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Befreiung zuerst von der Sünde

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Wie müßte eine „eigentliche" Theologie der Befreiung aussehen? Was haben moralisches und politisches Engagement gemeinsam? Darum ging es bei der letzten Papstreise.

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Wie müßte eine „eigentliche" Theologie der Befreiung aussehen? Was haben moralisches und politisches Engagement gemeinsam? Darum ging es bei der letzten Papstreise.

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Konnte man zunächst am Sinn einer 70stündigen, 17.000 km langen Reise des Papstes nach Mittelamerika zweifeln, so hatte sein Auftreten in Santo Domingo den Zweck doch erkennen lassen: Es galt nicht nur dem unmittelbaren Anlaß, der Eröffnung der neunjährigen Feiern zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas, der Papst nutzte den Anlaß vor allern, um seine Position zu den brennenden Fragen dieses Kontinents gegen politische Mißverständnisse von rechts wie von links zu verteidigen.

Wer etwa gehofft oder auch befürchtet hatte, Johannes Paul II. habe wie Kolumbus, der einst Indien statt Amerika zu entdecken glaubte, die lateinamerikanische Wirklichkeit verkannt und dem sozialen Einsatz der Kirche dort einen Bremsklotz vor die Füße werfen wollten, hörte vom Papst . die feierliche Bekräftigung, daß er selbst, die Kirche und ihre Bischöfe weiterhin zur Sache der Armen und Entrechteten stehen und an dieser „vorrangigen Option" festhalten werden — allerdings unter fünf Voraussetzungen, die der Papst im Unterschied zu der umstrittenen vatikanischen Instruktion über die Befreiungstheologie, sehr einfach, unpolemisch und ohne direkte Erwähnung des Marxismus definierte.

Der kirchliche Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit verbiete Methoden von Haß und Gewalt, schließe die Bekehrung der Reichen nicht aus, betrachte die Armen nicht als eine „Klasse im Kampf" und dürfe bei der notwendigen Gesellschaftsveränderung die Menschen nicht der Gefahr aussetzen, „unter Systeme zu geraten, die sie ihrer Freiheit berauben, atheistischen Programmen oder dem praktischen Materialismus unterwerfen".

Weil das moralisch Böse im Menschen die Ursache auch der „sozialen Sünde" und der Unterdrückungsstrukturen sei, müsse für die Kirche die Befreiung von der Sünde an erster Stelle stehen, rief der Papst dann vor der gesamten Lateinamerikanischen Bischofskonferenz, die konkrete Konsequenz zu ziehen. Zuerst mit einem historischen Rückblick, „ohne Triumphalismus und ohne falsche Scham", auf die Missionsgeschichte Lateinamerikas, da habe die Kirche zwar ihre Stimme gegen Versklavung und Ausbeutung erhoben, doch sei sie auch selbst der Konfusion von Kreuz und Schwert von weltlichem und geistlichem Bereich erlegen.

Der Papst spannte von dieser Erfahrung die Brücke zur Gegenwart, ihren Übeln und Versuchungen, die Lateinamerika bedrohen. Er warnte davor, den Dialog durch Waffengewalt und „ideologische Verführung" zu ersetzen, und er verurteilte fast in einem Atemzug die Befürworter der künstlichen Geburtenkontrolle, der Sterilisation und Abtreibung (als „Agenten eines neuen Kolonialismus"), den Egoismus der Satten, „eine kleine Schicht von reichen Privilegierten", während breite Volksschichten im Elend leben, und die Einmischung ausländischer Mächte, die ihre eigenen wirtschaftlichen und Block-Interessen verfolgen und dabei „die Völker zum Manöverplatz ihrer eigenen Strategien" machen.

Alldem stellte der Papst die Hoffnung einer neuen „Zivilisation der Liebe" entgegen, den Ruf zu einer neuen christlichen Missionierung Lateinamerikas, für die er in Santo Domingo, wo Kolumbus das erste Kreuz errichtet hatte, sein Zeichen setzen wollte.

Symbolisch überreichte er jedem der lateinamerikanischen Bischöfe ein hölzernes Kreuz. Es ist—wie könnte es anders sein — ein Zeichen des Widerspruchs, auch der Widersprüche, denen die Kirche selbst zwischen Religion und Politik in dieser wie in jeder anderen Epoche schwer entkommen kann.

Der Papst selbst sprach davon, als er auf dem Rückflug kurz vor der Landung in Rom auf viele Fragen der begleitenden Journalisten antwortete. Ausdrücklich unterstützte er die kirchlichen Friedensbemühungen, die jetzt in El Salvador im Gange seien. Er betonte aber zugleich, daß es vor allem nicht um politische, sondern um moralische Anteilnahme gehe. Die Kirche wolle dem Wohl der Völker dienen, doch immer schon habe es in ihrer Geschichte auch das Risiko einer Politisierung gegeben — eine Gefahr, von der auch die „Volkskirche" in Lateinamerika bedroht sei. Wie läßt sich aber, so fragte ich den Papst, das moralische vom politischen Engagement unterscheiden? Wird moralische Solidarität nicht auch zur politischen?

Der Papst (in deutscher Sprache): „Ja, ich glaube, politisch heißt auch moralisch, für mich und die ganze lange Tradition, die schon von den Zeiten des Aristoteles und auch von Plato stammt und den großen Meistern der Theologie im Mittelalter. Das Politische ist auch das Moralische, das bonum commune, das Gemeinwohl."

v Frage: In diesem Sinn also machen Sie doch Politik?

Der Papst: „In diesem Sinn soll die Kirche immer ein politisches Engagement haben — in diesem Sinn!"

Eben dies läßt freilich die Grenzziehung zwischen Politik und Religion umstritten bleiben. Johannes Paul II. deutete es an, als er nachdrücklich bemerkte, es sei eben ein Problem, wie zum Beispiel eine „eigentliche" Theologie der Befreiung aussehen müsse.

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