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Zu Besuch in Dublin

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Für jemanden, der sein halbes Leben in England und Amerika verbracht hat, ist seine erste Fahrt nach Irland ein wahres Erlebnis, denn hier begegnet er einer sehr keltischen und dazu noch katholischen Variante des Angelsachsentums, einer Variante, die sich in langen, blutigen und verbissenen Kämpfen von England losgerissen .., und doch viele der besten Werte des alten Englands bei sich allein erhalten hat. Einen ganzen Tag und eine halbe Nacht flog ich von New York bis Rianna bei Limerick und dann ging es mit Auto und Zug quer durch die grüne Insel, deren Farbe wirklich die des Smaragdes ist. Wie anders als bei der „blauen“ Donau übertrifft hier das Kolorit jede Erwartung. Zuerst allerdings glaubte ich mich wieder nach England zurückversetzt, denn die Straßen von Limerick, der Bau der Eisenbahnwagen, die roten Ziegel der Dörfer erinnerten an die andere Großinsel, doch allmählich sah ich, daß der Landschaft eine gewisse

* Kyrill D. Kalinow: „Sowjetmarschälle haben das Wort“, Hansa-Verlag Josef Toth, Hamburg. — General A. Guillaume: „Warum siegte die Rote Armee?“ Verlag für Kunst und Wissenschaft, Baden-Baden.

Wildheit und ein Ernst innewohnte, den man in England nicht gewohnt ist. Die nackten, steinigen Bergrücken, die neuen katholischen Kirchen in den Dörfern, die den verlassenen gotischen Kirchen der Angl'kaner oft nah, aber fremd gegenüberstehen, das zerzauste Gras der Weiden, die Bonhommie der Mitreisenden, das alles gemahnte mich daran, das alles schuf ein fremdes Bild. Irland ist ja den meisten von uns ein unbekanntes Land „jenseits“ Großbritanniens am westlichsten Rande der Alten Welt, ein Ultima Thüle, das erst wieder der Flugverkehr in die Mitte der Dinge gestellt hatte.

Mochte der Eisenbahnwagen „englisch“ sein, die Reisenden waren es wohl nicht. In Dublin führte mich ein freundlicher neugewonnener Bekannter mit Taxi in eine Gepäckablagestelle im Herzen der Stadt, wo dem interessierten Bediensteten in kurzen Zügen meine Personalien mitgeteilt wurden. Dabei sang ein Mann, der einem Roman von Liam O'Flaherty entstiegen zu sein schien, „Rose of Tralee“. Es wurde mir gleich bedeutet, daß es unmöglich sei, ein

Hotelzimmer in der Stadt zu bekommen, da die Royal Dublin Society ihre Landwirtschaftsausstellung abhalte, doch würde mein Begleiter für mich schon sorgen. Zuerst wurde einmal in einem Pub etwas getrunken, dann kam eine Einladung in ein Restaurant, in dem sich alle Gäste vor dem Niedersetzen bekreuzigten, dann begann ein wildes Telephonieren vom Büro meines Bekannten aus und schließlich wurde ich noch in eine Buchhandlung gebracht, damit man dort meine eigenen unsterblichen Werke vordemonstrieren konnte. Das mißlang aber, die Verkäuferin hatte nichts am Lager, als wir aber dann die Koffer abholen gingen, begegneten wir einem Priester, der uns anhielt. Er hatte das Gespräch im Geschäft überhört. Resultat: Große Debatte an der Straßenecke, der eine ganze Reihe von Unbeteiligten zuhörte ... Dublin ist ein einziges, großes Wohnzimmer.

