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Angst der Hirten vor den Wölfen

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Jedermann wußte, daß die Novemberpogrome von oben befohlener, aber vor Ort organisierter Straßenterror übelsten Ausmaßes waren. Daher hat es in der Bevölkerung neben aktiver Beteiligung auch demonstratives Fernbleiben, neben Schadenfreude auch Beschämung, neben Gleichgültigkeit auch inneres Entsetzen und neben ängstlichem Wegsehen auch Hilfsbereitschaft gegeben. Aber nirgendwo kam es zu Protestkundgebungen.

Heute beklagen viele, daß auch die christlichen Kirchen damals kein öffentliches Wort der Verurteilung gesprochen haben. Gewiß, viele Priester und Laien sind wegen offener Kritik an den antijüdischen Ausschreitungen von den NS-Behörden gemaßregelt worden. Wir kennen das Zeugnis des Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg, der später für sein mutiges Handeln in den Tod gegangen ist. Unsere Vorgänger im Bischofsamt hingegen haben keinen gemeinsamen Kanzelprotest erhoben.

Ihr Schweigen wirft auch deswegen Fragen auf, weil am kompromißlosen Nein der Kirche zu Hitlers Rassenpolitik kein Zweifel sein konnte. In seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937 hatte Papst Pius XI. festgestellt, wer Rasse, Volk oder Staat zur höchsten Norm erhebe, der verfälsche „die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge“. Der gleiche Papst rief ein Jahr später, am 13. April 1938, alle katholischen Universitäten und katholisch-theologischen Fakultäten zur Bekämpfung des Antisemitismus in Wort und Schrift auf. Im September 1938 sagte er: „Der Antisemitismus ist eine abstoßende Bewegung, an der wir Christen keinen Anteil nehmen können... Der

Antisemitismus ist nicht vertretbar. Geistlich sind wir Semiten.“ Die deutschen Bischöfe erließen zur NS-Rassenlehre auch ihrerseits ein Hirtenschreiben, das in den Wochen vor dem 9. November 1938 dem Klerus zuging. Darin stellten sie fest: „... in der Kirche gibt es grundsätzlich keinen Unterschied zwischen Volk und Volk, Rasse und Rasse.“

Dies war zwar kein direktes Eintreten für die Juden, aus der Sicht der Machthaber aber war es unmißverständlich und dadurch provozierend. Denn durch die permanente Infragestellung der Rassenideologie rüttelte die Kirche an den weltanschaulichen Grundlagen des Regimes. Wesentlichstes Ziel aller Seelsorge, hieß es in einem Grundsatzpapier des Kölner Kardinals Schulte, müsse es sein, „das Glaubensleben in möglichst vielen Katholiken so zu vertiefen und zu stärken, daß sie den Prüfungen der Zeit gewachsen sind, auch wenn Bekennertreue von ihnen verlangt wird.“

Dies ließ die Kirche in den Augen der Nationalsozialisten zu einem Hauptgegner ihrer Weltanschauung werden. Kurz nach den Novemberpogromen hielt ein regierungsamtlicher Stimmungsbericht fest: „Nur die von der Kirche beeinflußten Kreise gehen in der Judenfrage noch nicht mit.“

Aber genügten Gewissensbildung und weltanschauliche Immunisierung angesichts brennender Synagogen und Tausender mißhandelter jüdischer Mitbürger? - so fragen wir, nach 50 Jahren zurückblickend. Wäre nicht öffentlicher Protest, eine weit sichtbare Geste der Mitmenschlichkeit und Anteilnahme der vom Wächteramt der Kirche geschuldete Dienst gewesen?

Diese Fragen bedrücken uns um so mehr, als wir sie - im Unterschied zu den Zeitgenossen — im Wissen um Auschwitz stellen. Eines steht außer Zweifel: Die Zurückhaltung der Bischöfe ist überhaupt nur vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Kirchenkampfes zu verstehen, bei dem es für die Kirche um Sein oder Nichtsein ging. Anfang Oktober 1938 hatte der Kirchenkampf in Österreich mit der Verwüstung des Erzbischöflichen Palais in Wien einen ersten Höhepunkt erreicht. In München wurde gleichzeitig mit den Novemberpogromen unter der Parole „Gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen“ der Amtssitz von Kardinal Faulhaber gestürmt. Wenige Wochen zuvor war Bischof Sproll von Rottenburg nach inszenierten Krawallen aus seiner Diözese vertrieben worden. Ein großer Teil der Bevölkerung sah daher die antijüdischen Ausschreitungen als Generalprobe für künftige Angriffe auf die katholische (und die evangelische) Kirche.

Das befürchteten auch die Bischöfe. In ihrem gemeinsamen Hirtenwort vom 19. August 1938 hatten sie „die Zerstörung der katholischen Kirche innerhalb unseres Volkes, ja selbst die Ausrottung des Christentums“ als das Ziel der NS-Kirchenpolitik bezeichnet. So liegt die Vermutung nahe, daß die Bischöfe alles versucht haben, eine weitere Eskalation des Kirchenkampfes nicht ihrerseits zu provozieren.

Wohl haben sie in den folgenden Jahren ihre praktischen, aber unspektakulären karitativen Bemühungen zugunsten der Verfolgten verstärkt. Doch unbeschadet aller damaligen Opportunitätserwä-gungen fragen wir, ob im November 1938 nicht auch andere Formen brüderlicher Solidarität möglich und gefordert gewesen wären: Ein gemeinsames Gebet etwa für die unschuldig Verfolgten oder eine demonstrative erneute Bekräftigung des christlichen Liebesgebotes. Daß dies unterblieb, bedrückt uns heute, wo wir das Eintreten für die elementaren Rechte aller Menschen als eine die Konfessionen, Klassen und Rassen übergreifende Pflicht empfinden.

Aus der gemeinsamen Erklärung der Bischöfe der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und Österreichs im Gedenken an die Novemberpogrome des Jahres 1938.

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