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Den Schuldschein zerreißen?

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Geschenk oder Kredit, Beschenkte oder Schuldner? Die Frage, in welcher Form Entwicklungshilfe geleistet werden soll, ist im internationalen Bereich wieder aktuell geworden. Die Länder der „Dritten Welt“ klagen, daß Rückzahlungsraten und Renten für sie katastrophale wirtschaftliche Probleme verursachen. Daher sollten die reichen Länder, so meinte man zuletzt beim Nord-Süd-Dialog in Paris und während der letzten Sitzungsperiode der UNO, auf die Rückzahlung der staatlichen Kredite verzichten und die in den Aufbau der ärmsten Länder gepumpten Summe in Geschenke verwandeln. Die Schuldenlast sei so groß geworden, daß sie die Entwicklungsländer daran hindere, in Schulwesen, Landwirtschaft und Industrie zu investieren - also einen wichtigen Schritt in Richtung „Selbsterhaltung“ zu gehen.

Die Industrieländer waren bisher nur bereit, von Fall zu Fall zu entscheiden und die Rückzahlung einzelner Kredite nachzulassen. Einer generellen Lösung in dieser Richtung haben sie sich bisher widersetzt. Zwei hauptsächliche Gründe werden dafür genannt: Einerseits würde die Umwandlung aller Kredite in Geschenke den ärmsten Ländern unter den Armen schaden - sie konnten ja schon bisher am ehesten damit rechnen, von der Rückzahlung befreit zu werden -, anderseits könne eine derartige Geste aus staatlicher Hand eine Belastung für die privaten Handels- und Industrieunternehmen sein, die als Krediteure gegenüber den Entwicklungsländern aufgetreten sind, um geschäftliche Verbindungen anzuknüpfen.

Seit kurzem sind allerdings die Reihen der Industrieländer nicht mehr dicht geschlossen. Zwei von ihnen waren der Meinung, sie sollten mehr auf die Bitten der Entwicklungsländer hören als auf die Einflüsterer aus den eigenen Reihen: zunächst Kanada und später Schweden. Es ist bemerkenswert, daß just zwei Länder diesen Schritt gewagt haben, deren eigene ökonomische Situation im Augenblick nur als „krisengeschüttelt“ bezeichnet werden kann und denen es sicher nicht leicht fällt, auf Milliardenbeträge zu verzichten. Das kanadische Geschenk macht etwa vier Milliarden Schilling aus, das schwedische 3,2 Milliarden. Doch man hat in diesen Ländern anscheinend den Blick dafür noch nicht verloren, daß das, was man im Westen „Krise“ nennt, gigantischer

Luxus ist, wenn man es mit den Augen der Ärmsten sieht.

Vom Sprecher der pakistanischen UNO-Delegation wurde die kanadisch-schwedische Initiative als „Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt. Er sprach dabei nicht nur für sein Land. Pakistan hat derzeit den Vorsitz in der „Gruppe 77“, der Vereinigung der Entwicklungsländer, der derzeit 110 der 149 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen angehören. (77 waren es bei der Gründung, daher der heute nicht mehr zeitgemäße Name.) Schweden hat seine Aktion an die UN-Skala über die ärmsten Länder der Welt gekoppelt Daher sind die Kredite an Tunesien, Kuba und Sambia nicht betroffen, da das Bruttonationalprodukt dieser Länder bereits über die von den Vereinten Nationen gesetzte Marke gestiegen ist.

Im großen gesehen, ist die Initiative freilich nicht viel mehr als eine Geste. Die von Schweden und Kanada den Entwicklungsländern überlassene Summe macht eine knappe halbe Milliarde Dollars aus und somit gerade ein Prozent aller Kredite, die der entwik- kelte Westen seiner weniger entwik- kelten Brüdern gewährt hat. Der schwedische Minister für „Zusammenarbeit mit der Ditten Welt“, Ola Ullsten, hofft auf eine beispielgebende Wirkung der Aktion seines Landes. Schon bisher machten die Kredite nur einen kleinen Teil der schwedischen Entwicklungshilfe aus; exemplarisch ist die Umwandlung der Kredite in Geschenke also nicht so sehr we

Geldsumme, sondern wegen der Ideologie, die dahinter steht. Man will sich die, denen man hilft, nicht gleich wieder zu Schuldnern machen. Man will ihnen so helfen, wie sie selbst es für richtig halten.

Kein Zweifel, daß sich Schweden und Kanada in der Dritten Welt Freunde mit dem „ungerechten Mammon“ geschaffen haben. Beide liegen auch abgesehen von der neuen Initiative in der „Entwicklungshilfeskala“ der OECD gut placiert; Schweden zusammen mit Holland an erster Stelle mit einem Aufwand von 0,82 Prozent des Bruttonationalproduktes für die Kooperation mit der Dritten Welt, Kanada mit 0,46 Prozent wenigstens noch an siebenter Stelle der 17 Staaten umfassenden Liste der Industrienationen.

Österreich nimmt seit Jahren hinter Italien einen blamablen letzten Platz in der Skala ein. 1970 bis 1974 hatte es seine Leistungen an Entwicklungshilfe stark gesteigert. 1974 wurde das Entwicklungshilfegesetz beschlossen. Damals forderte der Entwicklungshilfebeirat im Bundeskanzleramt, wenigstens 0,5 Prozent des Bruttonationalproduktes bereitzustellen, die Bundesregierung sagte 0,3 Prozent zu. 1975, als der Durchschnitt der OECD-Staaten bei 0,36 Prozent lag, schaffte Österreich kaum die Hälfte mit 0,17 Prozent. Heuer sind die Entwicklungshilfeleistungen auf 0,10 Prozent zusammengeschrumpft Denkt man wenigstens daran, dem schwedisch-kanadischen Beispiel zu folgen, um das schlechte Gewissen zu befriedigen?

Auch die immer wieder erhobene Forderung nach einem „Marschall- Plan für die Dritte Welt“, wie sie Kanzler Kreisky bei’jeder Gelegenheit vorbringt, kann von dieser Blamage nicht ablenken. Oder gilt diese Forderung nur für die andern? Diese werden dem Spitzenfunktionär der Sozialistischen Internationale kaum abnehmen, daß er als Regierungschef nichts dergleichen tut.

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