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In Khaki und Feldgrau

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Drei Bücher vom Krieg: Wochenend In Zuidcoote. Von Robert Merle. Biedersteln-Verlag, München. 273 Selten. — Die Geschlagenen. Von Hans Werner Richter. Verlag Kurt Desch, München. 458 Seiten. — Der bittere Lorbeer. Von Stefan H e y m. Paul-Llst-Verlag, München-Leipzig-Freiburg. 832 Selten

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Drei Bücher vom Krieg: Wochenend In Zuidcoote. Von Robert Merle. Biedersteln-Verlag, München. 273 Selten. — Die Geschlagenen. Von Hans Werner Richter. Verlag Kurt Desch, München. 458 Seiten. — Der bittere Lorbeer. Von Stefan H e y m. Paul-Llst-Verlag, München-Leipzig-Freiburg. 832 Selten

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Drei Bücher über einen Krieg. Männer haben sie geschrieben, die für die Trikolore fochten, die unter der Reichskriegsflagge marschieren mußten, die mithalfen, das Sternenbanner auf das europäische Festland zu tragen. Soldaten in Khaki und Feldgrau ...

Wochen end 1 n Z u i d c o o t e“ Freundlich, beinahe verspielt und verliebt klingt der Titel, den der Franzose Robert Merle seinem Roman“ voransetzte. Er erinnert an mondänes Strandleben in den Bädern zwischen Ostende und Dünkirchen, er zaubert Bilder von einer blauen See und heiterem Himmel vor das Auge. Ferien ... Ferien“ hatten auch bereits die Regimenter und Divisionen der französischen Armee, als sie Ende Mai 1940 hier, aufgelöst und zersprengt in kleine Truppen, mit den Resten des britischen Expeditionskorps auf einem schmalen Landstreifen zwischen der Küste und den nachstoßenden deutschen Panzerspitzen von Stunde zu Stunde enger zusammengedrängt wurden. Die Szene ist gestellt, vor der Robert Merle sein Spiel, welches das Schicksal eines versprengten Trupps französischer Soldaten, ihr letztes Wochenende, zum Schicksal hat, beginnen lassen kann. — Ein Akt aus einem großen Drama, bei dem wir alle einmal mitgespielt haben. Von Menschen in Uniform wird erzählt, nicht von Soldaten. Das große Thema heißt nicht so sehr beredte Anklage des Krieges, seiner Greuel und Unvernunft — wie sie nach Erich Maria Remarque Schule gemacht hat. Hier wird ein neuer Ton angeschlagen. Als Franzose kann Merle es sich erlauben, über die Verwüstungen der Außenwelt hinwegzusehen und seine Aufmerksamkeit den Verheerungen zuwenden, die der Krieg im Innern des Menschen angerichtet hat. Gleich dem Kaninchen, das, von der Kobra hypnotisiert, regungslos auf den tödlichen Biß wartet, erliegt bei Merle der Mensch der Faszination des modernen Krieges. Hoffnungslos ist er ausgeliefert, unfähig selbst etwas zum Guten zu wenden — alle Versuche schlagen in das Gegenteil um — erliegt er schließlich, entseelt bereits vor dem Tode. Eine schreckliche und erschreckende Vision: die Soldaten eines in Flammen aufgehenden Truppentransporters, nahe der Küste, sind unfähig, den rettenden Sprung ins Wasser zu tun... Ein Kriegsbudi, das fast gar nichts vom Krieg, dafür aber von den Menschen im Krieg berichtet. Knapp ist die Sprache, von großer Anschaulichkeit und nicht ohne echte dichterische Intention.

