6847243-1976_27_14.jpg
Digital In Arbeit

Adlers rentable Bauchlandung

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Bücher über zeitgeschichtliche Themen. Jedes auf seine Art exemplarisch. Das eine: Die Darstellung eines historischen Ereignisses mit historischer Akribie und erzählerischem Temperament. Der Sohn eines 1939 gefallenen britischen Seeoffiziers (und selbst Seekriegsteilnehmer) schildert den Untergang des deutschen Schlachtschiffes „Bismarck“. Das andere: Auch von einem Briten. Aber: Eine vergleichsweise recht unwichtige Episode des Zweiten Weltkrieges wird hier in einer Art und Weise zu einem Kolportagereißer ausgewalkt, daß es zuletzt nicht einmal mehr interessant erscheint, was wahr und was erfunden ist.

Allerdings: Ersteres Buch, „Versenkt die Bismarck!“ von Ludovic Kennedy (bei Molden), lesen nur Leute mit echtem zeitgeschichtlichem Interesse. Das andere hingegen, „Der Adler ist gelandet“ von Jack Higgins (bei Scherz), wurde ein irrer Erfolg. Genau davon kann man in diesem Fall reden. Denn nur eine Art von Irrsinn macht einen solchen Erfolg möglich.

Wochenlang auf den Bestsellerlisten der USA und Englands, riesige US-Taschenbuoh-Abschlüsse, Serienabdrucke in seriösen Zeitungen von der „Neuen Zürcher“ bis zum Wiener „Kurier“. Um so schlimmer. Denn ein solcher Erfolg läßt nur den Schluß zu, daß Millionen von Menschen schon wieder an einem riesigen Nachholbedarf an genau jenem Heldentum von blödsinniger Borniertheit leiden, das jeder großartig findet, wenn er sich mit den Ideen, für die da gestorben wird, im Kern ja doch mebr oder weniger identifiziert, und das jeder zum „verbrecherischen Fanatismus“

stempelt, wenn die „Helden“ aus seiner .Perspektive -auf der falschen ■Seite stehen.

Was das erstgenannte Buch in erschütternder Weise herausarbeitet, wird vom anderen bis zur Unkenntlichkeit vernebelt. Ludovic Kennedy gelang sehr viel mehr als die Dokumentation des letzten großen Aufeinanderpralls der bei ihrem Bau, ohne daß es Admiräle und ihre Auftraggeber wußten, für den modernen Seekrieg bereits völlig unbrauchbaren „Saurier der Meere“, der Schlachtschiffe. Die „Bismarck“ versenkte die „Hood“, wurde durch einen Zufallstreffer in die Ruderanlage manövrierunfähig und ihrerseits zur Strecke gebracht. Die „Hood“ war mit 42.000 Tonnen das

größte Kriegsschiff der Welt. Zwischen dem verhängnisvollen Treffen in die ungenügend gepanzerte Munitionskammer und dem Untergang vergingen zwei Minuten. 1500 britische Seeleute starben. Als die „Bismarck“ endlich sank, war sie seit Stunden nur noch ein brennendes Chaos. Von den 2000 Besatzungsmitgliedern überlebten 107.

Der strategische Effekt war für England wie für Deutschland null. Der Tod von 3500 Menschen und der Verlust des größten und des modernsten Schlachtschiffes der Welt hatte einen psychologischen, aber keinerlei militärischen Effekt. Was das Büch von Ludovic Kennedy so lesenswert macht: Er beschreibt nicht nur die Stadien einer Schlacht, sondern auch die Situation des „kämpfenden“ Menschen, der kein Held ist, sondern ein Teil der Maschine, der das Gerät bedient, bis es ausfällt, und dann, nun wirklich, aber um sein Leben, kämpft. Für „Heldentum“ ist da kein Platz. Eher schon für das Tragische: Admiral Lütjens, der Chef des Flottenverbandes, und Kapitän zur See Lindemann, der Kommandant der „Bismarck“, konnten, als das Schlachtschiff das Feuer einstellen mußte, den Befehl zum Verlassen des Schiffes nicht mehr geben. Wahrscheinlich waren sie zu diesem Zeitpunkt tot, vor allem aber gab es keine Möglichkeiten mehr, Befehle weiterzuleiten, und für einen Großteil der Besatzung auch keine Möglichkeit, das Deck des brennenden Schiffes zu erreichen. Der Tod auf der „Bismarck“ hatte mehr mit dem Tod in einem brennenden Kaufhaus als mit dem Tod in der Schlacht gemeinsam.

Die innerste Botschaft dieses Buches, akribisch in die Details der Berichterstattung verpackt, ist die Botschaft von der Sinnlosigkeit des Heldentums.

Dabei gelingen Kennedy eindrucksvolle literarische Momente —

etwa, wenn er die Explosion der „Hood“ in Form eines Puzzlespiels aus isolierten einzelnen Beobachtungen von Personen, die zufällig gerade in jene Richtung blickten, schildert. Wobei die Beobachtungen einander widersprechen, was dem einen aus „Dampf“ zu bestehen scheint, ist für den anderen „gelb“, was der eine als „lange, blaßrote Zunge“ sieht, ist dem anderen eine „rote und weiße, trichterförmige Glut“ — Kennedy läßt, wo die historischen Dokumente schweigen, die Überlebenden sprechen, gibt nichts dazu und nimmt nichts weg. So sollen zeitgeschichtliche Bücher sein.

Jack Higgins hingegen vollführt mit seinem „Der Adler ist gelandet“ journalistisch-schriftstellerisch zwar eine sehr schlimme Bauchlandung, steigt aber als Millionär aus den Trümmern. Die Episode, auf der sein Buch, wie er selber angibt, beruht, kann — obwohl er jeglichen dokumentarischen Nachweis schuldig bleibt — stattgefunden haben, kann aber auch erfunden sein. Es kommt auf dasselbe heraus. Handlung: Nachdem Skorzeny Mussolini mit einem Fieseier Storch „befreit“ hat, wünscht sich Hitler ein Kommandounternehmen zur Entführung und notfalls Ermordung Churchills. Da der „Abwehr“ des Admirals Canaris zufällig gerade Meldungen zugespielt werden, man erwarte Churchill für ein Wochenende in einem Ort an der englischen Südküste, erzwingt Himmler die Durchführung des wahnwitzigen, aber durchaus in das Hitler-Himmlersche Denkschema passenden Plans. Deutsche Fallschirmjäger aus einer Strafkolonie werden dazu ausersehen, sich zu bewähren, und sterben den „Heldentod“, ohne je zu erfahren, daß der „Churchill“, dem der Plan gilt, nur ein Doppelgänger des “Premiers ist, der von dessen tatsächlichem Aufenthalt an einem ganz anderen Punkt des Globus abzulenken hat.

Mich hat dieses Buch in zweifacher, Beziehung abgestoßen. Erstens einmal sehe ich in der vom Autor dem Buch vorangestellten Erklärung eine Zumutung, denn er schreibt: „Es besteht mindestens zu fünfzig Prozent aus historisch belegten Tatsachen. Der Leser möge selbst entscheiden, inwieweit der Rest erdacht oder erdichtet ist...“

Dies zu entscheiden, ist der Leser nicht zuständig. Im Gegenteil. Er kann wohl mit Berechtigung den Anspruch erheben, vom Autor darüber informiert zu werden. Der aber macht es sich schön bequem, teilt auch gar nicht mit, welche Hälfte die wahre sein soll. Ob jemand ein romanhaft geschriebenes zeitgeschichtliches Sachbuch oder einen völlig erfundenen Roman lesen will — Higgins liefert sozusagen ein Mehrzweckprodukt für den Fiction-wie für den Nonfiction-Markt zugleich.

Mangels des geringsten Beweises dafür, daß sich das, was Higgins erzählt, auch ereignet hat, müssen wir das Buch also als Roman bewerten. Und da passen alle jene Wörter, die Autoren so gern in Kritiken lesen: „flüsssig erzählt“ und „spannend“ und „gut gebaute Handlung“ und „dramatisch“. Aber was steckt dahinter? Entweder eine unerfreuliche Gesinnung — oder ein unerfreuliches Kalkül.

Da wären einmal die Personen. Abgesehen von Hitler und Himmler ist es, völlig unmöglich, in diesem Buch auch nur einen einzigen Deutschen mit bedenklichem Charakter oder auch nur einem ganz klein wenig NS-Fanatismus zu finden. Herrliche Menschen sind das. Blond und blauäugig bis in die Seele. Oberstleutnant Steiner, der Anführer des Unternehmens, hat einst, als gerade das Ghetto von Warschau niederkartätscht wurde, mit seiner Einheit die Stadt passiert, einem jüdischen Mädchen mit gezogener Pistole die Flucht ermöglicht (!) und sogar dem Massenmörder von Warschau, Stroop, Paroli geboten (!), wurde mit seiner ganzen Einheit degradiert und tut sein Bestes, Churchill zu fangen und notfalls zu töten, weil Himmler droht, sonst den Vater des Herrn Steiner, einen Antinazi (!), umzubringen. Und auch der Mann, der das ganze Unternehmen organisiert, hat Angst um seine Familie und tut daher sein bestes. Die Männer des Herrn Steiner folgen dem sowieso blind durch dick und dünn — außer Himmler kein einziger echter Nazi im ganzen Buch, der aus Uberzeugung Churchill umbringen will.

Und wie sympathisch, ja, liebenswert ist erst der IRA-Mann Devlin, dem der Autox dafür auch als einzigem das Davonkommen gestattet, sonst wäre,ja auch die unumgängliche Lovestory zu traurig. Lauter Leute mit Charakter und Prinzipien, die nur das Pech haben, auf der fal-

schen Seite zu kämpfen. Zum Ausgleich tummeln sich auf der „richtigen“ Seite, buntgemischt mit ebenfalls braven Leuten, eine ganze Reihe echter Schweinehunde. Ein widerwärtiger amerikanischer Major, dem für seine Karriere jedes Opfer an Untergebenen recht ist, und natürlich auch ein Jude, der so gezeichnet ist, daß Reichspropagandaminister Goebbels seine Freude daran hätte. (Übrigens: Einen Schweinehund gibt es ja doch auch auf der deutschen Seite. Aber der ist ein übergelaufener Engländer.)

Die Deutschen sterben am Ende ausnahmslos wie echte deutsche Recken, weiland Hagen ist nichts dagegen. Nur Steiner kommt an den (angeblichen) Premier heran, und die betreffende Stelle muß ich zitieren, denn sie ist ein Höhepunkt an Falschheit und unfreiwilliger Komik: „Als er den Fuß auf die oberste Stufe setzte, knirschte unter seiner Sohle ein Kieskörnchen. Der Premierminister fuhr jäh herum, und die beiden Männer standen sich Auge in Auge gegenüber. Der Premierminister nahm die Zigarre aus dem Mund. Das steinerne Gesicht verriet weder Überraschung noch Furcht. Er sagte: .Oberstleutnant Kurt Steiner von den deutschen Fallschirmjägern, wenn ich nicht irre?' — ,Mr. Churchill...' Steiner zögerte. ,Ich bedaure, Sir, aber ich muß meine Pflicht tun.' — .Worauf warten Sie dann noch?' sagte der Premierminister ruhig.“

Offenbar steht in den USA, wo dieses Buch ebenfalls ein Bestseller wurde, die NS-Nostalgie in hohem Schwange. Der deutsche Soldat — einst ein Unter-, jetzt ein Übermensch. Wer hierzulande derlei verschlingt, glaubt man zu wissen. Anderswo hat Vietnam ähnliches zustande gebracht.

VERSENKT DIE „BISMARCK“! — Triumph und Untergang des stärksten Schlachtschiffes der Welt. Von Ludovic Kennedy. Verlag Molden, Wien, 276 Seiten, 30 Abbildungen,^ Karten. öS 246.—.

DER ADLER IST GELANDET von Jack Higgins. Verlag Scherz, Bern-München, 336 Seiten, öS 228.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung