Macht den ORF interaktiv!

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ORF-Debatte allerorten. Unabhängige Zeitungen, auch DIE FURCHE unterstützen das Manifest der Aktion "Rettet den ORF". Stiftungrat und Politik beraten die Sanierung des ORF. Dessen Generaldirektor, Alexander Wrabetz, präsentiert in zehn Thesen "Wir bieten ..." die Leitlinien des Unternehmens. Peter A. Bruck unterzieht sie einer kritischen Prüfung.

Meine Mutter sieht viel fern. Sie ist 84 Jahre alt und begeistert vom ORF und auch von der Programmreform. Besonders schätzt meine Mutter den ZIB Flash und die Diskussionssendungen, inklusive dem Club 2.

Die "jungen Leute", die den ZIB Flash präsentieren, machten das mit einer erfrischenden Natürlichkeit und einem hohen Informationsgehalt, sagt sie. Auch Armin Wolf schätzt meine Mutter. Er hätte in den letzten Jahren viel dazugelernt, sei nun viel ruhiger und gehe gut auf seine Interviewpartner ein.

Meine Mutter hört auch viel Radio, ORF und Radio Stephansdom. Diese beide verbinden sie mit der Welt, die sie interessiert und an der sie aktiv teilnimmt.

Mein Sohn sieht auch fern. Nicht so viel wie seine Großmutter. Er ist 16 und ist am ORF nicht interessiert. Mein Sohn sieht RTL 2 und wenn mittwochabends Stargate Atlantis ausgestrahlt wird, ist die Couch im Wohnzimmer besetzt. Wenn es sich um eine Doppelsendung handelt, bis fast um 23 Uhr.

Es wird gechatted und getagged …

Mein Sohn hört auch viel Radio, aber selten bis nie ORF. Er hängt im Internet und "legt auf" für seine Freunde. Für acht oder zehn Kollegen aus der Schule stellt er einen Audiostream zusammen. Gleichzeitig wird gechattet und getagged, kommentiert und geplaudert oder geblödelt. Manchmal hört er FM4.

Die gegenwärtige Aufregung um den ORF ergreift nicht alle in Österreich. Es ist ein Elitenkampf der älteren Generation. Das heißt nicht, dass die Plattform "Rettet den ORF" nicht recht hat (vgl. Seite 5 unten, Anm.). Sondern es zeigt auf, dass es - überspitzt formuliert - sich hier um ein 50plus-Problem handelt; die "ältere Generation" geht hier in die Auseinandersetzung. Noch einmal: zu recht, aber doch mit beträchtlichen Abstrichen.

Zu den Fragen der Einmischung der Politik, der Refundierung der Gebührenbefreiungen, eines neues Kollektivvertrags etc. wird an anderer Stelle ausreichend diskutiert. Mir erscheint die laufende technologische Veränderung als unzureichend verstanden und mangelhaft in Rechnung gestellt.

In den zehn Punkten des Leitbildes, das Alexander Wrabetz am 2. April dem Stiftungsrat vorlegt (siehe rechte Seite), kommt die technologische Revolution durch Digitalisierung und Internet, mobile Mehrfunktionshandgeräte und Interaktivität nicht vor.

Wrabetz' Leitbild gegengelesen

Als Spezialübung für Furche-Leser sei hier das Leitbild von Alexander Wrabetz kritisch gegengelesen und :

1. "Wir" bieten zwar Programm für Österreich, aber in den alten Medienkanälen TV und Radio mit ein bisschen Zusatz-Info online.

2. "Wir" sind unabhängig, stehen aber neben den Mächtigen und verwenden ihre Instrumente der alten Medien; Social Software kennen wir nur aus Berichten.

3. "Wir" leisten ein universelles Programmangebot, aber die Kategorien, was Programm inhaltlich und formatsmäßig ist, stammen aus den 70er Jahren.

4. "Wir" vermitteln Vielfalt, aber nach dem etablierten Institutionengleichgewicht der Republik; demokratische Meinungsvielfalt wird "sichergestellt", ist aber nicht Ergebnis von partizipativer Kultur.

5. "Wir" sind Fenster zu Europa und der Welt und dienen als "österreichische Orientierungshilfe in der Angebotsvielfalt der digitalen Medienwelt", aber wir sehen uns eher als frontalunterrichtende Lehrer denn als Plattformbereiter und Ermöglicher.

6. "Wir" sind Qualitäts- und Marktführer, innovativ und kreativ, aber nur bei der Art von Contents, die für "uns" zählen und dann auch nur soweit, als wir uns das leisten können. Crossmedia gehört nicht dazu.

7. "Wir" informieren und verbinden und machen professionellen Journalismus, aber unser Informations- und Redaktionsverständnis ist aus den 70er Jahren. Nur bei Ö3 dürfen die Fahrer beim "schnellsten Verkehrsservice" Österreichs Content liefern, der sogleich on Air geht.

8. "Wir" unterhalten, aber wir behandeln unsere Nutzer lieber als passives Publikum und halten an unserem Programmverständnis aus den 70er Jahren fest (Gottschalk sei dank, Endemol bleibe uns nahe).

9. "Wir" bilden und sehen uns als Gedächtnis, aber wir verstehen die Lernformen der Gegenwart und die Lernbeziehungen der Zukunft eigentlich nicht.

10. "Wir" schaffen und vermitteln Kultur und haben zentrale Werte, aber diese werden nicht in der Art und Weise, wie wir unsere Technologie nutzen, umgesetzt.

Zusammenfassung: Bei Wrabetz sind die Schläuche die alten, nur der Wein wird täglich frisch eingefüllt.

Das obige Gegenlesen soll aufzeigen, dass es nicht einen Punkt im Leitbild, nicht einen Absatz in den Thesen des Strategiepapiers von Alexander Wrabetz und seinen Kollegen gibt, die nicht eigentlich anders gedacht werden könnten und auch müssten.

Aufgebrochene Kommunikationsstruktur

Die Digitalisierung und das Internet stellen eben eine fundamentalerer Zäsur dar als der Wechsel von gedruckter Zeitung zu ausgestrahlten Hörbild und nachfolgend entwickeltem Sehbild.

Digitalisierung und Internet brechen die Kommunikationsstruktur und das Beziehungsmodell der sich seit dem 17. Jahrhundert entwickelnden Massenmedien auf und führen ein gänzlich neues, radikal veränderndes Element ein: Interaktivität. Keine Kultur und keine Gesellschaft, keine Wirtschaft und kein politisches System hat diese Interaktivität jenseits der persönlichen, unmittelbaren und gleichzeitigen Gegenwart bisher gekannt. Hier vollzieht sich ein radikaler Bruch durch die technologische Mediengrundlage.

Nutzergenerierter Inhalt kann und wird nicht ein Addendum zum gegenwärtigen Inhalteangebot sein und bleiben. Internet ist für TV nicht eine zusätzliche Distributionstechnologie bzw. ein neuer Kanal. Hier wächst auch nichts zusammen, sondern es wird radikal anders.

Dann mag öffentlich-rechtlicher Auftrag nicht mehr meinen, Qualitätsinhalte mit möglichst großer und lauter Posaune im Land erschallen zu lassen, sondern eine kommerzfreie und daher inhaltlich offene Interaktionsplattform zu schaffen, beleben und auch zu moderieren.

Klar ist, dass es hier weit und breit keine patentierten Antworten gibt, wie das gut gelingen kann. Aber es gibt Versuche: So stellt die BBC genau in diesen Tagen auf der MIPTV in Cannes ihre neuesten Konzepte und Ansätze vor, der kanadischen National Film Board zeigt ebenhier in Cannes auf, wo es hingeht mit Format und Genres von Dokumentationen, wenn Interaktivität nicht nur Teil, sondern Grundlage des kreativen Produktionskonzeptes ist. Entlang dieser Linien ist weiterzuarbeiten.

Weg vom ORF, hin zu ORFI!

Meine Mutter mag Alexander Wrabetz und hält ihn für einen ehrlichen und bemühten ORF-Chef. Für meinen Sohn ist Alexander Wrabetz kein Begriff.

Damit der ORF "eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Institutionen Österreichs" (so der Manifesttext der Plattform "Rettet den ORF!", siehe unten) nicht nur bleibt, sondern auch wird, muss es der ORF-Leitung gelingen, den Überstieg von einem Rundfunkverständnis zu einem Internetverständnis zu machen.

Dann macht auch die zentrale Verwendung des Begriffs "Content" Sinn. Also weg vom ORF, hin zu ORFI! - Rundfunk, Fernsehen, Internet.

* Der Autor arbeitet als Kommunikationswissenschafter in Salzburg und Wien und forscht an Internet-Technologien und Neuen Medien

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