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Apropos: Einfacher leben

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Ich möchte gleich zu Beginn meine Position zu der Alternativen-Bewegung klarstellen: Manche Tendenzen dieser Bewegung lehne ich ab, vieles daran ist mir sympathisch und manches erscheint mir unrealistisch.

Sympathisch finde ich das Spontane, das Selbsttätige. Unsympathisch hingegen das Elitistische, das oft mit einem Anspruch einer Heilslehre auftritt. Unrealistisch bis unsympathisch erscheinen mir hingegen die Anzeichen einer Abkehr von den Errungenschaften der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation, die Nostalgie für gute alte Zeiten, über die wohl eines gewiß ist: Sie haben ebensowenig die Gegenwart geschaffen, wie aus dem Heute die Zukunft entsteht!

Das Positive an der Alternativen-Bewegung, und das gilt auch für das Ergebnis der Zwentendorf-Abstim-mung, ist der Zwang, eine Antwort auf wesentliche, im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, administrativen und politischen Getriebe verdrängte Fragen zumindest versuchen zu müssen.

Zu diesen zählen: Was ist gesellschaftlicher Fortschritt? Welche Rolle spielt der technische Fortschritt? Welche Formen des Zusammenlebens der Menschen ergeben sich als Summe der Vielzahl täglicher Entscheidungen? Welche Vorstellungen von menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten haben wir? Wie kontrastieren diese mit der Realität, die viele unserer Mitmenschen erfahren? Geben wir uns mit dem markt-und staatsabhängigen Konsumbürger zufrieden? Oder gibt es dazu eine Alternative?

Die Alternativen-Bewegung in allen Industrieländern der Welt ist berechtigt, weil diese Fragen, hinter denen sich echte Bedürfnisse verstecken, zu selten gestellt wurden. Sie macht deutlich, daß eine zunehmende Anzahl von Menschen, vor allem der jüngeren Generation, sich gegen die wachsende Abhängigkeit unseres Lebens von technischen Gütern, Großinstitutionen des Marktes und des Staates, wendet. Sie haben durchschaut, was Max Horkheimer in die Worte kleidete: „Als angeblich selbständige Auftraggeber werden die Menschen durch imnier zweckmäßigere Dinge, die ihnen immer genauer vorschreiben, wie sie zu bedienen sind, zur Unselbständigkeit verhalten.“

Diese Bewegung ist gut, soweit sie sich gegen vermeidbare Fremdbestimmung durch Technik und Institutionen wendet und unnütze oder schädliche Produkte in Frage stellt. Diese Bewegung ist zweifelhaft, sobald sie verkennt, daß ohne moderne Technik und staatliche Institutionen weder die großen Krankheiten der Vergangenheit, noch das materielle Elend der Arbeiterschaft und der verarmten Handwerker und Bauern zu beseitigen gewesen wäre, daß aber die Beseitigung der noch bestehenden materiellen Not und der Ungleichheit der Lebenschancen ohne eine weitere materielle Expansion auch in unseren Ländern nicht möglich ist.

Was letztlich gut oder zweifelhaft ist, läßt sich nicht eindeutig von vornherein entscheiden. Dies festzustellen, bedarf einer sozialen Auseinandersetzung über die vielfältigen Vor- und Nachteile wie über den Kreis der Begünstigungen und Benachteiligten im konkreten Fall. Auch zu dieser Auseinandersetzung kann die Alternativen-Bewegung oft mehr beitragen als alteingesessene Institutionen. Jene Parteien werden sich letztlich am erfolgreichsten erweisen, die die aufgeworfenen Fragen und Probleme aufnehmen, ernsthaft studieren und, dort wo Alternativen aus Sackgassen herausführen, diese zu ihrem politischen Anliegen machen.

Die Geschichte der technisch-industriellen Zivilisation ist dabei nicht grundsätzlich eine Sackgasse. Aber es gibt in ihr Tendenzen, für die dies

zutrifft. Zur Kontrolle erscheint mir im konkreten Fall die Frage nützlich: In welchem Maße und für welche Menschen verbessern/verschlechtern neue Technologien, neue Institute, Institutionen, Gesetze, Berufe, Berufsberechtigungen usw. die Fähigkeit und Möglichkeit der Menschen, die Alltagsprobleme selbst oder in Gemeinschaft, also mit weniger Markt und weniger Staat, zu lösen?

Es wird sich dabei vermutlich zeigen, daß es keine Antworten geben kann, die eindeutig in allen Fällen gegen Großtechnologie oder Großinstitutionen sprechen.

Eine solche Frage kann uns aber auch zu einer neuen Einschätzung des technischen und gesellschaftlichen Fortschrittes verhelfen. Nicht mehr blindes Wachstum wäre danach gewünscht, sondern die Auswertung jener Produktionen, Techniken und Energieformen, die individuelle Lebenschancen und gesellschaftliches Zusammenleben fördern und Fremdbestimmung verringern.

Ungezügelte marktwirtschaftliche Verhältnisse erzwingen jedoch oft einen materiellen und technischen „Fortschritt“ zu Produkten, die individuelles und gesellschaftliches Leben gefährden, weil ohne sie hohe Beschäftigung nicht sichergestellt und Krisen nicht verhindert werden können.

Deshalb ist die Verwirklichung jener Impulse der Alternativen-Bewegung, die zu einem besseren Leben beitragen, auf breiter Basis nur dann möglich, wenn der Zwang zur Realisierung jeglichen technischen und materiellen Fortschrittes schrittweise gelockert wird. Demokratische Planung durch Reform der Entscheidungsverhältnisse (wenn möglich bereits überall dort, wo Fehlentwicklungen entstehen), Sicherung

der materiellen Lebensgrundlage durch gerechte Verteilung der Arbeit sind jene Voraussetzungen, ohne die die Alternativen scheitern müssen.

Diese Reformperspektive weist über die gegenwärtige Verfassung der Wirtschaft hinaus, ohne ihre Vorzüge zu verkennen und aufzugeben.

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