6883526-1979_18_10.jpg
Digital In Arbeit

Das Gemeinsame bleibt über die Grenze hinweg

19451960198020002020

Für die geteilte einstige Reichshauptstadt Berlin sind die Kirchen wohl die letzte Klammer, die über die Mauer hinweg noch relativ fest hält. Die gemeinsame Problematik der Teilung, der Existenz auf einer Insel hat aber auch die Kirchen selbst zueinander geführt, hat sie die Gemeinsamkeiten im Geistigen erkennen und schätzen lassen. Ökumene wird nicht nur betont, sondern gelebt.

19451960198020002020

Für die geteilte einstige Reichshauptstadt Berlin sind die Kirchen wohl die letzte Klammer, die über die Mauer hinweg noch relativ fest hält. Die gemeinsame Problematik der Teilung, der Existenz auf einer Insel hat aber auch die Kirchen selbst zueinander geführt, hat sie die Gemeinsamkeiten im Geistigen erkennen und schätzen lassen. Ökumene wird nicht nur betont, sondern gelebt.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie man sich den politischen Gegebenheiten gegenüber verhält, hängt natürlich von der inneren Struktur der jeweiligen Kirche ab. Propst Wilhelm Dittmann, der Vertreter des evangelischen Bischofs und Theologischer Leiter des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in (West-)Berlin, schildert die Bemühungen um die Erhaltung der Einheit der Landeskirche von Berlin-Brandenburg, die nach 425 Jahren Existenz durch den Mauerbau plötzlich in Frage gestellt war. Wenn auch die Versuche der DDR-Behörden, aus den Kirchenkreisen eigene Kirchen zu machen, abgewehrt wurden, mußte man doch Vorsorgen, um auch nach einer Trennung weiterarbeiten zu können - seit dem Ende der sechziger Jahre ist diese Trennung de facto vollzogen. Nachdem die Behörden einst schon Bischof Dibelius am Betreten des Ostsektors hinderten, amtieren heute zwei Bischöfe - Albrecht Schönherr in Ostberlin, Peter Kruse im Westen.

Nur noch die gemeinsame Kirchenverfassung hält die rechtliche Verbindung aufrecht, die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen die persönliche. Sogar die auf dem Papier noch existente „Vereinigung der altpreußischen Kirche“ muß - einmal im Monat in Ostberlin - als Treffpunkt herhalten.

Für die katholische Kirche ist das Band noch fester. Seit der Ostberliner Weihbischof Bengsch 1961 die Nachfolge des nach München berufenen Kardinals Döpfner antrat, residiert der Ordinarius der Erzdiözese - die über Großberlin bis nach Pommern hinaufreicht - im Osten. 30 Tage im Vierteljahr darf er seine Funktionen im Westteil der Stadt ausüben. Meist aber kehrt der Kardinal am Abend wieder heim, um stets „drüben“ präsent zu sein. Dort steht ihm ein Weihbischof zur Seite, im Westen ein Generalvikar.

Beiden Kirchen brennt das Problem der Jugend, der Familien im Osten, unter den Nägeln. Jugendliche, deren Kontakte zur Kirche bekannt sind, gelten als Bürger zweiter Klasse, denen Studium und Aufstieg verwehrt sind - auch wenn das Regime gelegentlich Ausnahmen macht, um dann darauf hinweisen zu können, wie großzügig es sei. Die Jugendweihe bildet heute stärker für die Kathoüken den Stein des Anstoßes - die katholische Kirche ist nach wie vor entschieden ablehnend.

Auch die evangelische Kirche hat offiziell ihre negative Haltung nicht geändert, sieht aber in der Praxis darin kein Hindernis, auch die Konfirmation zu erteilen. So kann - wie Dittmann berichtet - in der DDR in manchen Kreisen der Großteil der Jugendlichen konfirmiert werden, auch wenn die „sozialistische“ Jugendweihe dazu parallel läuft.

„Die Weichen sind gestellt“, berichtet das Sonntagsblatt der evangelischen Gemeinden der Mark Brandenburg: Die drei in der DDR bestehenden evangelischen Kirchenvereinigungen wollen sich schrittweise zu einer „Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR“ zusammenschließen. Die „Potsdamer Kirche“ gibt als Begründung für diesen Schritt als das Bestreben, „das für einen Nichteingeweihten kaum noch durchschaubare Gestrüpp kirchlicher Zusammenschlüsse zu entflechten.“ Im Hintergrund steht aber der

Druck der Regierung, durch eigene „nationale“ Kirchen die Selbständigkeit der DDR auch im Kirchenbereich zu unterstreichen.

Im Bereich der katholischen Kirche ist man weniger geneigt, diesen Wünschen nachzugeben. Die sieben Jurisdiktionsbereiche im Osten Deutschlands sind äußerst heterogen: Nur das Bistum Meißen hegt zur Gänze auf dem Boden der DDR. Berlin-Brandenburg schließt Westberlin ein. Görlitz umfaßt die Reste des Erzbistums Breslau, Bautzen, Magdeburg, Schwerin und Erfurt sind abgetrennte Teile westdeutscher Bistümer. Die Regierung drängt auf eine Bereinigung der Diözesangrenzen, um so mehr, seit die Bundesrepublik die staatsrechtliche Existenz der DDR anerkannt hat. Aber da die Mehrzahl der Bischöfe kein besonderes Interesse zeigt, verhält sich auch der Vatikan abwartend.

In Berlin war die katholische Kirche stets Diasporakirche mit allen Impulsen, die eine solche ausstrahlen kann. Gerade auf dem Schulsektor sieht sie im gebliebenen Westen der Stadt ihre große Aufgabe - und die Freizügigkeit, die sie genießt, erlaubt ihr, weitgehend eigene Wege zu gehen, wo sie mit der Richtung der offiziellen Politik nicht konform geht.

So haben die Jesuiten, die schon vor 50 Jahren, während der Brüning-Ära, mit ihrem Gymnasium am Lietzensee eine feste Position in Berlins Schullandschaft einnahmen, in ihrem wiedererrichteten Canisius-Kolleg im Tiergarten ignoriert, daß in Berlin die sechsjährige Grundschule gilt, und nehmen nach wie vor „Sextaner“ mit zehn Jahren auf, um sie in zwölf Jahren zum Abitur zu führen. Aber auch hier sind längst Mädchen zugelassen, wurde die Oberstufe kursmäßig aufgegliedert, wird die Diskussion aktueller politischer Probleme neben der Pflege der Klassiker intensiviert.

Der sozialdemokratisch regierte Senat von Berlin schießt der berühmten Privatschule 70 Prozent der Per-sonalkosteri für die Laienlehrer, 46 Prozent für die Patres im Schuldienst zu, nichts für den Sach- und Investitionsaufwand. Bistum, Eltern, Ehemalige sollen nicht nur den laufenden Fehlbetrag decken, sondern nun auch die Kosten für einen Zubau aufbringen, der unerläßlich geworden ist.

Im andern Teil Westberlins, dort, wo die „Hungerharke“ neben dem stillgelegten Flughafen Tempelhof an die Luftbrücke der amerikanischen „Rosinenbomber“ während der Blockade 1948 erinnert und wo die türkischen Gastarbeiter stellenweise schon die Mehrheit unter der Bevölkerung erreichen, entwickelt Jesuitenpater Franz Josef Glorius im Kolpinghaus Erwachsenenbildungsaktivitäten, die über den katholischen Bereich hinaus zu einem geistigen Zentrum geworden sind.

Hier in Berlin gibt es keine tieferen Grenzen zwischen den Konfessionen. In der schönen alten - evangelischen - Marienkirche drüben am -östlichen - Alexanderplatz hegt das katholische Hedwigsblatt neben den evangelischen Kirchenzeitungen. In der neuerbauten Gedächtniskirche -neben dem Ruinenstumpf der alten -am westlichen Zoo finden fallweise Gebetsgottesdienste statt, an denen nicht nur die obersten Seelsorger der Katholiken und der Protestanten teilnehmen, sondern auch die Rabbiner der Juden. Zur Besprechung gemeinsamer Anliegen treffen der Kardinal und sein Generalvikar mit dem Bischof und dem Propst der Evangelischen und dem orthodoxen Erzbi-schof jeweils in einer der Privatwohnungen zusammen.

Die gerade in diesen Tagen abgehaltene „Woche der Brüderlichkeit“, der Versöhnung zwischen Christen und Juden gewidmet, ist auch für die politischen Vertreter ein fester Programmpunkt im Terminkalender. Mitunter braucht es offenbar des Drucks von außen, um das Gemeinsame über dem Trennenden zu sehen.

Nächstes Jahr im Juni soll der 87. -gesamtdeutsche - Katholikentag in Berlin stattfinden, in Charlottenburg, zwischen Messegelände am Funkturm und Lietzensee. Da wird es wieder so manche Gelegenheit geben, Gemeinsamkeiten über Grenzen hinwog zu pflegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung