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Die arabischen Gesellschaften werden in diesen Tagen politisch umgepflügt. Kaum eine westliche Regierung scheint die Wucht dieser Wende zu begreifen.

Wie Dominosteine könnte ein arabisches Regime nach dem nächsten kippen. Ob 2011 zum 1989 in der arabischen Welt wird und eine Implosion der Despotien bewirkt, ist noch unklar. Doch nichts wird mehr so sein, wie dies vor dem 1. 1. 1. war. Was in Tunesien anfing, ist nicht aufzuhalten. Der Westen könnte hierbei das Nachsehen haben. Denn ihre Glaubwürdigkeit haben europäische Regierungen in den Augen der arabischen Öffentlichkeit schon lange verloren. Das aktuelle Taktieren zur Allianz mit Mubarak schwächt den Stand des Westens nur weiter. Die Geopolitik in der Region wird bald eine andere sein.

Al-Jazira ist Teil der Revolution

Zum einen wird eine Neuausrichtung in Kairo auch den Nahostkonflikt, das Verhältnis zu Israel, bestimmen. Zum anderen geht es um wichtige Reserven von Erdöl und Erdgas, falls der Funke der Revolution überspringt. Zwar garantiert der Gesellschaftsvertrag in den rohstoffreichen Staaten einen umfassenden Wohlfahrtstaat, um die "Untergebenen“, die weder Bürgerpflichten in Form von Abgaben noch Bürgerrechte wie Mitbestimmung haben, ruhig zu halten. Wir befinden uns aber in einer neuen Ära der Berichterstattung und Kommunikation. Der arabische Sender Al-Jazira ist Teil dieser Revolution. Journalismus in Tradition investigativer Berichte wird von diesem in Katar gegründeten Sender betrieben. Al-Jazira filmte und kommentierte die Revolten in Tunis, als sich weder BBC noch CNN hierfür interessierten. Nicht nur westliche Politiker, auch Redaktionen begriffen zu spät die historische Bedeutung der Ereignisse in dem nordafrikanischen Reiseland.

Digital getriebene, aber führungslose Aufstände und Revolutionen bewegen zeitgleich die gesamte arabische Welt. Es ist nicht bloße soziale Revolte wegen hoher Preise für Nahrungsmittel, sondern eine echte politische Rebellion. Begonnen wurden sie von jungen Menschen, die ihre Angst vor den "Muhabarat“, den Geheimdiensten, überwanden und ihrer Wut über Ungerechtigkeit freien Lauf ließen. Vor dieser demografischen Bombe arbeitsloser aber gut ausgebildeter junger Menschen wurde lange gewarnt. Politisch organisierte Gruppen, wie Islamisten, halten sich nicht nur in Ägypten diskret im Hintergrund. Ihre Basisorganisationen funktionieren perfekt im Untergrund. Sie könnten aber bei freien Wahlen von säkularen Parteien ernste Konkurrenz erhalten. Anders als im Irak stellen die Menschen in Tunesien und Ägypten diese Regimewechsel aus eigener Kraft auf die Beine. Keine ausländische Botschaft, wie einst in der Ukraine oder Georgien, finanziert Proteste. Erstmals könnten die Menschen in dieser Region ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrhaftig ausüben. Denn ausländische Einmischung und Allianzen mit ehemaligen Kolonialmächten verhinderten oft Veränderungen. So bot Paris kurz vor dem Sturz der Diktatur in Tunis noch die Entsendung von Elitetruppen zur Herstellung von Ordnung an. Die USA möchten als Konsulent für Demokratie in Tunesien die frankofone Einflusssphäre aufbrechen. In Ägypten ist die Lage für die USA komplexer. Zwei Drittel der gesamten US-Auslandshilfe gehen an zwei Staaten, Israel und Ägypten.

