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Auch ein Sprachproblem

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Ende der 60er Jahre begannen zwei Institute in Wien etwa gleichzeitig mit dem Ausbau ihrer Tätigkeit im Bereich der Friedensforschung: das eher linksorientierte „Internationale Institut für den Frieden“ und das ehemalige Institut für Friedensforschung an der Kath.-theol. Fakultät der Universität Wien, in Fortführung heute der Verein „Universitätszentrum für Friedensforschung“. Im November 1971 kam es zu einem ersten Dialog- Symposium mit 19 Teilnehmern. Ende 1982 gab es die zehnte Veranstaltung dieser Art, diesmal in Florenz.

Das Wort vom Dialog ist heute eine weithin anerkannte politi-

sehe Kategorie geworden. Der Dialog für den Frieden ist nach Johannes Paul II. ein „Erfordernis unserer Zeit“. Welche Erfahrungen ergeben sich aus unserem „Dialog der Weltanschauungen“ seit 1971?

Im geistigen Ringen um Gemeinsames, für das es zunächst kein theoretisches Fundament zu geben schien, gab es zwar keine wesentliche Änderung des je eigenen weltanschaulichen Standpunktes, aber das Wissen um gemeinsame Interessen. Dem Fortschritt im besseren Verständnis des anderen als Dialogpartner stand bald die Erfahrung entgegen, daß Gesinnungen und Theorien von weltanschaulichem Gehalt schwerer veränderbar sind als soziale Verhältnisse und politische Gegebenheiten. Schneller ging es, persönliches Verstehen unter den Teilnehmern des Dialogs zu entwickeln.

Das Mißtrauen in das „System“ des anderen aber als Gesamt von Bedingungen der Politik und politischem Willen, insofern die Teilnehmer als Akteure ihres Systems angesehen werden, bleibt bestehen. Immer werden wir in diesem Zusammenhang auf die Probleme und Vorgänge der politischen Psychologie hingewiesen. Ähnlich wie mit dem objektiven Bewerten des jeweiligen militärischen Potentials geht es uns mit der jeweils ausgesagten weltanschaulichen Ladung gleichlautender Begriffe: Friede, soziale Gerechtigkeit, Freiheit…

Sprechęn wir die gleiche Sprache?

Die Auswahl der Teilnehmer des weltanschaulichen Dialogs war nicht leicht. Es sollten wissenschaftlich qualifizierte Persönlichkeiten mit Sachkompetenz in Friedens- und Weltanschauungsfragen sein. Für die wissenschaftliche Qualifikation konnte die berufliche Stellung als Kriterium dienen, für die christliche Weltanschauung die Kirchlichkeit des Betreffenden. Für die marxistische Weltanschauung konnte die „Parteilichkeit“, also die Zugehörigkeit zur KP, herangezogen werden.

Das größte Problem aber ergab sich aus der verschiedenen Sicht und Nähe der Weltanschauungen zur Politik, hier der Friedens- und Sicherheitspolitik der Staaten. Für den Marxismus ist seine Praxis dort, wo sich diese uneinge schränkt durchsetzen kann, also in den kommunistischen Staaten, als gut und richtig erwiesen, marxistische Außenpolitik also eo ipso Friedenspolitik. Es mag hingegen Christen geben, die aus ihrer Überzeugung Politik machen, aber es gibt keine reale christliche Außen- und Friedenspolitik irgendwo in der Welt.

Unser Dialog hat nun viel zur Bewußtmachung dieser Problemlage beigetragen, ohne freilich die damit verbundenen Zwänge aufzulösen. Er hat aber auch dazu geführt, daß die Sachfragen der Friedenspolitik und die sicherheitspolitischen Interessen besprochen wurden. Ein Dogmatismus hätte uns nicht weitergebracht. Raketen bleiben nun einmal Vernichtungswaffen, welche Supermacht auch immer sie besitzt, ob marxistisch oder christlich betrachtet.