Nein, ich war wirklich nicht in England, und doch ist die äußere Kultur Dublins englisch, aber nicht englisch im Sinne der Labour-Party oder selbst der Königin Victoria, es ist das England des 18. Jahrhunderts, in dem Dublin seine architektonische und literarische Blütezeit erlebte. In diesem Zusammenhang darf man die anglo-irische Oberschichte nicht vergessen, die protestantisch und englischen Ursprungs ist, aber genau so irisch fühlt wie die 92 Prozent große katholische Mehrheit. Es ist diese Oberschichte, die Jonathan Swift, Laurence Sterne, Oscar Wilde, Yeats, „Ae“ (Russell), Lord Dunsany, Lady Gregory und G. B. Shaw hervorgebracht hat. Jahrhundertelang war ja das ganze katholische Element im eigenen Lande versklavt und erst im 19. Jahrhundert hat es gesetzliche Gleichberechtigung bekommen. Von der bürgerlichen Gleichheit bis zur kulturellen Vollentfaltung ist der Weg aber nicht zu kurz. Es dauerte eine Zeitlang, bis Irland der Welt einen O'Faolain, einen Joyce, einen O'Flaherty, O'Casey, Carroll oder Co-1 m schenken konnte. Darum ist auch Irland heute ein Land im Umbau und in der Umschichtung, wobei man sich hüten muß, im englisch-irischen Gegensatz irgendeine kontinental-europäische Parallele zu finden. Ich machte in Dublin dife Bekanntschaft eines Iren, der an der Revolution von 1916 als junger Mann teilgenommen hatte und ein glühender Bewunderer Ludwig Kossuths war. Die ganze Geschichte der ungarischen Revolution von 1848 hatten er und seine Freunde studiert, um daraus für die irische Freiheitsbewegung nutzanbringende Lehren zu ziehen. Ich brauchte nicht viel, um zu erkennen, daß dieser gute Ire ganz am Holzweg gewesen war, denn die irisch-englische Antithese liegt nicht in einem nationalen und ethnischen, sondern in einem Mentalitätsunterschied, der hauptsächlich religiös bedingt ist. Freilich wird E r s e, die altirische Sprache, von ungefähr 40.000 Einwohnern im täglichen Leben verwendet und sie wird auch in den Schulen gelernt und figuriert manchmal auf Warnungstafeln und als Übersetzung auf staatlichen Dokumenten. Daneben gibt es auch einen anthropologischen Unterschied; in England ist das keltische und vorkeltische Element als Minderheit völlig aufgesogen worden, doch in Irland sieht man immer wieder Typen, die einen spezifisch irischen Schlag darstellen — mit starken Brauen, stumpfen Nasen oder mit schwarzen Haaren, kombiniert mit blauen Augen. Als „Rasse“ ist der Ire ungleich künstlerischer begabt als der Engländer, wobei seine Begabung aber im Literarischen und Musikalischen liegt, nicht in der Architektur oder in der Malerei.

Die biologischen Faktoren sind aber unbedeutend, wenn sie mit dem religiösen Element verglichen werden. Hier erst tut sich ein kleiner Abgrund auf. Der Katholizismus ist es auch, der es verhindert hat, daß das Irentum in dem Maße anglisiert wurde wie Schottland oder gar Wales, wo die Ursprache viel lebendiger erhalten wurde als in Irland. Es ist freilidi ein ganz sonderbarer Katholizismus, denn er ist nicht durch die Renaissance und das Barock hindurchgegangen und deshalb ist er nicht elastisch, beschwingt und sinnenfreudig. Durch Saint Sulpice, wo die Priester Irlands vor der Errichtung Maynooths studierten, und durch das protestantische Großbürger-

tum von gestern wurde er jansenisti-schen und puritanischen Einflüssen ausgesetzt. Jahrhundertelang war er bäuerlich, dann kleinbürgerlich und erst heute umfaßt er alle Schichten. Dennoch hat er es verstanden, den Iren als „Individualisten“, oder, besser gesagt, als Persona-üsten, zu erhalten, als revolutionären und nicht als evolutionären Menschen, wie es ja der den Gemeinschaftsgeist über alles setzende Angelsachse ist.

Cooperation, Community, Spi-rit, Give-and-Take, Fifty. F i f t y sind Ausdrücke, die in Irland ebensowenig geschätzt werden wie die Blasphemie „Cleanliness is next to Godliness“, „Reinlichkeit steht der Frömmigkeit zunächst“. Man merkt den Leuten in den Straßen Dublins an, daß sie immer noch das Zeug in sich haben, eine richtige Revolution zu machen; man sieht hier zwar auch wie nirgendwo anders junge Männer, in deren Gesichtern sich das Ubernatürliche in aller Reinheit widerspiegelt, erinnernd an einen ganz gewissen Typ französischer Jungpriester. Doch liegt sonst in den Zügen der Iren eine seltene Strenge und Entschlossenheit. Der Humor ist da, aber auch eine „spanische“ Abneigung gegen das Kompromiß.