Das Wort "nakba“ ist im Arabischen allgegenwärtig. Es bedeutet "Katastrophe“ und wird meist mit dem Palästinakonflikt und militärischen Niederlagen gegen Israel verbunden. Es bringt aber die Wut der Menschen ob ihrer Ohnmacht zum Ausdruck. Was man von Demonstranten und Journalisten, die endlich frei schreiben wollen, hört, ist folgender Satz: "Wir haben uns die Würde zurückerobert!“

Israel als einzige Demokratie

Die Sehnsucht nach Würde als Kern aller Menschenrechte treibt sie auf die Straßen. Davon sind nicht nur die alten Eliten überrollt, sondern auch die Staatskanzleien. Die USA und die Europäer wirken zögerlich und verwirrt. Kaum eine westliche Regierung scheint tatsächlich die Wucht dieser Wende zu begreifen. Der Rat aus Israel lautet: "Jordanien und Saudi-Arabien verfolgen mit Sorge, wie jeder Mubarak aufgibt, das könnte gefährliche Folgen haben.“ Die Israelis hatten ebenso die Fähigkeit der Menschen, Diktatoren zu verjagen, unterschätzt. Sollte es nach den Revolutionen zu demokratischen Verhältnissen im Nahen Osten kommen, wäre gewissermaßen das Monopol, auf das Israel gerne als "einzige Demokratie in der Region“ pocht, nicht mehr gültig. Nicht auszuschließen ist aber auch ein demokratisch bedingter Aufstieg islamistischer Parteien, die in Ägypten und später auch in Jordanien, die Verträge mit Israel aufkündigen könnten. Gemäß dem Rechtsgutachten, das der ägyptische Präsident Sadat 1978 vor seiner Reise nach Jerusalem von der Al Azhar Uni in Kairo einholte, handelt es sich bloß um einen Waffenstillstand.

Die Golfstaaten sind trotz ihrer besseren finanziellen Ausgangslage ebenso wenig immun gegen den Virus des Volksaufstandes. Der saudische König Abdullah ist seit November in New York hospitalisiert. Auch wenn die Nachfolgeregelung im Haus Saud auf dem Papier geregelt ist, ein Erbstreit ist möglich. Dennoch schlossen die USA das größte Waffengeschäft aller Zeiten im Umfang von 60Milliarden USD mit dem Golfstaat kürzlich ab. Unabsehbar ist, in wessen Hände all die Waffenarsenale fallen könnten. Aus der iranischen Lektion 1979 scheint niemand etwas gelernt zu haben.

Füllt China das Machtvakuum?

Unglaubwürdig werden die Botschaften zu "Demokratie und Reform“ angesichts des Taktierens um den Ausgang der Revolten. Der Westen stützt aus Sorge um eine Machtübernahme durch islamistische Parteien seine Autokraten, so wie einst die Militärdiktaturen Lateinamerikas aus Angst vor den Kommunisten gefördert wurden. Mubarak weiß wie sein algerischer Kollege Bouteflika, mit diesen Ängsten zu spielen. Doch die arabischen Gesellschaften werden dieser Tage völlig umgepflügt. Die Option muss nicht mehr lauten: säkulare Diktatur oder Islamismus. Das politische Spektrum kann sich verbreitern.

Selbst wenn unsere Regierungen in der Nahostpolitik authentischer werden, ihr Einfluss schwindet. Langfristig interessanter als Handelspartner werden asiatische und lateinamerikanische Staaten sein. Vielleicht werden wir eines Tages pro-chinesische Generäle an der Spitze arabischer Staaten, gar in neuen Grenzen, sehen. So wie es einst von den Briten eingesetzte Emire, prosowjetische Putschisten oder US-loyale Könige gab, könnte nun China in das Machtvakuum vorstoßen.

Am Golf wachsen nicht Tomaten und Zwiebeln, sondern liegen große fossile Reserven. Keine zukünftige Weltmacht wird daher die Ereignisse nur über Depeschen verfolgen, sondern mitmischen wollen. Es ist bekanntlich kein Naturgesetz, dass arabisches Öl westwärts fließt. Damit wären dann im Namen handfester Interessen die erreichten Errungenschaften an Bürgerrechten in der arabischen Welt wieder zerstört. Die Geschichte ist aber voller Überraschungen. Ein neues Kapitel hat eben erst begonnen und es wird uns alle betreffen.

Die Autorin

Die promovierte Juristin Karin Kneissl ist seit ihrem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst 1998 in Lehre und Forschung mit den Schwerpunkten Naher Osten, Energie und Völkerrecht tätig. Ihr Buch "Der Energiepoker“ liegt in zweiter überarbeiteter Auflage vor.

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