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Wie mit den Arabern leben?

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Welche Beschlüsse auch immer am Ende des arabischen Gipfeltreffens in der marokkanischen Hauptstadt Rabat stehen — eine arabische Einigung ist, je nach Standpunkt, weder zu erhoffen noch zu befürchten. Denn der Streit um den palästinensischen Alleinvertretungsanspruch zwischen .Hussein und Arafat ist bis zu jenem Punkt gediehen, der eip gemeinsames Vorgehen unmöglich macht. Was manchem Realisten innerhalb des arabischen Lagers Grund geben könnte, insgeheim erleichtert aufzuatmen.

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Welche Beschlüsse auch immer am Ende des arabischen Gipfeltreffens in der marokkanischen Hauptstadt Rabat stehen — eine arabische Einigung ist, je nach Standpunkt, weder zu erhoffen noch zu befürchten. Denn der Streit um den palästinensischen Alleinvertretungsanspruch zwischen .Hussein und Arafat ist bis zu jenem Punkt gediehen, der eip gemeinsames Vorgehen unmöglich macht. Was manchem Realisten innerhalb des arabischen Lagers Grund geben könnte, insgeheim erleichtert aufzuatmen.

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Damit werden die tiefen Spaltungen des arabischen Lagers wieder einmal in einer Frage sichtbar, die keineswegs die einzige ist, in der arabische Standpunkte arabische Interessen und Machtansprüche spiegeln. Seit einem Jahr spielt die Ölpolitik eine ähnliche Rolle. Für den Rest der Welt ist die arabische Uneinigkeit ein Glück. Arabische Einigkeit könnte Katastrophenalarm für Israel bedeuten — und Katastrophenalarm für die Welt.

Sowohl die Gruppe der allen Kriegslasten ausgesetzten Nachbarn Israels als auch die der mehr oder weiniger verbalaggressiven und unterstützungswilligen Nichtnachbarn zeigt Spaltungen, die genau den Linien der innerarabischen Interessensgegensätze folgen. Da wäre Ägypten, das nicht nur unter dem Krieg gelitten, sondern im Oktoberkrieg auoh sein kriegerisches Erfolgserlebnis verbucht hat und den Frieden nicht nur für eine innenpolitische Aufbauarbeit unter Sadat, die man fast als bürgerliche Revolution bezeichnen kann, braucht, sondern sich auch, als Teilsieger, psychologisch leisten kann. Da wäre Jordanien, das 1967 zwar verloren, aber anerkanntermaßen am tapfersten gekämpft und daher keine militärische Rehabilitierung notwendig hat und dessen König traditionell eine solche Außenseiterposition im islamischen Lager einnimmt, daß er sich Sonderpositionen leisten kann. Da wäre Syrien, dessen innenpolitische Situation starke Parallelen zu der Ägyptens vor dem Oktoberkrieg aufweist: Ein an einer Friedensregelung interessierter Präsident Ąsad im Clinch mit einer Armee, die vorerst entschlossen scheint, erst dann wieder mit sich sprechen zu lassen, wenn sie ihr Erfolgserlebnis gehabt hat. Und da wäre der islamisch-katholische Libanon, dessen liberales innenpolitisches System zwischen dem Terror der Fanatiker und der Härte des israelischen Ver- gel’tungsaktion zu zerbrechen droht.

Und da wäre schließlich der schaumgebremste Charismatiker des Terrors, Arafat, der, seinerseits Habasch und die noch Radikaleren im Rücken, bereits einiges zu verlieren hat und in letzter Stunde vor einer Einigung noch alles zu gewinnen hofft.

Die ferneren Nachbarn: Da wäre einmal der Irak, den, nach Grenzzwischenfällen mit Iran und Kuwait, nioht einmal die direkte militärische Mitwirkung an der syrischen Front vor der Isolierung im arabischen Lager als Folge der engen Anlehnung an die Sowjetunion bewahren konnte. Da wäre vor allem Libyen, da wäre der islamische Messias in spe Gaddafi. Gaddafi, der Unkontrollierte und Unkontrollierbare, der Unberechenbare, der Hysteriker der nationalen arabischen Sache und Schutzpatron aller Terroristen, aber auch der Mann eines sehr rationalen Machtkalküls und eines sehr wirkungsvoll aufgebauten Machtanspruchs.

Ägypten, Jordanien, aber auch Algerien, Marokko und Tunesien sind heute an jedem weiteren Krieg gegen Israel und im Grund auch an den Palästinensern desinteressiert. Aber die Palästinenser, sprich ihre Führer, allen voran Arafat und in seinem Rücken die noch Radikaleren, haben — hauptsächlich von Nasser auf gebaut — ein Eigengewicht gewonnen, das nicht nur jede arabische Politik ohne sie unmöglich, sondern auch jedes als Angriff auf ihre Interessen auszulegende Wort zum politischen Selbstmord macht, wofür nicht zuletzt Gaddafi sorgt.

Weniger in der Ölpolitik als in der Israelpolitik bleibt eines der bedeutendsten Machtzentren, wenn nioht das bedeutendste, im Hintergrund: Saudi-Arabien. Saudi-Arabien, bis vor einem Jahr der Weltöffentlichkeit weithin nur als „eines dieser Ölländer“ bekannt, wird auch heute noch wirtschaftlich viel ernster genommen als politisch. Einer der Gründe dafür ist die öffentliche Zurückhaltung von König Saud, der keine spektakulären Erklärungen abgibt und sich auch im Vorjahr in Allababad damit begnügte, die Pan- islamische Konferenz mit einem Gebet zu eröffnen und nachher schwieg. Tatsächlich ist heute nicht nur arabische Ölpolitik, sondern auch arabische Israelpolitik ohne König Feisal kaum mehr möglich.

Seine Macht beruht sowohl auf Saudi-Arabiens Ölmilliarden als auch auf seiner Stellung als Herr über die heiligsten Stätten des Islam (Mekka und Medina liegen in Saudi-Arabien) und als Islam-konservativer Asket auf dem Thron. In er Riad, einer der weltabgeschlossensten Hauptstädte der Welt, dürfte — und dies sollten wir zur Kenntnis nehmen — nicht nur einer der wichtigsten Schlüssel zur arabischen

Israelpolitik, sondern auch die Macht zu wirtschaftlichen Entscheidungen liegen, denen erheblicher Einfluß auf Fortbestand oder Untergang des weltwirtschaftlichen Systems zukommt.

Dabei folgte die Ölpolitik Saudi- Arabiens im vergangenen Jahr so genau seinen wirtschaftlichen und politischen Interessen, daß es möglich sein sollte, sich auoh in Zukunft auf die Rationalität der saudi-arabischen Entscheidungen zu verlassen.

Nur einer äußerst oberflächlichen

Betrachtung konnte die Politik Feisals und seines Erdölministers Scheich Jamani, im Zusammenhang mit Israel zuerst mit dem Ölembargo zu drohen und die Drohung dann zurückzunehmen, zuerst den ölpreis in die Höhe zu spielen und dann für eine — geringere — Senkung des Ölpreises einzutreten, inkonsequent erscheinen. Feisal ist ein gläubiger, erzkonservativer Moslem, der eine durch und durch logische Politik macht. Feisal wie Gaddafi betreiben die Ranaissance des Islam, in beiden Ländern ist der Koran das oberste Gesetz, und wenn irgend jemand in der islamischen Welt Gaddafi die Glaubwürdigkeit als oberster Erneuerer des Islam streitig machen kann, dann ist es der König Saudi-Arabiens, der mit seinen Ölmillionen seit vielen Jahren die arabischen Aktionen gegen Israel finanziert und der Geldgeber zweier Kriege war, in dessen Konzepten aber der Eindämmung des kommunistischen Einflusses im Nahen Osten höherer Rang zukommen dürfte als der Bekämpfung Israels.

