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Nicht nur Reden in der Eden: Ein Sittenbild der Yuppie-Eltern

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Für die Eltern mimt sie das brave, wohlerzogene Töchterlein, das Jus studiert und noch Briefe an das Christkind schreibt. Hie und da schlüpft sie allerdings für so manchen jungen oder älteren Herrn aus ihren Bouretteseidenkleidchen, grauen Kostümen, Leinenkleidern oder Schulmädchen-Faltenröcken - und aus der zwirnenen weißen Unterwäsche dazu. Auf Zwirn besteht die Mutter, schließlich muß man Unterwäsche kochen können. Der „Entjungferer” wird nach getaner Arbeit abgelegt, mit dem nächsten Lover passierts im VW-Käfer auf dem Bücksitz, es bleibt ein blauer Fleck vom Schaltknüppel. Er hat feste Waden und riecht gut.

Dann tritt Kurakin in ihr Leben. Ein Erdbeben - wenn wohl auch letztendlich doch nur mittlerer Stärke. Er ist älter als ihr Vater, Exilrusse, erfolgreicher Journalist, verheiratet und riecht nach Zitronenseife. Von seinen umfassenden intellektuellen Fähigkeiten begeistert sie vor allem, daß er „schmale Hüften, einen breiten Brustkorb und massige Schultern” hat. Und gelbe Augen: Löwenaugen. Und - er trägt eine Glatze.

Hanna Molden hat einen - wie sie betont - „sehr authentischen” Roman geschrieben. Einen Roman über ein junges Mädchen der Vor-68iger-Generation, das mit der Scheinmoral ganz selbstverständlich lebt und vor allem eines will: Spaß haben und keine Gelegenheit versäumen. Obwohl einzige Tochter eines Arztes und mit großer politischer Naivität gewappnet, ist das gar nicht so leicht: „Die Debatte um das schwarze Kleid erhitzte die Gemüter” der gesamten Familie, wie überhaupt die Frage des passenden Kleides zum jeweiligen Anlaß die bedeutendste überhaupt für die Romanheldin zu sein scheint.

Ganz stark ist sie noch in den romantischen Geschichten ihrer großbürgerlichen Urgroß- und Großeltern verwurzelt, genießt die Überfürsorge der Eltern, die Sommerfrische im Salzkammergut, und fühlt sich in ihrem turbulenten Liebesleben ein bißchen verrucht, wenn nicht sogar revolutionär. Doch über Politik wird daheim kaum gesprochen. Ein Großvater war Widerstandskämpfer, einer Nazi. Auf den Widerstandskämpfer ist sie stolz, den Nazi kann sie „menschlich verstehen”. War doch dessen Vater wiederum ein besessener Sozialdemokrat, der als Alleinerzieher von vier Kindern nichts zu lachen hatte und es deshalb auch nicht tat.

Als Anna, die Romanheldin, wieder einmal aus Liebeskummer „alles in sich hineinfrißt”, kommt es doch noch zu einem bemerkenswerten politischen Ereignis in ihrer Erinnerung: „Dann starb John F. Kennedy”, was sie zu Tränen rührt.

Oleg Kurakin, „ihr Russe”, mit dem sie die ganz große Liebe zu treffen glaubt, ist ein spannender Mann, der als Sohn eines revolutionären russischen Dichters von der großbürgerlichen Großmutter in Paris erzogen wurde. In Paris als Au-pair-Mädchen trifft sie ihn wieder, ohne elterliche Aufsicht, und doch bleibt die Beziehung irgendwie - wenn auch doch nicht ganz - unerfüllt. Ein jüngerer französischer Lebemann kommt dazwischen, mit dem sie nach Spanien fährt.

Sie will sich nicht festlegen und einmal mehr „keine Gelegenheit versäumen”. War also der Russe doch keine „Urknall-Liebe, aus der eine neue Wirklichkeit entstand”? In ihrer Widmung legt sie sich nicht fest. Das Buch ist verwirrenderweise „in erster Linie allen Olegs” gewidmet, und „letzendlich Fritz”, dem Ehemann.

Der Verlag hofft auf einen Bestseller und hat eine große Auflage gedruckt. Dafür hätte aber „der Russe” zumindest an gebrochenem Herzen sterben oder die Heldin mit einem Kind mittellos und sehnsüchtig zurückbleiben müssen. Sie geht aber locker zur Tagesordnung über und erzählt in flockigem „Wienerinnen” -Ton von dieser „Schicksalsbegegnung”. Als Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-naß-Frau, als die sie sich rühmt, steckt sie letzendlich die Liebesgeschichte ebenso locker weg wie die geschilderte Vergewaltigung in Paris.

Literatur wollte sie nicht schreiben, meinte Hanna Molden in einem Interview anläßlich des Erscheinens ihres Romans im Radio, sondern „nur Unterhaltung”. Getreu dem Jung-Mädchenmotto ihrer Romanheldin: Spaß haben und keine Gelegenheit* versäumen.

Und sie betont, daß sie ganz glücklich darüber ist, die Wiener Eden-Bar unverändert wie in der Zeit ihrer ersten Flirts vorzufinden. Die gehört ja bekanntlich auch einem Mann mit Glatze - womit sich zumindest der „Seitenblicke-Bogen” schließt.

Vom Sitzen und Reden in der Eden sang einst Helmut Qualtinger, doch Sitzen und Reden war halt, oh wer hätte denn das gedacht, auch für die Eltern der heutigen flotten Yuppies nicht alles.

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