Das Paradies der Paranoiker
Autor Jan Kalbitzer zeigt, wie das Internet zum idealen Nährboden für wahnhaftes Denken geworden ist - und wie man es vermeidet, darin verrückt zu werden.
Autor Jan Kalbitzer zeigt, wie das Internet zum idealen Nährboden für wahnhaftes Denken geworden ist - und wie man es vermeidet, darin verrückt zu werden.
"Das Internet", verkündete Bill Gates vor sieben Jahren, "wird zum Hauptplatz des globalen Dorfes der Zukunft werden." Damals hatte eine beispiellose Internetkampagne gerade den ersten Schwarzen ins Weiße Haus gebracht, ein Jahr später trugen junge Ägypter den Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung vom "digitalen Hauptplatz" zum Tahrir-Platz und entfachten mit ihren Tweets eine Revolution im gesamten arabischen Raum. Doch seitdem hat das Internet seine Unschuld verloren. Auf dem Hauptplatz des globalen Dorfes liefert man sich heute Schreiduelle und wirft sich Beleidigungen an den Kopf. Die Paranoia hat im World Wide Web Einzug gehalten, betont der deutsche Psychiater Jan Kalbitzer in seinem Buch "Digitale Paranoia".
Polarisierung und Spaltung
Kalbitzer untersucht das Internet in seinem Buch wie ein Therapeut seine Patienten, bringt alle zugrundeliegende Probleme und Ängste ans Tageslicht. Dabei gelingt es dem Autor auch, die Leser über unbegründete Ängste vor dem Netz aufzuklären. Das Internet mache uns dümmer, dicker, fauler und einsamer, lautet ein Vorurteil, das sich bei der Generation 30+ immer noch hartnäckig hält. Stimmt nicht, stellt Kalbitzer klar. Tatsächlich mutet das undifferenzierte "Papier gut-Bildschirm schlecht"-Denken ein wenig überholt an. Schließlich macht das Internet einen ungekannten Schatz von Informationen der Allgemeinheit frei verfügbar und wirkt somit sowohl bildend als auch demokratisierend. Von Wikipedia bis zu Sprachlern-Websites und Online-Kursen revolutioniert es so die Zukunft der Bildung.
Das Internet hat sich in den letzten Jahren aber auch zu einem wahren Paradies der Paranoiker entwickelt. Es verleiht Minderheiten und Minderheiten-Meinungen weltweit ein Forum -und bietet so auch Islamisten, Neonazis und Verschwörungstheroretikern aller Couleur eine neue Heimat. Wenn das Vertrauen in traditionelle Institutionen von der Schule bis zu den Mainstream-Medien schwindet, wird das uferlose Internet für viele zur Informationsquelle Nummer eins -willkommen im "postfaktischen Zeitalter"!
Das World Wide Web spaltet auch die Gesellschaft: Soziale Medien haben die bekannte menschliche Neigung, Informationen so auszuwählen, dass diese den eigenen Meinungen entsprechen, zum gewinnmaximierenden Algorithmus erhoben. Die Psychologie spricht dann von einem "Bestätigungsfehler". Wer rechtes Gedankengut hegt, bekommt auf seiner Facebook-Pinnwand nun vorrangig die Postings seiner gleichgesinnten Freunde zu sehen. Wer links steht, wird in der Social Media-Echokammer in seinen Vorurteilen gegenüber der anderen Seite bestärkt. Dabei werden nicht die seriösesten, sondern die plakativsten Inhalte am schnellsten geteilt. Kaum jemand hat Zeit, jedes Posting nach seinem Wahrheitsgehalt zu untersuchen oder in einem mit 140 Zeichen beschränkten Tweet eine Thematik in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen. Selbst Suchmaschinen wie Google oder Yahoo filtern unsere Informationen nach unseren politischen Ansichten, zeigt Kalbitzer.
Der Online-Aktivist Eli Pariser hatte die Existenz dieser "Filterblase" schon 2011 am Bespiel des Ölkonzerns BP aufgezeigt. Während Usern mit einer eher umweltfreundlichen Suchgeschichte bei der Suche nach "BP" das Ölleck von Deepwater Horizon angezeigt wurde, bekamen andere bloß über den wirtschaftlichen Erfolg des britischen Konzerns zu lesen. Der Wegfall einer gemeinsamen Informationsebene ebnet so den Weg für die Polarisierung.
Verrohung der Umgangsformen
Dazu sorgen Anonymisierung und Straffreiheit für eine Verrohung der Umgangsformen im Netz. Was online passiert, zieht weite Kreise bis hinein in die "reale Welt". So entstand die deutschlandweite Pegida-Bewegung aus einer von Lutz Bachmann gegründeten Facebook-Gruppe. Der Aufstieg der "alternativen Rechte" in den USA, der so genannten "altright", blieb ebenso lange Zeit fast ausschließlich ein Internetphänomen. Online-Portale wie das "Breitbart News Network" verbreiteten islam- und einwanderungsfeindliche Inhalte, die dann von Provokateuren geteilt wurden. Diese werden im Netzjargon als "Trolle" bezeichnet. Donald Trump, der fleischgewordene Internet-"Troll", erscheint wie ein Auswuchs dieser (Un-)Kultur im Netz. Der neue US-Präsident zollte den rechten Internet-Aktivisten nun auch Dank für ihre Dienste, als er Stephen Bannon, vormals Geschäftsführer von "Breitbart", zu seinem offiziellen Chefstrategen ernannte.
Kalbitzer gibt eine Anleitung zum Kampf gegen die digitale Paranoia. Das Netz muss inklusiver werden und stets auch Raum für abweichende Meinungen bieten, fordert der Psychiater. Eine von Respekt und Wertschätzung geprägte Kommunikation hält er auch online für möglich: "Machen Sie jemanden einen Tag glücklich und beobachten Sie sein Internetverhalten." Wer in der "realen Welt" glücklich sei, werde sich auch im Internet benehmen. Vielleicht liegt der Schlüssel zu einem besseren Internet also doch offline.
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