Demnach war die Drohung mit einem Ölembargo zwar ein wirkungsvolles Druckmittel, um Zugeständnisse in der Israelfrage zu erreichen — aber ein Druckmittel, das König Feisal kaum je bis zu jenem Punkt einsetzen wird, wo das Weltwährungssystem wankt, eine Weltwirtschaftskrise die von Feisal gefürchteten sozialen Umsturzbewegungen vorantreibt und damit seinen eigenen Thron bedroht.

Hier stehen zwei ölpolitisehe Konzepte diametral gegeneinander — das Gaddafis und das Feisals. Und wohl auch zwei weltpolitische Konzepte. Gaddafi möchte alle Araber unter seiner Führung vereinigen und am liebsten den Islam in einem neuen Glaubenskrieg nach Europa tragen (was er mehrmals angedeutet hat). Feisal wünscht Koexistenz, Gaddafi Konfrontation mit den anderen Religionen, vor allem dem Christentum. Feisal wünscht Stabilität im Inneren und, als Voraussetzung dafür, in der Welt. Gaddafi möchte die’Öldollars dazu benützen, die Weltwirtschaft zu imterminieren und zu Fall zu bringen. Feisal möchte seine öimilliarden so sicher und, vor allem politisch, gewinnbringend wie möglich anlegen und die Weltwirtschaft aus diesem wie aus den angeführten Gründen intakt erhalten. Feisal bestimmt, mit einer Jahresförderung von, 1974, schätzungsweise 300 Millionen Tonnen die arabische Ölpolitik. (Kuwait fördert 160, Libyen 120, der Irak 77, Algerien 60, die Vereinigten Emirate 55, Katar 25, Ägypten 20, Oman 15 Millionen Tonnen.) Dabei ist die algerische Ölpolitik weitgehend vorbildlich für die anderer großer arabischer Produktionsländer.

Daher sind (siehe auch FURCHE Nr. 42/1974) die „Ölkönige“ und „Ölscheichs“ nioht Gegner, sondern Teilhaber des weltwirtschaftlichen Systems — und nicht Gegner, sondern Partner der Verbraucherländer. Allerdings harte Partner, die kaum einen Schritt des einmal eroberten politischen und witschaftlichen Terrains preisgeben werden, solange die Welt auf das öl aus ihrem Boden angewiesen ist. Die Alternative zu einem Zusammenbruch des weltwirtschaftlichen Systems • ist daher nicht die Senkung des Ölpreises, solange für die arabischen Ölproduzenten günstigere, lockendere Lösungen der weltweiten Zahlungsbilanzprobleme erkennbar sind.

König Feisal war zumindest bis vor kurzem auf kurzfristige Anlage seiner Guthaben eingeschworen. Noch vor 20 Jahren flog Tag für Tag eine selbst für damalige Begriffe betagte Propellermaschine die königliche Tageslosung in Form von Goldmünzen nach er Riad. Da für diesen Zweck einerseits eine Großraummaschine nötig, anderseits das

Gold nicht mehr verfügbar wäre, haben die Ölprodiuzenten mit Bankguthaben zu leben und die Zinsen schätzen gelernt. Heute hängt die Zukunft des Weltwährungssystems und damit der Weltwirtschaft nicht von einer — leider unrealistischen — Ölpreissenkung, sondern von einem möglichst schnellen Übergang von kurz- zu langfristigen Veranlagungen der Ölmilliarden ab. Das Mißverhältnis zwischen kurzfristigen, den Burodollarmartkt überschwemmenden Ölmilliarden und dem Mangel an längerfristig verfügbaren Investitionsmitteln hat zu dem absurden Zustand einer Geldschwemme bei gleichzeitigem drük- kendem Kapitalmangel geführt, und die Geldschwemme, nicht aber ein Überangebot an Investitionsmitteln, dürfte der hauptsächliche Inflationsmotor vom Geldmarkt her sein.

