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Damals in Babylon...

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Wenn ein Rabe von einer Nachtigall ausgebrütet wird, lernt er dennoch keine Lieder, sondern öffnet den Schnabel zu einem unmißverständlichen „Krahi“, womit sein Verhältnis zur Welt ein für allemal ausgedrückt ist. Das Tier erbt seinen Verständigungslaut; der Mensch aber, der doch erst durch die Sprache zum Menschen wird, erbt diese nicht, sondern muß sie lernen — und bekommt er keine zu lernen, so bleibt er ein armer Kretin, wie das grausame Experiment eines antiken Königs dargetan hat. Was man aber bekommt, kann man auch verlieren. Man kann Sprachen, selbst seine Muttersprache vergessen.

Die Lernbarkeit, die Ubersetzbarkeit der Sprachen setzt die eine verlorene Ursprache voraus: auch die artverschiedensten Idiome stehen in geheimer Kommunikation. Die Ursprache ist die tiefverborgene Wurzel, aus der alle späteren emporgewachsen sind. Wie haben wir sie nur vergessen können? Und es ist bedeutsam, daß die älteste Überlieferung den Verlust der Ursprache mit dem ersten technischen Großwerk verknüpft, von dem die Sage weiß: mit dem Turmbau zu Babel.

Das ist eine tiefsinnige Geschichte. Wer je in einer völligen Ebene gelebt hat, weiß, daß sich der Himmel dort hoch wie nirgends sonst wölbt und daß die Menschen dort Lust an hohen Tünnen haben. Wohlauf, laßt uns einen Turm bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut in alle'Länder!“ Woher diese Furcht? Sie hatten ja doch schon den stärksten Zusammenhalt der einen Sprache — aber da diese allen Menschen gemeinsam war, sollte eben der Turm die Erbauer vor den andern Menschen hervorheben: schon zu Beginn stand der Turm gegen die Sprache. Und wie die Burschen gleich aufs Ganze gingen „... dessen Spitze bis an den Himmel reiche“, während wir doch allerhöchstens ein wenig die Wolken kratzen. Sie wollten sozusagen eine gemeinsame Plattform für Nachtwächter und Erzengel schaffen; sie wollten sich auf eine Ebene mit Gott stellen und zu diesem herübernicken wie der Nachbar über'n Zaun, kurz, sie wollten allerhand — und, wie der Herr erklärte: „Sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.“

Sie hatten einen Boden gut zum Ziegelbrennen und wollten den zum Himmel hinauftürmen. Die Kerle müssen eine ungeheure Energie besessen habenl

Eine andere Uberlieferung besagt, daß die Spitze des Turmes von einem ehernen Standbild gekrönt werden sollte, mit einem zum Himmel gezückten Schwert: das sollte Gott ewig zum Kampf herausfordern. Und der Turm wuchs, erzählt sie weiter, so hoch hinauf, daß die Ziegelträger ein ganzes Jahr brauchten, um nach oben zu steigen. Stürzte ein Mensch dabei ab, so kümmerte sich niemand darum; fiel aber ein Ziegel herunter, so schrien sie: „Das ist Zeitverlust! Jetzt muß man wieder warten!“

Und dann bricht über sie das herein, was durch den Turm gerade abgewehrt werden sollte: die Zerstreuung, und zwar durch das, was sie geringer als den Turm achteten — durch die Sprache. Es kam die babylonische Sprachverwirrung! Nun hatten sie sich allerdings einen Namen gemacht: denn noch heute, da jener Turm längst zerfallen ist, sagt man „Babel“ für heilloses Sprachdurcheinander. Gott hätte den Turm ja auch umbk sen können, doch er wußte: „sie werden nicht ablassen“ — hier half nur ein geistiger Wirbelsturm. Wie tief diese Verbindung von Technik und Sprachschicksal! Technik hat Sprache, Ursprache aber hat Technik zur Voraussetzung — das müßten wir im Zeitalter der Rotationsmaschinen eigentlich wissen. (Und die schlimmere Verwirrung vollzieht sich innerhalb ein und derselben Sprache; denn da glaubt man sich immer noch zu verstehen.) Es gibt aber zwei Arten von Türmen: solche, wo der Name den Turm macht, zum Beispiel Bismarck-Türme, und solche, wo der Turm den Namen macht, wie etwa der Eiffelturm. So ein Eiffelturm sollte der babylonische offenbar werden: „...daß wir uns einen Namen machen.“ Das heißt, hier wurde die Technik als Oberzweck gesetzt; nicht der Wert sollte den Namen machen, sondern eben der Turm, also die technische Tat. „Seht, was wir alles können!“

Sonderbar, daß noch kein Dramatiker, diesen dramatischesten aller Vorgänge geschildert hat. Wie der Oberpolier auf babylonisch gebrüllt haben mag: „Hängt euch in die Flaschenzüge! Her mit den Schubkarren! Wo sind die Verputzkellen geblieben? Mach dich nicht unnütz da auf dem Laufbrett!“ — und wie ihm ein verwirrender Chor antwortet: „Mais je ne comprends rien!“ „I kann nix verstehn!“ „What the hell does the fellow speak of?“ „Non capisco niente“, usw. Daß muß ein Schauspiel für Götter gewesen sein: der eine verlangt Wasser, und der andere bringt ihm Sand; der eine will eine Axt haben, und der andere reicht ihm die Schaufel.., Darauf wird der eine hitzig und haut dem andern mit der Schaufel über den Schädel. Darauf beginnt eine allgemeine Prügelei, noch im Turm. Und darauf die Auswanderung nach allen Richtungen der Windrose. Keiner will von dem andern etwas wissen, weil keiner von dem andern etwas weiß.

Vielleicht ginge es als tragische Posse. Der Architekt beschließt, das Riesentrum von einem Turm wenigstens als Berlitz-schule zu verwenden, für jede Sprache ein Stockwerk, ausgestattet mit den üblichen Berlitz-Utensilien („das ist ein Bleistift, das ist ein Radiergummi, das ist ein Stuhl...“). Doch leider war diese Methode noch unbekannt, und darum einigte man sich aufs gegenseitige über-den Schädel-Hauen. Und das ist es ja, was die Technik vor allem zuwege bringt: zuerst baut sie am Turm und dann wirft sie den Menschen dessen Ziegel auf die Köpfe. Moral: Technik ist bestenfalls Ausdruck der Einheit, nie kann sie aber selbst Einheit bewerkstelligen. (Was ja auch zu viel von einem Stück Eisen verlangt wäre.)

Will man also mittels gebrannter Erde zum Himmel hinaufklettern, so beginnen die Mißverständnisse. Wie können diese behoben werden? Dadurch, daß die erwünschte Reise (denn in den Himmel wollen wir ja alle) auf eine frommere Art vollzogen wird. Mit Gewalt läßt sich diese Kursbuchverbindung nicht herstellen. Und in der Tat, schauen wir nur im Kalender nach, da kommt Himmelfahrt immer genau zehn Tage vor Pfingsten. Himmelfahrt, da gelang das im Guten, was der Turm im Bösen gewollt hat, oder, wie ein Dichter in einer fremden Sprache sagt: „Christ est le meilleur des aviateurs. / II reprit le record de la hauteur.“ Denn Pfingsten ist ja das Fest, das die Sprachverwirrung wieder gut macht, indem der Geist brausend über die Männer kam und alle Welt sie verstehen konnte. Und jedes noch so mühselige Erlernen einer fremden Sprache Ist ein Symbol davon und darum ein kleines Pfingstfest. Reisen Ist schön, aber Ist Sprachen lernen, dieses Reisen in seelische Länder, nicht noch viel schöner? Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache, sagt Humboldt, und wie lieblich ist eine Reise, wo man in fremde Heimaten kommt! Mit jeder Sprache, die man erlernt, befreit man einen in sich gebundenen Geist, einen Pfingstgeist — gibt er einem doch die Ahnung aller Ähnlichkeiten mit der einen, verlorenen Sprache. Und dabei ist das eine Reise, wo man sich selbst kennen lernt, denn wer fremde Sprachen nicht kennt, 6agt Goethe, der weiß nichts von seiner eigenen.

Es ist mühselig, gewiß, und am Sprechenkönnen liegt nicht so viel, falls man nicht gerade Diplomat oder Oberkellner ist; doch am Verstehenkönnen alles. Von außen klingen ja die meisten Sprachen unschön, denn von ihnen gilt dasselbe wie von Gedichten; sie sind gemalte Fensterscheiben, matt, trübe, bleiern von außen

— doch tue den Schritt, den einen, in das Innere der fremden Sprache, und nun brennt die Sonne des Geistes in wunderbaren blauen, roten Farben durch die Glasfenster und du bemerkst einen Altar.

Heiliges Pfingstgezwitscher des Waldes ein jeder redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und doch hat das Ganze die Harmonie einer hymnischen Verherrlichung. Das kommt, weil sie Flügel haben.

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