Ein Irrtum wäre es anzunehmen, daß der irische Haß sich immer noch auf England konzentriert, obwohl man es London nicht verzeihen kann (und es auch nie verzeihen wird), daß die sechs Grafschaften im Norden immer noch von E i r e getrennt sind. Das ist die wunde Stelle in den Beziehungen zwischen den beiden Inseln. Beziehungen, die rein rationell schwer zu erklären sind. Politisch ist Irland völlig unabhängig, doch

besteht eine Währungsgemeinschaft, die so weit geht, daß der irische Beamte in Rianna die Valutenbestätigung für England in den Paß stempelt. Auch englische Münzen werden überall in Irland verwendet. Man sieht ergriffen im Nationalmuseum die Waffen, Tagebücher, Proklamationen, Uniformen und Briefe aus der Revolutionszeit 1916 bis 1921 an, ist dann aber erstaunt, die freiwilligen Veteranen des zweiten Weltkrieges unter großem Applaus mit der englischen Flagge bei der Parade zu sehen. Der Prozentsatz der Freiwilligen im protestantisch-englandtreuen Ulster war viel kleiner als in der katholischen irischen Republik! Dazu kommt noch der Umstand, daß der Republikanismus als solcher, wie uns schon Sean O'Faolain versichert, psychologisch im irischen Volk überhaupt nicht ver-

ankert ist und lediglich eine Geste gegen England darstellt. Aut meine Frage, was wohl die irische Reaktion auf einen Staatsbesuch der Prinzessin Elisabeth wäre, wenn sie in Dublin auf einem Staatsbesuch eine gälische Ansprache halten würde, meinte ein irischer Nationalist, daß dies das Ende aller republikanischen „Uberzeugungen“ wäre. So sind denn Bezeichnungen, wie „Royal Dublin Society“ oder „Royal College of Sur-geons“, nie abgeschafft worden. Auch die englischen Adelstitel sind geblieben. Das Jakobinertum ist Irland stets fremd geblieben. Dasselbe gilt vom Klassenhaß. Man nehme gerade die „Royal Dublin Society“, einen klubartigen Verein, dem halb Irland angehört und der sich durch Generationen langsam um eine Bibliothek entwickelt hatte und im Laufe der Zeit jegliche menschliche Aktivität umfaßte. Der Besuch der Landwirtschaftlichen Ausstellung der „R. D. S.“ war ein Erlebnis, denn während in halbdunklen Lesehallen des palastartigen Gebäudes alte Herren in dicken Folianten blätterten, stampften neue Maschinen in den Ausstellungshallen, hörte man die Laute prämiierter Zuchttiere in den nahen Ställen und den Applaus des Publikums bei den Reitvorführungen. Bei diesen war ganz Irland beisammen: Katholiken und Anglikaner, Aristokraten und Kleinbauern, Studenten von Trinity College und von der Nationaluniversität, Priester und Originaltypen aus den Pubs ... alles zusammen das Bild einer Societas Perfecta ergebend. Kein Wunder, daß viele Engländer der Steuern und Rationierungen der Labourregierung entfliehend, sich im „rückständigen“, agrarischen Irland ankaufen und oft über Nacht überzeugte Iren werden. Die Assimilationskraft Irlands ist immer groß gewesen, es war ja auch das protestantische als auch das englische Element unter den irischen Nationalisten ganz überraschend vertreten; Erskine Childers, Parnell, Sir Roger Casement, Douglas Hyde, der erste Präsident Irlands, ganz zu schweigen von den Revolutionären der Frühzeit, wie Emmett und seinen Freunden, waren keine katholischen Iren ...

Schwer trennte ich mich von- Dublin, der gemütlichsten Stadt des Nordwestens unseres Erdteils, dessen Charme darin liegt, daß hier die alte keltische Überlieferung, der weltweite katholische Glaube, die guten englischen Traditionen und das angenehme Leben der- Vorkriegszeit sich in einer harmonischen Synthese vereinigen.

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