Die Invasion in Afghanistan muß auch ein sowjetischer Marxist mit anderen Argumenten als nur mit marxistischer Theorie zu rechtfertigen suchen. Was die Christen aus dem Westen an politischen Folgerungen aus ihrer christlichen Sicht ziehen, ist für die Marxisten vor allem aus den sozialistischen Staaten sehr informativ, wenn auch die Christen aus ihren eigenen Ländern solche, weil gegen die Interessen des „realen Sozialismus“ gerichtet, nicht zu äußern vermögen.

Die Frage ist auch: Wo beginnt für weltanschauliche Gruppen das Terrain des für sie Notwendigen und eventuell Trennenden und wo ergeben sich zwischen ihnen (trotzdem) gemeinsame Standorte? Anders gesagt: Friedliche Koexistenz ist ein Begriff, der zwar nach marxistischer Auffassung die Auseinandersetzung nicht beendet, aber auf die geistige Ebene verlagert. Die Bedeutung des Wertes des Friedens im System der sittlichen Werte in unserer Weltlage schafft neue Einsichten für jeden; wir erlebten dies in unserem Dialog für den Frieden insbesondere in bezug auf Werte wie Nation und Souveränität, Klasse und Solidarität, Interesse und Gemeinwohl, aber auch Religion und Fortschritt.

Wer öfter an unserem Dialog teilgenommen hat, merkt, daß er gegen Neulinge, denen er diese Erfahrung empfiehlt, einen Lernprozeß hinter sich hat, keine Bekehrung, aber bessere Kenntnis des anderen und seiner Position erfährt. Daraus würde sich die breite Veranstaltung von Seminaren für besseres gegenseitiges Verstehen empfehlen.

Auf weltanschaulicher Seite melden sich heute stärker die pazifistischen Gruppen. Es gibt die offiziellen Doktrinen von der gerechtfertigten Verteidigung, dem „gerechten Krieg“. Aber es gibt Vorschläge, um endlich zur Umkehr des Wettrüstens zu gelangen, selbst einseitige Schritte der Abrüstung zu machen, Sicherheit zu schaffen ohne Waffen. Zudem hat die Labilisierung der internationalen Lage bzw. des Abschrek- kungssystems, mit der Kritik durch die Friedensbewegungen den Kräften der Öffentlichkeit und damit des Dialogs Chancen eröffnet, die man 1971 noch gar nicht so absehen konnte.

Unser Dialog blieb vielleicht hinter den Erwartungen zurück, die man da und dort in ihn setzen mochte. Der Durchbruch zum verantwortlichen gemeinsamen Handeln ist kaum gelungen. Wir sehen immer noch zuwenig Ankoppelungsmöglichkeiten, weil die Partner aus Ost und West doch zumeist nur je auf verschiedenen Ebenen tätig werden können und weil die politischen Handlungsspielräume doch nach Ländern und weltanschaulichen politischen Systemen sehr verschieden sind.

‘ Der Friede ist ebenso eine Sache der Politik wie der Moral, und der Militarismus gehört aus christlicher ebenso wie aus marxistischer Sicht überall entlarvt und überwunden, wo die Realpolitik militaristisch erscheint. Deshalb hat unser Dialog immer auch eine realistische Sicht der weltweiten Gefahren für den Frieden einbezogen, haben wir auch militärwissenschaftliche F achleute einbezogen.

Dadurch wurde freilich die ganze Last der Fakten deutlich, wenn nach weltanschaulichen Appellen der Weg zu sicherheitspolitisch möglichen Lösungen der Rüstungsproblematik zu suchen war. Ungeduld nützt hier ebensowenig wie der Verzicht auf das Vertrauen in die Macht der Vernunft und des guten Willens.

Der Autor ist Vorstand -des Instituts für Ethik und Sozialwissenschaften an der Kath.-theolog. Fakultät der Universität Wien.

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