6583518-1951_31_10.jpg
Digital In Arbeit

Auf verlorenem Posten?

Werbung
Werbung
Werbung

Der geringe Rest eines fast als pflichtgemäß zu bezeichnenden Optimismus hat sich in ein Fragezeichen geflüchtet. Romantischer Zukunftsillusionismus und weinerliches Zurücksinken in die Vergangenheit können nicht die Herzen der Verantwortungsbewußten, nicht die Herzen der zum Leiden berufenen Künstler und auch nicht die Herzen der hilflosen Hilfsbereiten beruhigen. Nur die nüchterne Wirklichkeit des gegenwärtigen Zustandes gilt es zu erkennen, auszusagen und zu belegen. Nicht um die mildgestimmten Herzen der Inaktiven, der Gernewollenden in wehmütige Schwingungen zu versetzen, nicht um den Klagen ob der verzweifelten Situation der schöpferischen Künstler unseres Landes noch eine hinzuzufügen. Nein, denn daß gerade die lebendigsten unter den Künstlern, die produktiven, die schöpferischen Künstler unseres Landes als nicht mehr existent betrachtet werden, wenn es um Lohn- und Preisabkommen oder ähnliche Dinge geht, das weiß jeder einfache Mensch auf der Straße, man hat sich daran gewöhnt, und das leichthin gesprochene Bedauern fließt phrasenglatt von den Lippen. Nicht um Mitleid für die Künstler dieses Landes, für die Maler, die Bildhauer, die nicht beamteten Dichter und Komponisten wird gebeten: einfach die Frage um die Weiterexistenz der schöpferischen Kunst ist gestellt.

Als Nachtwächter, als Hilfsarbeiter, als Stundenbuchhalter, als Handlanger, als Marktgehilfen, als Heimarbeiter (für erbärmliches Machwerk einer Fremdenindustrie), als Mechaniker und Angestellte mühen sich Künstler ab, ihr tägliches Brot zu verdienen, um in der freien Zeit ihren Beruf ausüben zu können. „Das muß eben so sein und kann nicht schaden“, meinte kürzlich ein Mann, dessen Monatseinkommen die Jahreseinnahmen eines Künstlers weit überschritt. Unsere Zeit kenne eben keine „Nur-Künstler“, habe nicht Platz für Nichtstuer und Spaziergänger, für Träumer und weltfremde Phantasten. Wenn einer schon unbedingt wolle, so solle er eben als Wochenendbeschäftigung den Künstler spielen, aber erst nach getaner Arbeit... Ein ehrlicher Mann, dieser Wirtschaftsgewaltige. Er versteht es nicht besser und braucht es auch nicht besser zu verstehen. Denn es gehört nicht mehr zum „guten Ton“, Achtung vor dem Phänomen der Kunst zu haben, im Gegenteil, hätte man sie, man machte sich nur lächerlich und schädigte seinen Kredit.

Aber der wackere Mann vergaß etwas: daß der Künstler immer arbeitet, daß es im Künstler immer arbeitet und daß gerade in den Stunden scheinbaren Nichtstuns, in den Stunden des Geöffnetseins und des bloßen Da-Seins, das Werk wird und wächst und

daß die Umsetzung in die Materie nur der Endvorgang ist. Gewiß, sie arbeiten auch als Künstler, diese Maler usw., die einen Nebenerwerb haben müssen, um ihrem Beruf gerecht werden zu können, ihrer Berufung. Aber sechs Tage ihres Künstlerlebens sind ihnen weggenommen. Keine Beschönigung, sie sind weg. Sie ist nicht künstlerisch anregend, so gerne es auch die berufenen und unberufenen Ausredner wünschen möchten, diese amusische Beschäftigung. Sie tötet die Phantasie, sie betrügt um die Sensationen des eigentlichen Lebens, sie zwingt zur Schnellarbeit in den Stunden des Freiseins. Denn Malen und Zeichnen und Bildhauern, das ist ja auch Handwerk, braucht einfach Zeit, ganz abgesehen von der geistigen Vorarbeit, braucht seine täglichen Stunden körperlicher Arbeit.

So werden zwar die Künstler nicht verhungern, wenn sie Unterschlupf finden in irgendwelchen Erwerbstätigkeiten, sie werden bloß leiden, verkümmern und nur einen Bruchteil dessen zu leisten vermögen, was man von ihnen erwarten und verlangen könnte. Nicht die Künstler — vielleicht einige wenige, die eben lieber als freischaffende verhungern, als

die ihnen eigene Lebensform verraten —, nicht die Künstler gehen zugrunde, d i e Kunst stirbt. Also, stehen sie auf verlorenem Posten, die Maler, die Graphiker, die Bildhauer unseres Landes? Ist es eben ihr unabänderliches Schicksal, als aussterbender Typ des freischaffenden Künstlers zu gelten und als solcher kaum mehr, ja viel eher weniger Beachtung zu finden als etwa der Fiaker in Wien oder irgendeine andere Reminiszenz einer endgültig vergangenen Zeit?

Wenn die private Kunstförderung aus diesen oder jenen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die für eine weitere Kunstentwicklung nötigen schöpferischen Kräfte des Landes zu erhalten, da muß entweder Staat und Gemeinde auf Grund von Vorschlägen der Verantwortlichen zielbewußt die Erhaltung des kunstschöpferischen Lebens unseres Landes durchsetzen oder offen und ehrlich auf die Weiterentwicklung dir Kunst Verzicht leisten. Wäre es denn einem Staate wirklich unmöglich, die wesentlichen, verdienstvollsten und kunstbiologisch notwendigsten Künstler mit einem Existenzminimum zu versehen, frei arbeiten zu lassen, wo doch ihre Arbeit dem Lande dient, wenn auch manchmal erst in späteren Zeiten?

Es gäbe reichliche Arbeit in Staat und Gemeinde. Warum geschehen solche Aufträge immer im verborgenen und ohne Wissen der eigentlich Verantwortlichen und Zuständigen für die künstlerischen Fragen? Gäbe es da nicht genug Arbeit? Warum hört man nichts mehr von den zwei Prozent der Bausumme zur künstlerischen Ausschmückung beim Wiederaufbau? Wo gehen die guten Anregungen offizieller Stellen hin, um spurlos zu verschwinden? Wer wacht darüber, daß wirklich zeitgemäße und nicht nur gestrige Kunst gefördert wird? Nicht Massenorganisationen beruflich-wirtschaftlicher Natur können hier helfen. Daß man 6000 künstlerisch Tätige weder vom Bund noch von den Gemeinden erhalten lassen kann und soll, wird niemand leugnen. Aber man muß eben genug Kunstverständnis besitzen, um zu wissen, welcher eigentlich geringe Bruchteil dieser Tausende wirklich für die Kunstentwicklung notwendig ist. Das müßten und sollten aber neben den staatlichen und städtischen Stellen auch die übrigen öffentlichen und privaten Institutionen wissen. Denn auch hier gäbe es genug Arbeit und auch genug Geld. Nur dürfen solche Versuche nicht allzu bald im Sand verlaufen oder mit unzulänglichen Mitteln und ohne den nötigen sachverständigen Beirat begonnen werden. Der Mut des Künstlers, der sich und seiner Kunst treu bleibt, selbst wenn er als Narr verlacht und verspottet wird, ist auch denen

nötig, die für die Kunstentwicklung verantwortlich sind — bis zu den kleinen Kulturreferenten irgendeiner gewerkschaftlichen oder gewerblichen Organisation.

Soll die Frage, ob die Künstler dieses Landes auf verlorenem Posten stehen, damit beantwortet werden, daß man aus der Frage eine endgültige Aussage macht, daß man das optimistische Fragezeichen durch einen pessimistischen Punkt ersetzt?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung