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Das Reich Chomeinis

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Vor fünf Jahren, im Jänner und Februar 1979, hat sich im Iran der dramatische Machtwechsel vollzogen, bei dem der stärkste und vordergründig stabilste Bundesgenosse des Westens im Mittleren Osten zum Mittelpunkt einer weltrevolutionären Bewegung wurde.

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Vor fünf Jahren, im Jänner und Februar 1979, hat sich im Iran der dramatische Machtwechsel vollzogen, bei dem der stärkste und vordergründig stabilste Bundesgenosse des Westens im Mittleren Osten zum Mittelpunkt einer weltrevolutionären Bewegung wurde.

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Heute, nach nur fünf Jahren, ist dieser fundamentalistische Aufbruch längst keine auf die persischen Schiiten beschränkte Angelegenheit mehr. Chomeinis „Heilige Krieger" haben die Sowjets in Afghanistan das Gruseln gelehrt, und sie tragen den Schrecken ihrer Terroranschläge in die Stützpunkte der Amerikaner rund um die Welt.

Islamische Revolutionäre haben die destabilisierende Rolle der Palästinenser in Libanon übernommen und mußten jetzt sogar in Ägypten als offizielle Chomeini-Partei zugelassen werden. Teheran steckt hinter der Unrast in Indien und hat bereits Allahs Guerilleros in Honduras auf dem Kriegspfad.

Am meisten zittern jedoch die Ölscheichs am Golf und selbst das mächtige Saudiarabien vor der Ausbreitung des neuen Gottesreichs und vor seinem neuen Propheten Chomeini.

Nur muß es auf den ersten Blick befremden, daß im Namen desselben Islam, der die Throne der Saudis und der Golfstaaten, der die Diktatoren von Libyen bis Pakistan stützt, in Iran der letzte Schah vertrieben und eine Islamische Republik errichtet werden konnte.

Doch sind solche Tendenzen schon in der Frühzeit der Schia zu erkennen, als diese den Kalifen der Sünna ihre erblichen Imame aus der Familie Alis gegenübergestellt hatten. Dabei zählte die Ismaili-Schia des Aga Khan noch vor der Jahrtausendwende sieben, die heute in Iran herrschende

Zwölfer-Schia eine Sukzession von zwölf Imamen. Dann erlosch jedoch die Linie sichtbarer Oberhäupter. Die Schia blieb führerlos draußen vor der Tür der bei den Sunnisten so fest gefügten islamischen Theokratie.

Vor ihrer Sammlung in Iran waren die Schiiten in der ganzen islamischen Welt die Minderheit der „Protestanten". Als Folge davon entwickelte sich ihr tiefes Mißtrauen gegen jede Art von Obrigkeit, ein oppositioneller Geist in Permanenz, den nach dem bitteren Ende des Schah sehr wohl noch ein König Fahd oder Emir Sabah von Kuwait zu spüren bekommen könnte.

Auf die Verbindung der hergebrachten schiitischen Standpunkte mit modernen politischen und sozialen Anliegen hat bereits der islamische Reformator Dschemal ed-Din al-Afaghani großen Einfluß genommen. Er war 1886 zum ersten Mal von Schah Nasser ed-Din nach Teheran eingeladen worden.

Afaghani folgte dann 1889 einer regelrechten Berufung durch den Herrscher, der ihm eine islamgerechte Reform des Justizwesens anvertraute. Ein Werk, das jetzt erneut seit August 1982 in Angriff genommen wird. Allerdings nicht mehr unter den humanistischen Zielsetzungen des Reform-Islam, sondern in der rigoristischen Interpretation Chomeinis.

Die Schiitenführer waren — damals wie heute — einerseits erfüllt von der Idee einer brüderlichen Verbundenheit aller Menschen, andererseits voll Haß gegen alles Fremde, das anfing, das ganze Leben des Volkes zu durchdringen, und das die geheiligten Traditionen des Islam zu untergraben drohte. Sie fanden es daher schon 1905 — wie zunächst ein Chomeini mit dem Liberalen Bazargan und dem Sozialrevolutionären Bani Sadr — nicht schwer, sich mit der demokratisch gesinnten Intelligenz gegen ein Herrscherhaus zu verbünden, das ihnen als gottlos erschien.

