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Befreiung ode Versklaoung?

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Den Christen aller Zeiten ermöglicht Markus, der als erster ein Evangelium schrieb, den „Durchblick“: Kreuz und Ostern waren für Jesus kein zufälliges Ende, sozusagen das Werk eines Deus ex machina - sondern bildeten die letzte Etappe eines Weges, der klar und hart begonnen und geendet hat: in der Auseinandersetzung mit dem Bösen.

Der größte Dialog

Jesus ist, wie viele, ins Jordanwasser gestiegen und ist getauft, also in das Wassergrab untergetaucht worden, um zu neuem Leben und Tun aufzuerstehen. Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt. Dort trat ihm Diabolos, Satan, entgegen, der ihm jene drei Fragen vorlegte, von denen der russische Schriftsteller Dostojewski vor hundert Jahren sagte, sie seien die intelligentesten Fragen, die je von einem Geschöpf geäußert wurden. Jesus wird angeboten, im Einvernehmen und Zusammenwirken mit Satan, dem Gegenspieler Gottes, die Hauptprobleme der Menschheit zu lösen:

1. Brot geben und damit die Existenz der vielen sichern,

2. ein großartiges Schauspiel bereiten und den Massen imponieren,

3. die Macht über Menschen und Staaten aus den Händen Satans übernehmen und damit den Generationen die leidige Entscheidung ersparen, wem jeweils die Macht zu übergeben sei.

Das Angebot bringt einen bedeutenden Teil der Menschheitsgeschichte zur Sprache: Brot und Existenz, Spiele und Ehre, Macht und Ordnung als Preis für die Unfreiheit.

Gott hat den Menschen mit der schöpferischen Kraft begabt, den Kosmos zu formen und in Freiheit Gott zu lieben. Das Leben und die Worte Jesu sind Hingabe und fordern zur freien Stellungnahme heraus. Für den Menschen besteht Möglichkeit und Pflicht, sich und den Mitmenschen ein menschenwürdiges Leben zu schaffen. All dies verlangt vom einzelnen und der Gemeinschaft jeweils die Überwindung der Ichverfal- lenheit, die Freiheit für das Höhere, für Gott. Der Böse verleitet zur „Kurskorrektur“ der Schöpfung, des Lebens Jesu und der Lebenswege aller Menschen. Wer auf die Freiheit verzichtet, löst die Probleme zum Schein, indem er ein für allemal sich und seine Welt vom Satan leiten läßt. Es geht um die Entscheidung: höchste Aktivierung oder Auslöschung der Freiheit.

Um den Preis der Freiheit?

Jedoch: Leben und Sterben des Gottmenscher und vieler Märtyrer des Glaubens und des Gewissens bezeugen: Um den Preis der freien Entscheidung ist das Brot zu teuer erkauft; die Ehre ist höherer Ordnung als der Massentaumel der Spiele; mannigfaltige Formen von politischer, sozialer, psychischer Sklaverei fanden und finden sich in Diktaturen, Absolutismen, Utopismen, Totalitarismen. Ach, wie wenig haben wir, habe ich, nachgedacht über den Zusammenhang dieser Fakten mit Satan und seinen Fragen!

Am Beginn des neuen Bündnisses, das Gott mit den Menschen schloß, stand und bleibt das NEIN Jesu stehen. Das abrupte Ende der Verhandlung mit dem Bösen hat für Jesus selbst harte Konsequenzen: Er sah den Versucher wieder, er zitterte im Ölgarten und schrie zum Vater - schließlich fiel auf Golgotha die Entscheidung, in Finsternis, Ehrlosigkeit und Gottverlassenheit. Die Ohnmacht eines gekreuzigten Gottes wurde für die Menschen zum Anlaß des Ärgernisses; die einen spotteten, die anderen ärgerten sich.

Nach Ostern lichtete sich der Zusammenhang. Paulus fragte in die Geschichte hinein: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Es blieb beim Wort Jesu: „Selig ist, wer sich an mir nicht ärgert“ - selig, wer den Tod Jesu und das Ereignis seiner Auferstehung als Aufforderung zur freien Tat des Glaubens auffaßt und annimmt.

All das fordert menschliches Denken, Hoffen und Lieben heraus - stellt an die Freiheit die Frage: Liebst du mich?

Die von Jesus erfragte Liebe erweist sich und ihre Kraft in der Nächstenliebe. Dazu gehört die intensive Anstrengung mitzuwirken, um die einzelne und die kollektive Not der Mitmenschen zu wenden und die genannten Existenzfragen der Menschheit zu lösen. Für die Gemeinde Jesu und seiner Jünger gelten die Fragen weiterhin, muß um jene Antwort aus der Kraft Gottes gerungen werden, die die Freiheit nicht raubt. Keine Gottesliebe ohne Nächstenliebe, keine Hoffnung auf die Ewigkeit bei Gott ohne die unmittelbare Sorge für den Mitmenschen, heute, in naher und ferner Zukunft!

Golgotha auf dem Heldenplatz

Auch der Heldenplatz ist Golgotha. Also höchster Anruf an die Freiheit, die Herzen der Menschen in Österreich, seinen Nachbarländern, in Europa. Ohne Freiheit kein wahres Brot, keine Ehre in Sinnerfüllung, keine Ordnung der Staaten in Frieden.

Größte Anstrengung verlangen die Existenzprobleme. Auch die Freiheit kommt nicht von ungefähr, sondern muß geübt, gelernt, verteidigt, gezeigt werden. Beim Katholikentag 1983 steht das Kreuz in der Mitte des Volkes. „Eine größere Liebe hat keiner als der, der sein Leben hingab für seine Freunde“, die Ärmsten, Entrechteten, die Verspotteten, Versklavten. Das Leben für die Freiheit aller.

Das Fest des Katholikentages will und soll kein Taumel sein, sondern das Urerlebnis des gemeinsamen Glaubens. Auch die Mittel, die eine technisierte Welt zur Verfügung stellt, wollen den Freiheitsraum nicht einschränken. Das Fest wird Jung und Alt zur Freiheit herausfordern, wenn der Papst als glaubwürdiger Zeuge der Freiheit und der Würde des Menschen die Zuhörer oder Zuseher nicht in den versklavenden Bann nimmt, sondern zur Stellungnahme des Glaubens aufruft und zur Hoffnung auf das vollere Leben entläßt.

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