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"Die Kanäle der Macht. Herrschaft und Freiheit im Medienzeitalter" lautete der Titel des 6. Philosophicums Lech (12.-15. 9.). Nach einleitenden Überlegungen auf dieser Seite, die nicht unmittelbar im Bezug zum Philosophicum stehen, lesen Sie ein Interview mit dem Frankfurter Soziologen Karl Otto Hondrich, der den Eröffnungsvortrag am Arlberg hielt, sowie die stark gekürzten Referate von Cora Stephan und Peter Glotz. Im Frühjahr 2003 wird, wie jedes Jahr, bei Zsolnay ein Dokumentationsband der Tagung erscheinen.

Die Massenmedien bereiten die Informationsfülle in leicht verdaulichen Häppchen für uns auf.

Öffentlichkeit ist nicht anders als medial vermittelt erfahrbar.

Das Geheimnis ist im innersten Kern der Macht ... Der Mächtige durchschaut, aber er lässt sich nicht durchschauen." So sieht Elias Canetti in "Masse und Macht" Wissen und Information als etwas Elitäres. Das Buch ist 1960 erschienen, lange vor der Verbreitung des Internet.

Aber gilt in der Generation @ der alte Leitspruch "Wissen ist Macht" nicht mehr denn je? Geistige Arbeit wird eindeutig höher bewertet als körperliche, eine Tatsache, die der Gleichberechtigung der Frau ebenso entgegenkommt wie sie Bildungsoffensiven voraussetzt und bedingt.

Information ist heute überall zugänglich, in einem Maße, das den einzelnen leicht überfordert. Wir leben in einem Chaos der Datenflut und der Müll schwimmt gerne obenauf. Information ist noch lange nicht Wissen und positivistisches Wissen macht noch keine Bildung. "Was die Welt im Innersten zusammenhält", ist nicht so leicht zu durchschauen. Und hier kommen die Medien ins Spiel, sie sollen uns komplexe Zusammenhänge, kritischen Umgang mit Einzelinformationen und ihre Einordnung in größere Sinneinheiten vermitteln.

Der französische Philosoph Michel Foucault bestimmt die Umstände des Diskurses durch ein Ritual, das nach dem System der Ausschließung und Verbreitung funktioniert. Das betrifft auch die Medien, mit Ausnahme des Internet. Denn im Netz sind hierarchische Strukturen zu vernachlässigen, es herrscht bis zu einem gewissen Grad Anarchie der Informationen bzw. sehr weitgehende Gleichberechtigung von Substanz und Schrott.

Das soll nun nicht heißen, dass herkömmliche Medien nur Qualität verbreiten, aber sie bieten Information selektiv an - und aufbereitet für bequemeren Konsum. Die Beiträge enthalten Bewertungen, Kommentare, transportieren Meinungen und Einstellungen ihrer Schöpfer und von deren Vorgesetzten. Radio- oder Fernsehsender haben ein gewisses Image, Printmedien ihre Blattlinie - und sie alle ihr Zielpublikum, das informiert und eventuell sogar manipuliert werden soll.

In der Informationsgesellschaft sind Fertigkeiten wichtiger geworden als absolutes Wissen. Es stellt sich weniger die Frage "Was weiß ich?" als "Wo kann ich nachschauen?" - und vor allem "Wie gehe ich mit Informationen um?". Und Massenmedien bestimmen, was an die Öffentlichkeit gelangt, und wie das geschieht. Wir erfahren das öffentliche Leben durch den Filter der Medien, die wir konsumieren. In diesem Sinne sind sie die modernen Hüter der Geheimnisse in Canettis Sinn, indem sie die Auswahl treffen, welches "Geheimnis" gelüftet werden soll.

Nixon gegen Kennedy

Welche Machtposition damit verbunden ist, darüber haben sich Kommunikationswissenschafter den Kopf zerbrochen, seit diese Disziplin zur Wissenschaft erhoben wurde. Das ist aber noch gar nicht lange her. Hierzulande etwa führten Erfahrungen mit modernen Propaganda-Methoden, vor allem im Zweiten Weltkrieg, Mitte des 20. Jahrhunderts zur Gründung des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Vor allem seit der Erfindung des Fernsehens war die Rolle der Medien in der öffentlichen Meinungsbildung ein beliebtes Thema für die Forschung - mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Im Mittelpunkt stand vor allem die Frage: "Können Medien die Einstellung einzelner verändern oder allenfalls bestätigen?" Zunächst schien die Allmacht der Massenmedien offensichtlich und das Zeitgeschehen eben jene zu bestätigen: Nixon verlor gegen Kennedy erst ein Fernsehduell und dann die Wahl, die Kronen Zeitung entschied mit im Fall Hainburg.