Wenige Jahre nach dem Mai 1940 waren die Sieger von Dünkirchen Die Geschlagenen“. Aus der Feder von Hans Werner Richter stammt das erste Buch des zweiten Weltkrieges, dessen Verfasser deutscher Soldat gewesen war. Uber dem Werk steht die Widmung: Meinen vier Brüdern, die Gegner und Soldaten dieses Krieges waren, die ein System haßten und doch dafür kämpfen mußten, und die weder sich selbst, ihren Glauben noch ihr Land verrieten.“ Deutlicher und kräftiger kann das aufwühlende Thema dieses Buches nicht angegangen werden. Am Leben einer Gruppe, die zur Deckung des deutschen Rückzuges in Italien auf den Bergen von Monte Cassino eingesetzt war, wird es gestaltet. Der aussichtslose Kampf, in dem auch die Gegner des nationalsozialistischen Systems sinnlose Befehle ausführen, kann als Sinnbild für das Ringen von Millionen gelten. Nur einen Ausweg scheint es zu geben: lebendig in Gefangenschaft zu kommen, um hier das Inferno überdauern zu können. „Wir sind Gefangene und doch frei“, sagt der Soldat Gühler — die Hauptfigur des Buches —, ein erbitterter Gegner des Nationalsozialismus, als er nach tagelangem Trommelfeuer mit seinen Kameraden in die Hände der Amerikaner fällt. Aber das war bittere Täuschung. Schon bei den ersten Verhören in der Gefangenschaft zeigte sich, daß die Amerikaner die psychische und politische Situation des deutschen Soldaten nicht erkennen und anerkennen, da sie von ihm auch den Verrat militärischer Geheimnisse fordern. Langsam dämmert der Gedanke, daß Hitlers Gegner in Deutschland die doppelt Geschlagenen dieses Krieges sein werden. Durch Erlebnisse in den amerikanischen Lagern wird er zur schmerzlichen Gewißheit. Verpflegung und Unterkunft sind einwandfrei, aber den Geist beherrscht eine Lager-Gestapo, die — Gefangene amerikanischer

Lager bestätigen es — oft einen noch schlimmeren Terror ausüben konnten als ihr Vorbild in der Heimat. Erkannte Gegner des Dritten Reiches werden von Mitgefangenen als Verräter erschlagen oder durch obskure „Ehrengerichte“ in den Selbstmord getrieben. Von den Bewachungsmannschaften aber ist keine Hilfe zu erwarten. Für sie sind alle Deutschen Nazis und auch die Forschheit der Unentwegten bleibt auf sie nicht ohne Eindruck. Ein guter Glaube erlischt, eine große Hoffnung versinkt in Apathie und Gleichgültigkeit.

Ein Kriegsbuch? Vielleicht noch mehr. Ein politisches Dokument jener verhängnisvollen alliierten Einstellung, das auch durch fünf Jahre Nachkriegspolitik leider wenig an Aktualität verloren hat.

Die Verlorenheit der menschlichen Freiheit nicht nur im totalitären Regime: auf den ersten Blick glaubt man, daß es Stefan H e y m gelungen ist, in dem Buch Der bittere Lorbeer“ (englischer Originaltitel „The Crusaders“) dieser Tragik Form zu geben. Auf 832 Seiten begleitet der Chronist eine amerikanische Einheit von der Normandie bis zu ihrer Verwendung in der Militärregierung des besetzten Deutschland. „Hitler in uns selbst“, heißt das Problem. Arroganz, Anmaßung und Korruption in den eigenen Reihen werden schonungslos bloßgestellt. Der Zwiespalt zwischen alliierter Propaganda und alliierter Wirklichkeit wird ohne Hemmungen gezeigt. Bei näherer Betrachtung aber muß man erkennen, daß nicht nur so manche Hoffnung auf die „Kreuzfahrer“ trügerisch war, sondern daß auch ihr Kritiker einem vielleicht noch größeren Trugbild zum Opfer gefallen ist. Dem guten“ Amerikaner wird der gute“ Deutsche gegenübergestellt, dem „bösen“ Amerikaner der „böse“ Deutsche. Es ist kein Zufall, daß die Grenze ungefähr dort verläuft, wo sie in der Politik gewöhnlich zwischen Links und Rechts gezogen wird. Die rosarote Weltbetrachtung des „Progressiv“ überspielt die gesunde und von der Stärke einer Nation zeugende Selbstkritik. La grande Illusion“ hieß einmal ein bekannter Kriegsfilm. Die große Illusion über die .Kreuzfahrer“ zu zerstören, zog Stefan Heym aus, er scheint auf diesem Feldzug einer noch größeren Illusion zum Opfer gefallen zu sein. Die Jahre nach 1945 haben ihm Gelegenheit gegeben, manche seiner Ansichten zu revidieren.

Drei Männer sehen den Krieg: der Franzose den Menschen in einer Welt der „geschlossenen Türen“, der Deutsche die Tragödie seines Volkes, der Wahlamerikaner ein weltfernes Idol. Drei Soldaten in Khaki und Feldgrau...

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