6897539-1980_16_12.jpg
Digital In Arbeit

Die Macht des Imam

Werbung
Werbung
Werbung

„Der Tod ist die erste und älteste, ja man wäre versucht zu sagen: die einzige Tatsache ... Er ist der sehr reale Superlativ, von allem . . . Solange es den Tod gibt, ist jeder Spruch ein Widerspruch gegen ihn . . . Sein (d. h. des Dichters) eigener Haß, und wer haßt den Tod nicht, mußzum Todeshaß aller werden ... Damit ist dem Dichter ein Erbteil des Religiösen zugefallen, und sicher das beste Stück aus dem Erbe.”

Diese Sätze stehen in Canettis Rede zu Hermann Brochs 50. Geburtstag im Jahre 1936 und beziehen sich auf die ..Schlafwandler-Trilogie”, in der Broch „Gleichgültigkeit gegenüber fremdem Leid” als Kern des Wertzerfallsdiagno-stiziert hatte. 40 Jahre später hat sich Canetti wiederum öffentlich über den „Beruf des Dichters” geäußert und sich dabei nicht gescheut, als Grundeigenschaft des Dichters „Erbarmen” zu fordern: „Ich scheue mich nicht, ein Wort zu gebrauchen, das den Praktikern des Geistes unsachgemäß erscheint: es wird, auch das gehört zur Spezialisierung, in den Bereich der Religionen verbannt, dort darf es genannt und verwaltet werden.” Und nochmals: „Es kann nicht Sache des Dichters sein, die Menschheit dem Tode auszuliefern!”

Unverbrüchlich hält Canetti daran fest, daß Religion und Dichtung das größte Thema gemeinsam haben: die Frage nach dem Tod, daß beide sich im Grunde mit seiner Aufhebung und Uberwindung befassen.

Der in Amerika wirkende französische Anthropologe Rene Girard hat in seinen Werken, vor allem in „Die Gewalt und das Heilige”, sichtlich von Canetti beeinflußt, gezeigt, daß unsere landläufigen Theorien vom Marxismus bis zur Psychoanalyse und vom Positivismus bis zum Pragmatismus dem Tod ausweichen und darum das Rätsel der Religion statt zu lösen wegzaubern.

Broch und Canetti haben etwa gleichzeitig die schöne Literatur, obwohl diese für sie „Ungeduld der Erkenntnis” hieß, hinter sich gelassen, um dem Verhältnis von Masse und Macht, das im Nationalsozialismus manifest geworden war, auf den Grund zu gehen.

Canetti hat damit bewußt seine Existenz als Autor aufs Spiel gesetzt: ein schweigender Dichter ist für die Öffentlichkeit tot. Aiser I959das Manuskript von „Masse und Macht” an den Verleger abschickte, notierte er die unbändig stolze Bemerkung: „Jetzt sage ich mir, daß es mir gelungen ist, dieses Jahrhundert an der Gurgel zu packen.” Die „Geduld der Erkenntnis” ist nie wirklich anerkannt worden: zur Erklärung des Phänomens Hitler hatten die fachwissenschaftlichen und ideologischen Deutungsmaschinen rascher und dezi-dierter gearbeitet. Canettis Buch wurde entweder in die Literatur oder gar in den Bereich der Magie abgeschoben.

Unsere heutige Situation ist vielleicht dazu angetan, dieses hochmütige Fehlurteil zu revidieren. Erschrocken und ratlos schaut das Abendland auf den Imam Chomeini. Alle gängigen psycho-politischen Kategorien versagen vor ihm. Daß man ihn für verrückt oder für mittelalterlich erklärt, erklärt eben nichts.

Wer heute „Masse und Macht” aufschlägt, muß mit -erregtem Staunen feststellen, daß in diesem Buch alle Stationen der Machtübernahme des Imam mit äußerster Präzision beschrieben sind und daß die Rolle des Todes in diesem Prozeß erbarmungslos ins Auge gefaßt worden ist.

Chomeini erfüllt in reinster Form die

Funktion des „Massenkristalls”, jener von Canetti sezierten rigiden kleinen Gruppen, oft Sektierer beinahe abgestorben erscheinender Religionen. Der seltsame Aufenthalt des Imam in einer verlorenen Pariser Vorstadt wirkt fast wie ein mythisches Zitat aus „Masse und Macht”. Er verdankt seine Macht einzig den Massen, die als „Verbotsmassen” zu handeln begannen: „Viele zusammen wollen nicht mehr tun. was sie bis dahin als einzelne getan haben . . . Alle weigern sich zu tun, was eine äußere Welt von ihnen erwartet.”

Das Ende des Schahs geschah durch die Realisierung eines abendländischen Politmythos, den Generalstreik. Als „Festmasse” haben sie Chomeini empfangen, als „Umkehrungsmasse” haben sie die Befehlsstacheln des alten Regimes von sich abgetan, um sich sofort wieder bedingungslos den neuen Geboten zu unterwerfen. Als „Hetzmasse” lehren sie unseinen kaum mehr gekannten Schrecken: denn der Antiamerikanismus dieser Hetzmasse ist dabei, seine Dynamik ins Universum auszudeh nen.

Die ganze Welt zerfällt in zwei Doppelmassen, die in einem Heiligen Krieg einander auf Tod und Leben bekämpfen. Nach Canetti gehört zu den wichtigsten Kennzeichen der Masse ihr Hunger nach Wachstum: stößt sie an Grenzen, so zerfällt sie, ihre Mitglieder werden wieder ihrer individuellen Lage inne.

Ohne die erregten Massen ist der Imam nichts als ein beliebiger südamerikanischer Militärdiktator. Daß er die üblichen Regierungssysteme und dazu die diplomatischen Spielregeln abgeschafft hat, bedeutet, daß nicht er herrscht, sondern die Masse. Die Drohung mit Krieg und Tod.garantiert der Masse ihren Zusammenhalt und ihr Wachstum und dem Imam die Macht.

Wie Hitler hat der Imam die große Masse der Erniedrigten und Beleidigten hinter sich. Eine Revolution läßt sich nicht beliebig anzetteln: doch die Abermyriaden von „Befehlsstacheln”, die das Abendland wie Kafkas Maschinerie in der „Strafkolonie” Herz und Hirn und Leib der Dritten Welt eingeschrieben hat, sind eine Tatsache, die nach Umkehrung schreit. Der Schrei ist überdies genährt von der Klage über die ungezählten Toten und Märtyrer.

Vordem Phänomen der Umkehr verfangen unsere rationalen Einwände, daß Hitler von der Großindustrie finanziert worden sei und Chomeini selbst nicht zum iranischen Lumpenproletariat gehöre, überhaupt nicht: sie erweisen sich als sinnlos, denn die Macht leitet sich her aus den Verbots-, Umkeh-rungs- und schließlich Hetzmassen.

Die Religionen sind zählebiger, als es die Todesurteile auf Zeit durch Marx und Freud und den Monismus erwarten ließen. Der Papst spielt im Wertspektrum der Massenmedien die Rolle eines Superstars: quantitativ gesehen ist er dem Imam sogar überlegen, seine Polenreise hätte eine vergleichbare Wirkung haben können! Doch hält sich der Papst selbst im totalitären Staat (und erst recht anderswo) an eine abendländische Grundregel, die sich am besten mit Montesquieus Theorie der Gewaltenteilung umschreiben läßt.

Der Imam provoziert dagegen die universell gewordene kriegerische Doppelmasse, die in unserem Alltag symbolisch im Fußballstadion abreagiert wird, die auf der politisch-ökonomi; sehen Ebene durch Wahlen und Kollektivverträge weitgehend friedlich (= symbolisch) agiert. Die abendländischen Kirchen haben die Gewaltenteilung akzeptiert, selbst das Unfehlbarkeitsdogma änderte nichts mehr daran, daß die Herrschaft des Papstes symbolisch wurde.

Canettis Buch ist das überzeugendste Plädoyer für die Demokratie als Herrschaftsform: in der parlamentarischen Demokratie ist die Todesdrohung der Doppelmassen durch die Sprache (den ursprünglichsten Symbolisierungspro-zeß) neutralisiert. Sprechen statt töten setzt aber voraus, daß die Sprache mehr als Befehl ist. (Befehl: „das ausgesetzte Todesurteil”.)

Imam und Papst: für den Gegensatz zwischen beiden enthält „Masse und Macht” alle Schlüssel. Der Katholizismus (Kapitel „Katholizismus und Masse”) ist zwar eine Massenreligion mit Massenkristallen, aber er ist im Grunde eine große Maschine zur „Zähmung” und „Verlangsamung” der Massen. Er ist extrem hierarchisch, die Gemeinschaft (sprich Gleichheit) wird ins Jenseits verwiesen. Freuds fundamentaler Irrtum bestand darin, in seiner „Massenpsychologie” gezähmte und hierar-chisierte Massen (Kirche, Armee) mit der Masse an sich verwechselt zu haben. Der Imam operiert mit echten Massen, das heißt, er operiert nicht mehr wie der Katholizismus symbolisch.

Tod und Auferstehung Christi sind das Herz der christlichen Religionen. Auch im Islam und erst recht in der schiitischen Variante spielen Tod und Märtyrertum eine große Rolle. Das Christentum ist eine Klagereligion, die Religion des Imam ist eine Kreuzung aus Klage- und Kriegsreligion: die persischen Massen begnügen sich nicht mit der symbolischen Evokation des mythischen Märtyrertodes ihres Religionsgründers, sie identifizieren diesen mythischen Tod mit den sehr realen Opfern des Schahs und schließlich mit ihrer eigenen Lage als Ausgestoßene.

Der Papst könnte in Lateinamerika eine vergleichbare Rolle spielen, obwohl ihm die absolute mythische Einheit der Macht versagt wäre. Seine Macht bliebe das Wort.

Der Imam verwirklicht noch direkter als Hitler, der immerhin mit einem komplexen System der Teilung und Differenzierung der Gewalt aufräumen mußte, ganz rein die mythische Konzentration der Macht. Er braucht dazu keine diffusen Feindbilder, er hat im Schah einen personifizierten Teufel zur Hand.

Mit seinen Massen will er dessen exemplarischen Tod: fände die Exekution wirklich statt, die Welt erlebte an diesem Tag ihr bisher gigantischstes Fest. Doch nach der Erreichung dieses Ziels gehen Hetz- und Festmassen auseinander, die mythische Macht zerfällt wieder in ihre Teilbereiche. Man darf sich fragen, ob der Imam an der wirklichen Auslieferung des Schahs Interesse hat.

Das Drama der heutigen Welt des Islams entzieht sich den wohlpräparierten ideologischen Katechismen. In überraschender Weise ist nicht nur davon, sondern von den schlimmsten Ängsten und größten Hoffnungen unserer Zeit im von Wissenschaft und Ideologie verachteten Hauptwerk Canettis' die Rede. Nostra res agitur.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung