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ROMANO GUARDINI / EIN MANN DES OHRES UND DES AUGES

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Romano Guardini ist fünfundsiebzig Jahre alt! Und immer noch so jung, geistig jung, ergriffen von der je größeren Wirklichkeit als in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, als er der unbestrittene geistige Führer der deutschen katholischen Jugendbewegung wurde. In der Spannweite dieser beiden Sätze wird die erstaunliche Erscheinung dieses Mannes sichtbar, den der „Große Brockhaus“ als den „heute bedeutendsten deutschen Vertreter der katholischen Weltanschauung in Religionsphilosophie und Geistesgeschichte“ anspricht. Ist es die künstlerische Sensibilität, die Feinnervigkeit seines Geistes, die ihm diese innere Jugendkraft einbrachte?

Ist es der römische Sinn für Maß und Muße, der diesen am 17. Februar 1885 in Verona geborenen deutschen Denker und Sprachkünstler daran hinderte, sich in steiler Flamme zu verzehren, und besonnen das Maß der eigenen Kräfte und des Talents wahrzunehmen, sich nie ganz zu verausgaben, um immer neu schenken zu können? Ist es die Spiritualität dieses katholischen Theologen, der als ein Bahnbrecher liturgischer Besinnung durch einige „kleine“, aber gewichtige Schriften kurz nach dem Zusammenbruch 1918 in vielen bekümmerten Seelen die Freude an Gott und am Gottesdienst, am heilig-frohen und guten Sinn der „kleinen Dinge“, in dieser Welt, der Schöpfung Gottes, wachrief? Wohl all das zusammen.

Romano Guardini ist ein Mann des Ohres und des Auges. Diese nicht allzu häufige Verbindung prägt die Plastizität seines Geistes. Ein Mann des Ohres: Guardini hört, unablässig, in die Zeit hinein-, er hat Herztöne vernommen und in Reaktion auf sie das geistig-seelische Klima zumal in Deutschland erkundet wie kaum einer zuvor. Eine seiner allerletzten Schriften bekundet dies besonders eindrucksvoll: „Der Dienst am Nächsten in Gefahr.“ Guardini, der zunächst Chemie und Nationalökonomie studierte, hat immer ein offenes Ohr für die gesellschaftliche Situation seiner Zeitgenossen gehabt. Eben deshalb seine stete Sorge um den Ausfall und Verfall des Menschlichen. Vielleicht wäre Guardini, wäre er nicht ein Romane

von Haus aus, ein donnernder Prophet geworden: Als ein Mann des Ohres, der warnen muß, weil er Schlimmes hört. Vor dieser Einseitigkeit hat ihn das Auge bewahrt: Guardini sieht, als Künstler, die schöne Gestalt, die schöne Erscheinung, das Bild Gottes auch noch in verkümmerter Form. Unendlich behutsam beugt er sich in seinen Untersuchungen über große kranke Seelen der Weltliteratur und des Inneren Reiches, beleuchtet sie, aber durchleuchtet sie, bewußt, nicht bis ins Letzte, Abgründige . . . Seine Werke über Hölderlin, Rilke, Pascal, Augustin, Dostojewskij sind in diesem Sinne ehrfürchtig-scheue Rücksichtnahmen auf das un-verletzttiche Geheimnis jeder menschlichen Person.

Über dem Dichter, Sprachkenner und Sprachkünstler Guardini, der gerade auch für drei Generationen nichtkatholischer und nichtchristlicher deutscher Bildungsmenschen ein lieber Gefährte und Wegweiser war, darf jedoch der Seelsorger nicht übersehen werden. Guardinis Theologie ist wesenhaft Seel-Sorge: sie will den inneren Menschen aufbauen, zur geistlich wachen und zur geistig mündigen Person. Als Erzieher und Menschenbildner hat eben dieser Seelsorger Guardini als Universitätsprofessor in Bonn, Breslau, Berlin, Tübingen und Mainz nicht nur Studenten, sondern ein ganzes junges christliches Deutschland erzogen. Ohne Guardini ist deutsches Geistes- und Glaubensleben des letzten halben Jahrhunderts undenkbar. f. h.

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