Später galt Meinungsbildung als Prozess auf persönlicher Ebene, geleitet von sogenannten Opinion-Leadern: Pädagogen, Vorgesetzte oder vor allem beliebte und geachtete Zeitgenossen. Darauf folgte schließlich in den achtziger Jahren die Theorie vom "Zwei-Stufen-Fluss", in dem Massenmedien zunächst eine relativ kleine Gruppe von Menschen erreichen, die aber dann Informationen im persönlichen Gespräch weitergeben. Die Wahrheit lag also in der Mitte.

In den letzten Jahren hat sich allerdings wieder einiges geändert. Massenmedien sind heute zwar nicht eben allmächtig, aber mit stetig verbesserten technischen Möglichkeiten und damit ständig steigendem Output doch nahezu allgegenwärtig. Mit der Verbreitung des Internet ist die Rolle des Informationskonsumenten von der vielzitierten Passivität des Fernsehzuschauers immerhin schon auf den Level des interaktiven Internetsurfers aufgestiegen, der in einer Reihe von Foren seine geistigen Duftmarken im Netz hinterlassen oder mittels eigener Homepage selbst ein kleines Massenmedium kreieren kann. Mündiger Bürger des 21. Jahrhunderts, mit allen virtuellen Wassern gewaschen.

Auf der anderen Seite steht der Boom der Nachmittags-Talk- und Reality-Shows. Während im deutschen Kabelfernsehen Liebeskummer und Intimsphäre all jener durch den Äther schwirren, die das wünschen, hat die Big-Brother-Epidemie kürzlich Ungarn erfasst und Die Truman Show liegt bereits wenige Jahre nach der Premiere so nahe an der Realität, dass der Film nur mehr schwerlich als utopischer Thriller gesehen werden kann.

Die Idee der ständigen Überwachung, der völligen Offenlegung der Privatshäre ist keineswegs neu - neu ist allerdings die Freiwilligkeit, mit der Menschen wildfremde Zuschauer an ihrem Alltag teilhaben lassen: für Geld oder um einmal im Leben ein Sternchen zu sein.

Die Beobachtung eines Individuums rund um die Uhr kannten wir vorher eher aus strafrechtlichen oder psychiatrischen Einrichtungen. Bei Foucault erfahren wir von Jeremy Benthams Entwurf aus dem 18. Jahrhundert für ein "Panopticon": einem so konstruierten Gefängnis, dass der Insasse in jedem Winkel seiner Zelle sichtbar bleibt. Es gibt kein Versteck, kein Geheimnis: eine klassische Ohnmachtsposition einer technischen Einrichtung gegenüber. Man wird gesehen, ohne zu sehen. Wie in Big Brother ...

Der Zuschauer auf der anderen Seite befindet sich hingegen in einer klassischen Machtposition. Er sieht, ohne gesehen zu werden, kann sich einschleichen in fremdes Leben. Die große Beliebtheit der Reality Shows beruht wohl nicht zuletzt auf diesem Phänomen.

Macht über Medienmacht

Der englische Philosoph Bertrand Russell verweist auf drei Möglichkeiten, ein Individuum zu beeinflussen: physische Gewalt, das Modell von Belohnung und Strafe sowie Propaganda. Letzteres, meist einzig im Zusammenhang mit Massenmedien begriffen, bezieht sich auf deren Wirkung, greift jedoch zu kurz in der Frage: "Die Medien kontrollieren die Mächtigen, aber wer kontrolliert die Medien?"

In Diktaturen ist etwa physische Gewalt an Journalisten keine Seltenheit, aber auch in einer funktionierenden Demokratie sind Medien keineswegs nur gesetzlichen Spielregeln unterworfen. So sehr jeder, der in der Öffentlichkeit stehen will, auf möglichst breite Berichterstattung angewiesen ist, so sehr brauchen Journalisten die Objekte ihrer Beiträge. Interviews zu gewähren oder zu verweigern bzw. die Weitergabe oder das Zurückhalten von Informationen sind immer noch typische Belohnungen oder Strafen. Und in Einschaltqouten und Verkaufszahlen äußerst sich schließlich die nicht zu unterschätzende Macht des Publikums über seine vermeintlichen Manipulierer.

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