6957218-1984_34_13.jpg
Digital In Arbeit

Data Morgana der Technik

19451960198020002020

Eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) zur Arbeitszeitverkürzung handelte sich den Vorwurf einer „ Milchmädchenrechnung" ein. Vereinfacht sie das Problem?

19451960198020002020

Eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) zur Arbeitszeitverkürzung handelte sich den Vorwurf einer „ Milchmädchenrechnung" ein. Vereinfacht sie das Problem?

Werbung
Werbung
Werbung

Ihr Ruf ist so zwiespältig wie manchesmal die Ergebnisse ihrer Arbeit. Die österreichischen Wirtschaftsforscher werden von den einen als moderne Medizinmänner und Druiden belächelt, die eben gute oder schlechte Zukunftsaussichten, anstatt aus dem Taubenflug oder der Anordnung der Runen zu lesen, heute aus modernen Computern zaubern.

Das Ergebnis sei fast genauso zufällig wie damals. Da hing es

von der Geschicklichkeit des Runenwerfers ab oder einfach von den Wetterverhältnissen, ob die Vögel hoch oder tief flogen.

Heute füttere man eben den Computer mit den richtigen Daten — und — Abrakadabra — kommt das raus, was gerade gefragt ist. Bei konkreter Uberprüfung an der Wirklichkeit stelle sich sowieso alles als eine „Data Morgana" heraus.

Auf der anderen Seite werden die Berechnungen der Prognose-Profis gläubig in Empfang genommen, wird eine Zahlengläubigkeit zelebriert, wo eine falsche Dezimale im Ergebnis schon den erhobenen Zeigefinger bedeutet.

Wie so oft wäre auch hier ein goldener Mittelweg besser, um der Zunft der Wirtschaftsforscher gerecht zu werden.

Denn eigentlich hätten sie es gar nicht leicht, wie Helmut Kramer, Leiter des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), beteuert. Es ist das Problem aller Prognoseerstellungen, daß mit mathematischen Modellen gearbeitet werden muß, d. h. wirtschaftliche Entwicklungen werden mathematisch festgelegt und anschaulich dargestellt.

In Summe ergeben dann die vielen Einzelgleichungen eine Abbildung der Wirklichkeit wichtiger wirtschaftlicher Zusammenhänge. Durch Erhebung wirtschaftsstatistischer Daten und die Beobachtung des Marktes wird ver-

sucht, Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung festzustellen.

Die Wirtschaftsdaten der amtlichen Statistik (Statistisches Zentralamt) werden dabei ebenso herangezogen wie die der Nationalbank, des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und andere mehr. Dazu führt das WIFO selbst viermal jährlich Unternehmerbefragungen durch.

All das ermöglicht aber nur die Berechnung und Abbildung von quantitativen Fakten wirtschaftlicher Entwicklungen. Keine Möglichkeit besteht jedoch, die qualitativen Sprünge, wie zum Beispiel die Entwicklung auf dem Gebiet der neuen Technologien, zu erfassen. Dazu kommt, daß Wissen an sich immer schneller veraltet und von der Entwicklung überholt wird: Berechnungen für morgen sind oft schon bei der Präsentation Schnee von gestern.

Eigentlich, konkretisiert Kramer das Problem, sei es gar nicht möglich, die ganz konkreten wirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu prognostizieren. Sie sind meist unbekannt, können gar nicht be- oder errechnet werden. Es können bloß Trends und Entwicklungen abgeschätzt werden.

Selbst dabei kann man sich des öfteren täuschen. Ein Beispiel für einen Trendeinbruch, der gänzlich unerwartet kam: Bis zum Anfang der achtziger Jahre konnte das Sparverhalten der Österreicher so erklärt werden, daß man aufgrund der schlechter werdenden Arbeitsmarktsituation, der hohen Inflationsrate und des relativ hohen Zinsniveaus der Banken lieber zwei als nur einen Notgroschen auf die Bank trug.

Dieses Sparverhalten stimmte bis zum Beginn der achtziger Jahre. Dann gab's plötzlich eine Wende: Die Österreicher legten eine Mentalität an den Tag nach dem Motto: „Verkauft's mei G'wand, ich fahr' in Himmel!" Diese überraschende Entwicklung brachte einige Berechnungen durcheinander, obwohl, wie Helmut Kramer immer wieder betont, die in-

terdisziplinäre Zusammenarbeit eigentlich recht gut funktioniere.

So werden laufend die neuesten Ergebnisse der beiden Meinungsforschungsinstitute Fessel und IFES eingeholt. Sie können allerdings nicht als eine konstante Größe in das Modell miteingebaut werden. Sie werden nur dazu benutzt, die jeweiligen Ergebnisse zu interpretieren und weiterzube-rücksichtigen. Denn, so Kram-mer: „Es ist unverantwortlich, nur das als Prognose auszugeben, was der Computer ausspuckt."

Noch subtiler sieht Klaus Schedler vom Institut Bildung und Wirtschaft die Bandbreite möglicher Interpretationen. Für ihn sind Wirtschaftsprognosen vergleichbar mit der Erstellung von Fotografien: „Das Objekt ist dasselbe, nur jeder hat einen anderen Blickwinkel, stellt eine andere Schärfe und Tiefe ein. Und selbst das gleiche Ergebnis kann vom jeweiligen Betrachter (Auftraggeber) verschieden interpretiert werden."

Ein wunder Punkt bei der Abschätzung von Entwicklungstendenzen und möglichen Zukunftsperspektiven ist laut Helmut Kramer die rasante technische Entwicklung. Trotzdem man sich bewußt ist, daß die Strukturkonstanten eines Modells überhaupt nicht mehr stimmen, wird bei.Berechnungen noch immer mit Modellen aus den siebziger Jahren gearbeitet, werden Daten aus dieser Zeit mitverwendet.

Konkret: Werden heute Berechnungen angestellt, um den Zusammenhang zwischen unternehmerischer Investition, Beschäftigungszuwachs und der damit verbundenen Arbeitszeitverkürzung aufzuzeigen, wird ein Modell herangezogen, in dem diese Konstanten andere Zusammenhänge haben als heute. Heute bewirken Investitionen meist eine Rationalisierung mit der Schreckensvision einer total automatisierten Arbeitswelt. Im vorigen Jahrzehnt bedeuteten Investitionen meist noch Beschäftigungszuwachs. Das Ergebnis solcher Prognosen ist dann dementsprechend verfälscht.

Solche Fehlerquellen im Modell können dann nur noch durch Zusatzinformationen und entsprechende Interpretationen korrigiert werden, während Trendeinbrüche die Ergebnisse sowieso auf den Kopf stellen.

Außerdem, so Helmut Kramer, macht es bei der Erstellung von Prognosen einen enormen Unterschied, ob diese das jeweilige Projekt beeinflussen oder nicht. Bei astronomischen Berechnungen sei es letztlich egal, ob der Komet nun kommt oder nicht, während die Frage zum Beispiel im Fall von Konjunktur-Erwartungen andere Konsequenzen hat. Insofern würde man bei Wirtschaftsprognosen nur unter Berücksichtigung aller möglichen und erfaßbarer Faktoren vorgehen.

Die Treffsicherheit wissenschaftlicher1 Prognosen wird gemessen am Vergleich von sogenannten „naiven" Prognosen seitens der Politiker, die mit ihrem gesunden Hausverstand und Gefühl für gesellschaftlich Relevantes Entwicklungen voraussehen (sollten). Denn eine bewußte Uberschätzung von Prognosen verwischt jegliche politische Verantwortung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung