, vorübergeht, glauben, daß er eigentlich an einem Denkmal vorübergeht, das in erster Linie Sie, meinen hochverehrten Herrn Bruder, darstellt, und das Ihnen zu Ehren er- richet wurde. Mit dieser Verfügung, mit diesem Vorschlag, von dem ich hoffe, daß Sie, durchlauchtigster Fürst, ihn akzeptieren werdeil, will ich auch gleichzeitig Abbitte für Oesterreichs Undankbarkeit (und vielleicht auch Feigheit) leisten, die es seinem großen Sohn schon durch hundert Jahre gegenüber an den Tag legte.

Ich bin am Ende meines Schreibens. Ich sehe, 'hochverehrter Herr Bruder, auf Ihren Lippen noch immer jenes seltsame Lächeln, aber ich glaube zu bemerken, daß sich doch ein Schimmern von Freude hineingemischt hat. Ich will somit glauben, daß Sie meinen Vorschlag annehmen. Wäs wieder mich mit großer Freude erfüllt. Eine historische Ungerechtigkeit ist hiermit wenigstens teilweise beseitigt.

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