Langfristige Anlage der Ölmilliarden — ohne zunehmende arabische Kontrolle der Volskwirtschaften in den Verbraucherländem ist dieses Problem leider nicht zu lösen. Das heißt, daß wir lernen müssen, mit den Arabern, mit einem, auf Grund seiner Kapitalkraft aggressiven, enorm expansiven arabischen Kapitalismus zu leben. Innerhalb des kapitalistischen Systems ist eine Alternative nioht sichtbar (und ein sozialistisches System stünde schnell vor demselben Problem, daß der ölbedarf einer Industriegesellschaft mit dem Importbedarf bevölkerungsarmer Wüstenländer nicht auf einen Nenner zu bringen ist und der Austausch Waren gegen öl hier seine Grenze findet).

Mit den Arabern leben: Das heißt mit König Feisal und mit den Herrschern bzw. Diktatoren der Erzeugerländer leben, die im kommenden Jahrzehnt wahrscheinlich dieselbe Rolle als Aufkäufer ganzer Volkswirtschaften spielen werden, die in einer vergangenen Epoche die US- Konzeme gespielt haben. Zumindest muß dies als Wahrscheinlichkeit ins Auge gefaßt werden.

Die Chanoe für Israel besteht darin, daß sich ein Mann wie Feisal, in dessen Land zwar rückfälligen Dieben die Hand und Kommunisten der Kopf abgeschlagen wird, der aber den Westen bereist hat und sehr genau kennt, ausrechnen kann, daß das Ölembargo eine Waffe ist, die nach hinten ebenso leicht wie nach vorne losgeht. Zumal ja gerade die USA ein arabisches Embargo einige Zeit und vielleicht länger durchstehen könnten. Man kann sich daher im Westen ausrechnen,

daß Feisal, im Gegensatz zu Gaddafi, zwar die Gegner Israels finanziert, aber einen Erfolg der Friedensbemühungen wünscht. Dabei dürfte, je stärker die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Irak werden, die alte Antipathie zwischen Saudi-Arabien und Jordanien zurücktreten und Saud als stiller Förderer Husseins aus dem Hintergrund wirken.

Nicht nur Öldollars tragen keine Mascherln. Auch politische Prozesse verraten nicht immer alle zu ihrem Entstehen beitragenden Faktoren. Durchaus denkbar, daß sich in den neuen israelischen Konzepten eines schrittweisen Zurückweichens von der Sinaihalbinsel gegen politische Friedensregelungen die Rückeskala- tion des Nahost-Konfliktes ankündigt.

Ebenso denkbar, daß die Überleitung kurz- und langfristiger Geldanlagen längst nicht nur als Notwendigkeit erkannt, sondern im vollen Gang ist. Die Finanztransaktionen der Ölländer vor allem des Nahen Ostens spielen sich in einem besonders undurchdringlichen Dunkel ab.

Im gegenwärtigen Zeitpunkt, in der gegenwärtigen Verfassung des Weltwährungssystems und der Weltwirtschaft, sind unpopuläre Priori- tätsssetzungen notwendig. Ein Fallenlassen Israels ist für den Westen unmöglich, sollte nicht nur für die USA, sondern auch für Europa aus- scheiden — vor allem dann, wenn Israel an der Suche nach Lösungen, die auch für die Araber und ihr verwundbares Selbstbewußtsein tragbar sind, mitwirkt. Abgesehen davon muß sich Europa, müssen sich aber auch die USA auf ein Leben mit Arabern einstellen, denen durchaus zuzutrauen ist, daß sie den Rest der Welt, soweit er ihr öl braucht, ihre Macht fühlen lassen. Zumal sie ein gutes Gedächtnis und ihre offenen Rechnungen mit Europa, aber auch mit Amerika, kaum vergessen haben.

Auf die in Rabat neuerlich zutage getretene arabische Uneinigkeit können wir uns dabei verlassen — sollten aber nicht auf sie bauen. Den# diese Uneinigkeit spiegelt in erster Linie die Unvereinbarkeit politischer Machtansprüche. In der Auseinandersetzung zwischen Förderländem und Verbraucherländem aber zählen nicht politische oder religiöse Machtansprüche, sondern nur die echten Interessen und die Macht.

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