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„Nobilissima Visione“

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In der Kirche San Francesco haben Schüler Giottos in einer Reihe von Fresken^ das Leben des hl. Franziskus von Assisi dargestellt; als Pater Seraphicus erscheint er am Ende des II. Teiles von Goethes „Faust“. Nun stellt ein zeitgenössischer Komponist — der von seinen ersten Versuchen (darunter einigen abstrakten und expressionistischen Tanzspielen) über die Grünewald-Oper „Mathis der Maler“ bis zu seinem letzten Werk, einer Oper um Johannes Kepler, einen weiten Weg zurückgelegt hat — die Gestdt des Heiligen in den Mittelpunkt einer Tanzschöpfung, die er „Nobilissima Visione“ nennt. „Nobilissima Visione“ — das ist die Erscheinung, die der junge Franziskus auf dem Möns Alvernus hatte, nachdem er, ähnlich dem „Jedermann“, das Leben eines reichen jungen Weltmannes geführt und kriegerische Taten vollbracht hatte. Nur flüchtig vermag ihn im Kreise »einer Freunde ein Bettler zu rühren. Da erscheinen ihm Armut, Gehorsam und Keuschheit, die ihm seine Sendung kundtun. Als ein Fremder kehrt Franziskus in sein Elternhaus zurück, das er — von seinem Vater verstoßen — nun endgültig verläßt. Feierliche Meditation, mystische Hochzeit mit der Armut und der berühmte Sonnengesang Laudes creaturarum bilden den Vorwurf für die letzten Bilder des Tanzspieles da« L. M a s s i n e entwarf und zu dem Paul H i n d e m i t h die Musik schrieb.

Die Partitur umfaßt ein Vorspiel und zehn mehr oder weniger geschlossene Nummern, die den zehn Szenen der Balletts entsprechen. Es ist selbstverständlich, daß ein Meister wie Hinde-mith keine choreographische Untermalungsmusik schreibt, sondern sich, dem Stil und Rang des Gegenstandes angemessen, strenger Formen bedient. Trotz der Verwendung von Ostinato, Aria antica, Pastorale und Passaccaglia ist die Musik dramatisch wirksam und stellenweise auch sehr gestisch empfunden. Stilistisch gehört „Nobilissima Visione“ in die Nähe des „Mathis“ und erscheint uns als eines der vollkommensten und reinsten Werke Hindemiths, dessen Hauptreiz in der Verbindung friihitalienischer und altdeutscher Elemente liegt.

Diesen eigentümlichen Stil versucht Erika H a n k a ins Tänzerische zu übertragen. Bedenkt man die außerordentliche Schwierigkeit, mit einem größeren Ensemble — das im Ausdruckstanz nur oberflächlich geschult ist — ein so empfindliches Sujet zu gestalten, so muß der Gesamtleistung des Staatsopernballetts in der Volksoper hohe Anerkennung gezollt werden. Carl Raimund als Franziskus und Lisi Temple als Armut hatten die schwierigsten Aufgaben zu lösen. Die Bühnenbilder und Kostüme R. Kaut-skys, der sich immer mehr als einer unserer geschmackvollsten und zuverlässigsten Künstler erweist, waren vorzüglich. Ebenso bewährte sich das junge Volksopernorchester, das Felix Pro-haska (Premiere) und Otto Ackermann leiteten.

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