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Die Orundung JcrNVienerVcrlcstattc

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Schon 1902, also noch zu einer frühen Stunde des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts, tritt ein Ereignis ein, das mit dem Einsammeln und Ausstrahlen von Kräften so groß wird, daß es in die Welt hinaus wirkt und bis heute nichts an Glanz eingebüßt hat.

In einer der anregenden Plauderstunden im Cafe Heinrichshof gegenüber der Oper, in der sich die juagen Künstler um Josef Hoffmann versammelten und meist auch Otto Wagner zu ihnen kam, fand sich eines Tages ein Gast mit Namen Fritz Wärndorfer ein. Er kam gerade von einer Reise aus England, war dort mit Mackintosh und seinem Kreis beisammen gewesen, wußte viel Persönliches über ihn und die Morris-Bewegung zu erzählen. Seine Schilderungen brachten die Gemüter in lebhafte Bewegung, wieder wie so oft, wurde an den Wiener Verhältnissen kritisiert, mit Wünschen und Plänen nicht gespart.

Auf die Frage Wärndorfers, was man denn eigentlich wolle, erklärte Kolo Moser kurz: wenn wir fünfhundert Kronen besäßen, wüßten wir schon, wie wir anfangen sollten. Diese klare Antwort erfaßte Wärndorfer leicht, zog die Brieftasche und legte den geforderten, damals gar nicht kleinen Betrag auf den Tisch. Die Jünger der Kunst hatten eine solche Summe noch niemals zu ihrer Verfügung gesehen, ihre Begeisterung wuchs und sie eilten davon, um sofort mit der Verwirklichung ihrer Ideen zu beginnen. Als sie am nächsten Tage wieder beisammen waren, wußten sie bereits von einem schönen Raum zu berichten ,den sie auf der Wieden gefunden, gemietet und mit Biedermeiermöbeln eingerichtet hatten, aber — von dem Gelde war nichts mehr übrig.

Zu dieser wiederum übersichtlichen Tatsache bemerkte Wärndorfer: ich werde mit meiner Mutter sprechen. Und er sprach. Das Ergebnis, das er ihnen brachte, war geeignet, die Phantasie aufs neue anzufachen, denn es lautete: es stehen fünfzigtausend Kronen zur Verfügung. Mit einem solchen Vermögen schwanden alle irdischen Grenzen, die Künstlerschar fühlte sich wie verzaubert. Die einzige Verpflichtung, die Josef Hoffmann und mit ihm Kolo Moser zu übernehmen hatten, war ,ein Ideal zu schaffen. Auf diese Weise entstand die Wiener Werkstätte, und die beiden W wurden eine Signatur, nach der heute Museen und Sammler suchen.

In Josef Hoffmann war volle Klarheit darüber, daß die Hand wieder die große Geberin werden müsse, daß- der Künstler selbst oder der von ihm geschulte Handwerker mit ihm die ganze Arbeit zu vollbringen habe; daß aber auch dann, wenn die Industrie notwendig wird (bei der Herstellung von Tapeten etwa, bei Stoffen in Menge oder bei Druckwerken), diese nur in engster Fühlungnahme mit den Künstlern stehen und bestehen kann.

Hoffmanns Erkennen des österreichischen Arbeiters, dem ein natürlicher Sinn für Qualität eingeboren ist, bestärkt ihn bei der Durchführung schwierigster Aufgaben. Er beobachtet staunend einen Handwerker, der mit seinen verstümmelten Fingern noch die feinsten AnSprüche bewältigt, sein Werkzeug liebevoll wie ein Kind pflegt und nach der Arbeit zur Ruhe bettet.

Von diesen Empfindungen erfüllt, entsteht und entwickelt sich die Wiener Werkstätte als ein Kreis von Künstlern und Handwerkern, die von einem innigen Zusammengehen, Zusammendenken beherrscht sind. In den Statuten heißt es auch: es gibt keine Vorgesetzten, keine Untergebenen, nur Mitarbeiter. Weil jeder in gleicher Weise für seine Leistungen gewürdigt wird, trägt jeder Gegenstand außer der Signatur des Künstlers, auch die des Herstellers. In einem eigenen Verzeichnis sind die Monogramme und die Namen der Ausführenden erhalten geblieben; die Namen der Gold- und Silberschmiede, der Metall- und Lederarbeiter, der Tischler und Lackierer sind unvergessen, sie bleiben mit der Geschichte der Wiener Werkstätte verbunden. Rührend die Begeisterung des Buchbinders Karl Beitel, der, schon höherem Alter, sein gutgehendes Geschäft einfach sperrt und aus lang gehegter Verehrung für Ruskin und Morris sich der neugeschaffenen Werkstätte zur Verfügung stellt.

Keine Abteilung des Kunstgewerbes fehlt, keine Aufgabe wird zu gering bewertet, kein Gegenstand unterschätzt, im Gegenteil, Hoffmann untersucht alle Dinge des täglichen Gebrauchs, er holt den Funktionscharakter heraus, gibt ihm die natürliche Form zurück, die zu ihm gehört, die verläßlichste Stütze werden die beständigen Gespräche mit dem Material, die wieder erwachte Achtung verleiht eine unfehlbare Sicherheit. Ton und Holz und Stein, Metall und Eisen, Leder und Glas und all die übrigen Stoffe werden in ihrem Wesen erkannt und geliebt, man tut ihnen niemals Gewalt an, man betrügt sie nicht durch falsche erniedrigende Nachahmungen. Hoffmann schafft — man könnte sagen — eine Etymologie des Gegenstandes. Aus dieser Ehrlichkeit wächst alles für die Verschönerung des Daseins neu, jeder Gegenstand bringt eine Überraschung, wirkt wie ein Wunder, weckt die Freude am Leben.

Was Josef Hoffmann in den Jahren der Wiener Werkstätte und nachher allein im weiten Formenreich der angewandten Kunst erstmalig hervorbrachte, macht ihn zu einem König. Sein Besitz, aus seinem Geiste geboren, ist groß, ich möchte sagen unermeßlich. Die aus kostbaren Hölzern, aus Elfenbein, Gold und Silber ausgeführten Dinge, mit den Augen und Händen noch zu fassen; die nur noch in Photographien erhaltenen; die abertausend Entwürfe und Skizzen, die Erinnerungen und Ideen — es ist ein üppiger Garten, und da und dort erheben sich darin als schönste' Monumente die Marksteine seiner besten Taten. Und alles ist trotz seiner Vielheit aus einem einzigen tiefen Gedanken, aus einem einzigen Gefühl geworden. Ich kann eines seiner Etuis, jetzt noch kleine Wohnstätte einiger Zigaretten, wachsen lassen, es wird zum Schubladkasten und weiterwachsend zu einer Schmuckschatulle, in der eine große Ausstellung Platz hat (wie es von ihm in Paris geschah), es ist das Bergende, das Umhüllende da, und dieser Schutzgeist des Gegenstandes, von der Dose bis zum Palais, ist ein Genius, den er walten läßt. Ich betrachte einen seiner silbernen Samoware, er ist eine Architektur für den Maßstab einer gepflegten Hand: ein sicherer Unterbau aus Säulen, Platz für die Heizung (gleich einem wartenden Automobil), darüber die bequeme Wohnung des Wassers, das Abzugrohr für die Wasserdämpfe wie ein Kamin, auf dem Dachdeckel der Griff wie ein winziger Aussichtsturm ... Aus „Josef Hoffmann“, Verlag der österreichischen Staatsdruckerei.

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