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Die Hauptstadt des humanitären Engagements

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Am 14. Dezember reichen Wien und Budapest ihre Bewerbung um die Weltausstellung 1995 beim Pariser Ausstellungsbüro ein. In einer zunehmend kooperativen Welt muß Wien seine Chancen erkennen und seine Dreh-scheibenfunktion neu definieren.

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Am 14. Dezember reichen Wien und Budapest ihre Bewerbung um die Weltausstellung 1995 beim Pariser Ausstellungsbüro ein. In einer zunehmend kooperativen Welt muß Wien seine Chancen erkennen und seine Dreh-scheibenfunktion neu definieren.

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„Wenn sich dereinst die Völker Europas ihrer gemeinsamen Pflicht zum brüderlichen Fortschritt besinnen, dann dürfte für die Stadt Wien eine große Zeit anbrechen, ist sie doch das edle Herz unseres Erdteils und daher dessen natürliche Metropole, fürwahr Mutterstadt.“

Diese auch heute noch erst für künftige Zeiten geltende Vision stammt von dem kroatischen Jesuiten Rudjer Boskovic (1711 bis 1787) aus Dubrovnik, der als einer der größten Wissenschaftler seiner Zeit galt.

Der Glaube an die Mittlerfunk-tion,Wiens ist auch 200 Jahre nach Boskovic ungebrochen. Gerne wird er - wie könnte es in Wien anders sein — mit einem Blick in die Geschichte belegt: In keinem Prospekt über Kongreß- und Konferenzmöglichkeiten in dieser Stadt fehlt der Hinweis auf eine diesbezügliche Tradition, die spätestens mit dem Wiener Kongreß 1814/15 begründet worden sei.

Chancen, dem Beethovenschen Ethos der Brüderlichkeit Leben zu verleihen, hat es für Wien in der „großen alten Zeit“ ebenso überreichlich gegeben wie nach der Sprengung des „Völkerkerkers“. Aber für die sprichwörtliche Wiener Gemütlichkeit genügte nicht selten eine Dulijöh-Verbrüderung ä la Johann Strauß.

Geschichte und Politik boten dieser Stadt immer wieder Gelegenheit, sich als Drehscheibe zu präsentieren. Doch der Mythos von einer sich auf das jeweilige Verhandlungsklima auswirkenden besonderen Atmosphäre Wiens dürfte sich trotz so wichtiger Begegnungen wie zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow (1961) oder zwischen Jimmy Carter und Leonid Breschnew kaum aufrechterhalten lassen. Der politische Dialog, für den Wien zunächst einmal nur Forum sein konnte, ist eine äußerst zähe Angelegenheit, wenngleich die einzige Chance, ein einigermaßen friedfertiges Ost-West-Verhältnis zu schaffen.

Daß sich Erfolglosigkeit im politischen Gespräch auch auf die Einschätzung der Eignung einer Metropole als Ort der Begegnung auswirkt, zeigt die — mittlerweile aufgegebene - Haltung Frankreichs, wegen der Ergebnislosigkeit der Wiener Truppenabbau-Gespräche (MBFR) auch künftige, sich aus dem KSZE-Prozeß ergebende Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle nicht in Wien anzusiedeln. Diesbezüglich dürften sich aber das diplomatische Geschick und die beharrliche politische Arbeit der Österreich-Delegation beim Wiener KSZE-Folgetreffen, das mittlerweile auch schon in sein drittes Jahr eingetreten ist, positiv für Wien als künftigen KSZE-Konferenzort ausgewirkt haben.

Damit wächst Wien über seine Rolle, nur Forum zu sein, entscheidend hinaus. Politischer Einfluß aufgrund der Österreich nachgesagten und offenbar auch vorhandenen Sensibilität gegenüber den Interessen der großen Welt kann als Ausgleich wirken.

Auf diesem Hintergrund sind auch die wirtschaftlichen Aktivitäten Wiens zu sehen, im entstehenden EG-RGW-Konnex eine entscheidende Rolle zu spielen. Aber auf Konkurrenz wird man sich wohl einrichten müssen. Berlin, das sich zunehmend als Tor zum Westen versteht — und damit eine ähnliche Drehscheiben-Ideologie wie Wien konstruiert —, muß als Herausforderung vor allem auf dem Messe-Sektor ernstgenommen werden; desgleichen München und Mailand. Auch was Wiens Bedeutung als Drehscheibe der Binnenschiffahrt betrifft, sind große Anstrengungen beim Donau-Ausbau notwendig, sollte hier nicht Preßburg Wien den Rang streitig machen.

Nicht zu unterschätzen ist jedoch Wiens Stellung als dritter Amtssitz der Vereinten Nationen, wenngleich die Ambitionen der Generaldirektorin des Wiener UNO-Büros, Margaret J. Anstee, die Rolle Wiens als UNO-Stadt zu stärken, nur wenig öffentlichen Widerhall finden. Wer setzt sich hierzulande - außer milde lächelnd — mit dem sozialen und humanitären Engagement der Wiener UNO-Zentrale auseinander?

Daß hier Bestrebungen im Gange sind, die sozialen und humanitären Bereiche der UNO in Wien zu zentrieren, Wien also zur Welthauptstadt humanitärer Anstrengungen zu machen (neben New York als politisches und Genf als wirtschaftliches UNO-Zentrum), erfährt man gelegentlich am Rande. Mit Genugtuung nimmt man höchstens das Wohlbefinden der großen Zahl von Diplomaten und Beamten aus aller Welt in Wien zur Kenntnis.

Wien steht aber gegenwärtig vor Herausforderungen, die entschieden angenommen werden müssen. Und dazu gehört harte politische Knochenarbeit.

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