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Auf schmaler Plattform

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Beim 13. Symposion „Christen und Marxisten im Friedensgespräch“ drückte man sich um ein Kontroversthema und schoß sich lieber gemeinsam auf US-Präsident Ronald Reagans Weltraumprogramm ein.

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Beim 13. Symposion „Christen und Marxisten im Friedensgespräch“ drückte man sich um ein Kontroversthema und schoß sich lieber gemeinsam auf US-Präsident Ronald Reagans Weltraumprogramm ein.

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„Christen und Marxisten im Friedensgespräch“ sind nicht alle Tage anzutreffen. Das Stift Klosterneuburg bei Wien war Schauplatz des 13. derartigen Symposions, wobei es um das Thema „Probleme der Militarisierung des Weltraums aus verschiedener weltanschaulicher Sicht“ ging. Etwa vier Dutzend Experten aus

Ost und West, aus neutralen und in Militärpakte eingebundenen Staaten, nahmen sich dafür vom 5. bis zum 8. Juni Zeit.

Die Referate und Diskussionen kreisten natürlich vor allem um das von US-Präsident Ronald Reagan verfochtene SDI (Strategie Defence Initiative/Strategische Verteidigungsinitiative)-Programm, das die Stationierung von Waffen im Weltraum vorsieht. Nach der Atomkatastrophe

von Tschernobyl konnte es aber nicht ausbleiben, daß auch über die „friedliche“ Nutzung moderner Technologien gesprochen wurde. In einem waren sich die Anwesenden erstaunlich einig: Es geht heute um Uberlebensfragen der ganzen Menschheit.

Kein Wunder, daß da der Wiener Sozialethiker Robert Prant-ner die jüngste Enzyklika von Papst Johannes Paul II., Dominum et vivificantem“ (FURCHE 23/86), erwähnte, in der besonders auf die „Zeichen des Todes“ in unserer Zeit — wie Rüstungswettlauf, nukleare Selbstvernichtung, Not, Hunger — hingewiesen wird. Prantner hob in seinem Referat das Recht des Menschen auf Leben beziehungsweise „auf Uberleben“ eindringlich hervor.

Wie läßt sich dieses Recht auf Leben am besten sichern? Durch Aufrüstung im Weltraum?

Schon die Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, von dem deutschen Theologen Thomas Hoppe in Klosterneuburg zitiert, machte die Aussage: „Der Rüstungswettlauf ist eine der schrecklichsten Wunden der

Menschheit, er schädigt unerträglich die Armen. Wenn hier nicht Hilfe geschaffen wird, ist zu befürchten, daß er eines Tages all das tödliche Unheil bringt, wozu er schon jetzt die Mittel bereitstellt.“

Folgt man den Formulierungen internationaler Abkommen, so soll der Weltraum dem Nutzen aller Nationen und der gesamten Menschheit dienen. Schon aus diesem Grund, aber auch angesichts des Elends in der Dritten Welt, wurde eine Aufrüstung des Weltraums von allen Rednern in Klosterneuburg mehr oder minder deutlich als unmoralisch, zumindest aber als fragwürdig eingestuft.

Kann denn tatsächlich das Sicherheitsbedürfnis einer Großmacht — und damit wird das angeblich rein defensive SDI-Programm ja begründet - alle negativen Aspekte aufwiegen? Selbst Robert Prantner, der sich zunächst um eine klare Aussage wand, ließ Zweifel erkennen. Er bekenne sich grundsätzlich zur bewaffneten Landesverteidigung, Friede um jeden Preis sei für ihn nicht unbedingt das höchst Gut, er müsse mit Freiheit und Gerechtigkeit verbunden sein. Angesichts der modernen Waffen und Rückschlagkapazitäten bedeute aber Krieg totale Vernichtung - und wer könne über einem Leichenfeld noch von Freiheit sprechen?

Für den Hintergrund des gesamten Symposions war es gut, daß Robert Prantner an eine Aussage des vor wenigen Jahren verstorbenen Nestors der Katholischen Soziallehre, Johannes

Messner, erinnerte: „Ein gemeinsamer Grundwert müßte doch zwischen Marxisten und Christen zu finden sein. Und wenn die Plattform noch so klein wäre, sie müßte nur tragfähig sein.“

Ob die Plattform, die man für dieses Gespräch fand, auf die Dauer tragfähig bleibt, ist freilich die Frage. So gerechtfertigt das gemeinsame Sich-Einschießen auf westliche Fehlentwicklungen (insbesondere auf den Gebieten Rüstungspolitik, Sozial- und Wirtschaftspolitik oder Entwicklungspolitik) sein mag, an kontro-versielle Themen zwischen Christen und Marxisten, die vermutlich zu interessanteren Begegnungen führen würden, wagt man sich offensichtlich nicht (mehr) heran.

Den vier veranstaltenden Instituten - Wiener Universitätszentrum für Friedensforschung, Institut für Ethik und Sozialwissenschaften an der Universität Wien, Wiener Internationales Institut für den Frieden (Moskau-orien-

tiert) und Institute for Peace and Understanding (Institut für Friede und Verständigung), Rosemond, USA, geht es anscheinend mehr um praktische Koalitionen zwischen Christen und Marxisten gegen gemeinsam als Fehlentwicklungen erkannte Vorgänge als um die Aufarbeitung ideologischer Gegensätze (vielleicht auch, weil man die weitgehende Unvereinbarkeit der beiden Weltanschauungen erkannt hat?).

Ob hier wirklich lauter überzeugte Christen und Marxisten miteinander diskutierten, ist zudem die Frage, und noch mehr, wieweit diese Leute überhaupt in ihren Ländern noch Einfluß besitzen oder ob nicht hüben wie drüben längst nüchterne Pragmatiker das Sagen haben, die Gott oder Marx nur noch als Mittel zum Zweck der Machterhaltung gelegentlich in den Mund nehmen?

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