Alle diese Ursachen und Vorgeschichten machen es uns heute verständlich, daß sich die Islamische Revolution in Iran gegen die Panzer und Savak-Polizisten des Schah durchsetzen konnte, ja fast zwangsläufig durchsetzen mußte.

Sie erklären aber noch lange nicht die Machterhaltung Chomeinis und seiner „Partei Gottes" durch Jahre der Millionen-Arbeitslosigkeit, die geradezu wunderbare Selbstbehauptung im nun schon vierten Jahr des Golfkrieges mit dem Irak und das Ertragen scheußlicher Grausamkeiten durch die Bevölkerung, gegen welche die Folterkeller des Schah die reinsten Kindergärten waren.

Man findet eine solche Zuversicht und Geborgenheit im Aufblick der Perser zu ihrem schiitischen Landesvater bei den — kaum dem Kindesalter entwachsenen — Kriegsgefangenen im irakischen Lager Ramadi, bei den iranischen Geschäftsleuten, die jetzt wieder scharenweise nach -Teheran zurückgehen, bei Studenten, Arbeitern und Bauern. Es steht außer Zweifel, daß Chomeini als Person und die Islamische Republik als Institution die — wenigstens vermeintliche — Erfüllung einer Sehnsucht darstellen, die durch Generationen genährt worden ist.

Die schiitische Theologie hatte ihre Konsequenz aus dem Erlöschen des Imamats schon längst mit der Lehre vom „verborgenen Imam" gezogen. Dieser sei bloß unsichtbar geworden, werde sich eines Tages wieder zeigen, um das schiitische Weltreich des Friedens, des Segens und der Gerechtigkeit aufzurichten.

So wurde auch erst Chomeini zum Bannerträger der Islamischen Revolution, deren zündende Ideen schon im 19. Jahrhundert von Ayatollah Schirazi verkündet und in unserer Zeit durch den schiitischen Chefideologen Ali Schariati vollendet wurden. Chomeini hat diese Spekulationen um seine Person als „verborgener Imam" weder klar bestätigt noch zurückgewiesen. Und in der Verfassung seiner Islamischen Republik wurde er als eine Art Fast-Imam über allen weltlichen Autoritäten verankert.

Chomeini hat natürlich inzwischen allen geistigen Strömungen den Kampf angesagt, die gleich ihm die tiefsten Lebensfragen zu lösen versprachen. Im Sommer 1980 waren die Katholiken Irans als erste an der Reihe. Im Mittelpunkt der geplanten, vom Palästi-nenser-Erzbischof Cappucci im Auftrag des Vatikan gerade noch verhinderten Schauprozesse stand bezeichnenderweise der Teheraner Seelenführer der in aller Stille zum Katholizismus übergetretenen Schah-Schwester Prinzessin Schams, der Salesianer Al-fredo Piccioni.

Bald kamen auch die Bahais an die Reihe, deren Gründer, der sogenannte Bab, für sich die Rolle eines Vorläufers für den „verborgenen Imam" in Anspruch genommen hatte. Vorläufig letzte messianische Rivalen der Ayatollahs, die seit 1983 zum Handkuß kommen, sind ihre anfänglichen revolutionären Verbündeten von der kommunistischen Tudeh-Partei. Auch in ihren Verheißungen vom „Arbeiterparadies" mußte Teheran eine Art unlauteren Wettbewerb mit dem schiitischen Paradies auf Erden erblik-ken.

Die Einmaligkeit des Imam Chomeini für die ganze Islamische Revolution hat aber nicht zu bedeuten, daß diese mit seinem Leben oder Ableben steht und fällt. Während bei ihrem „Export" noch die streng islamistischen Forderungen im Vordergrund stehen, sind in Teheran die Weichen für den wirtschaftlichen Fortbestand des revolutionären Iran und seine politische Führung nach den Ayatollahs durch Militärs und Technokraten schon so ziemlich gestellt.

Iranischer Nationalismus, säkulares Großmachtstreben und vor allem ein wieder ganz nüchternes ökonomisches Konzept treten immer stärker bei der Führung in den Vordergrund, während das Volk weiter mit den religiösen Bindungen bei der Stange gehalten wird.

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