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Die Misere bleibt

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Der Entwurf für den Staatshaushalt 1972 liegt zwar dem Parlament schon vor: der Öffentlichkeit wird er aber nicht vor der ersten Lesung im Nationalrat bekanntgegeben.

Bekannt wurde bisher, daß die Ausgaben bei 122,8 Milliarden Schilling, die Einnahmen bei 113 Milliarden Schilling liegen sollen, was ein Defizit von 9,8 Milliarden Schilling ergäbe.

Gegenüber dem Bundesvoranschlag 1971 ist der Anstieg gewaltig: in diesem waren Ausgaben von 110,7 Milliarden Schilling und Einnahmen von 100,9 Milliarden Schilling vorgesehen gewesen. Daraus resultiert für das kommende Jahr ein Anstieg der Ausgaben um 12,1 Milliarden Schilling (von 1970 auf 1971: 9,5 Milliarden Schilling) und der Einnahmen um 12,3 (8,6) Milliarden Schilling. Das Defizit, das laut Voranschlag 1971 bereits 9,8 Milliarden Schilling betragen hatte, wäre demnach geringfügig kleiner. Allerdings wird die Richtigkeit der Einnahmenschätzung von Fachleuten bereits bezweifelt.

Die nun doch als sicher zu erwartende Rezession, die die Einnahmen drücken werde, ist nach Ansicht der Experten — auch politisch neutraler —- nicht genügend berücksichtigt. Prot Koren rechnet sogar mit Mindereinnahmen von 3 Milliarden Schilling, wodurch das Defizit auf 12 bis 13 Milliarden Schilling hin- aufsehnellen würde. Wieweit es sich bei dieser Ansicht um oppositionellen Zweckpessiimismus handelt, wird sich noch zeigen.

Vielleicht verläßt sich der Finanzminister darauf, daß ihm sein tüch- tüohtigster Steuereinheber — die Inflation — schon die Einnahmenprognose realisieren helfen werde; freilich werden dann auch die Ausgaben steigen, so daß der Saldo dadurch wieder geschmälert wird.

Grund für die skeptische Beurteilung der Budgeteinnahmen sind nicht nur weniger steigende Steuer- und Abgabenerträge, sondern auch die vermutlich ungünstigen Betriebseinnahmen bei Bundesbahn und Post, die sich — nicht zuletzt infolge der Arbeitszeitverkürzung — schon deutlich abzeichnen; auch für diese Posten dürften die Budgetansätze zu hoch sein.

Freilich hat der notorisch vorsichtige Dr. Androsch sein Budget nicht ohne Rückendeckung erstellt: sein Voranschlag dürfte nach den bisher bekanntgewordenen Ansätzen grosso modo der mittelfristigen Vorausschätzung des Beirates für Sozialund Wirtschatftsfragen bei der Paritätischen Kommission entsprechen. Jm Fall eines Irrtums weiß daher der Finanzminister, auf wen er die Schuld abladen kann.

Ob sich freilich der Gewerkschaftsbund, der sich auf seinem Jahreskongreß knapp vor den Wahlen für eine Steuersenkung stark gemacht hat, mit einem für das gesamte Jahr 1972 unveränderten Steuertarif abfinden wird und kann, bleibt abzuwarten. Eine auch noch so bescheidene Progressionsmilderung — noch dazu bei.den Masseneinkommen — muß aber einen gewaltigen Einnahmenverlust mit sich bringen; was das für ein Budget bedeutet, dessen Deckung ohnehin schon auf schwachen Füßen steht, läßt sich unschwer vorstellen. Jedenfalls dürfte der Voranschlag noch lange nicht das letzte Wort in Sachen Staatshaushalt 1972 sein. Ob die so aufdringlich demonstrierte Eintracht der Minister . das ganze

Jähr vorreicht, wird sich noch zeigen.

Wir können nur hoffen, daß wir das kommende Jahr ohne Steuererhöhungen überstehen, denn was auf das Budget auf der Ausgabenseite zukommt, ist gewaltig. Gewiß treibt die Inflation, die die Masseneinkommen immer weiter in die Progression hinein jagt, die direkten Steuern überproportional in die Höhe; sie bedeutet eine Steuer - erhöhuhg auf kaltem Weg und gestattet dem Finanzminister etwas weitere Sprünge.

Aber was ist das schon für einen Staatshaushalt, der durch bestehende Verpflichtungen schon aus allen Nähten platzt und der trotzdem mit neuen Aufgaben fertig werden soll. Da ist die Erfüllung der Wahlversprechen, die Finanzierung der Schul- und Hochschulreform, die Befreiung des Wissenschaftsministeriums aus seinem Schattendasein und last not least die Dotierung des neu geschaffenen Gesundheitsministeriums, das nicht in ein ähnliches Mauerblümchendasein geraten dürfte wie bisher das Wissenschaftsressort; denn gerade Wissenschaftsund Gesundheitsministerium sind nur dann sinnvoll, wenn sie über ausreichende Mittel verfügen, um die ihnen obliegenden Aufgaben überhaupt erfüllen zu können.

Wo da noch die von den Gewerkschaften so energisch geforderte Progressionsmilderung Platz finden soll, ist eine offene Frage. Allerdings hat sich Präsident Benya am Ende der innerparteilichen Vorwahl-Steuerkontroverse einer Hintertür versichert: Könne, so gab er zu verstehen, die Progression nicht gemildert werden, und fresse die Steuer einen wachsenden Anteil der Löhne, nun so müßten eben die Bruttolöhne so stark gesteigert werden, daß auch die Nettolöhne im gewünschten Ausmaß zunehmen.

Das klingt sehr plausibel und ist auch für einen Finanzminister, sollte er sich nur als Budget- und nicht auch als Wirtschaftspolitiker verstehen, angenehm, ja geradezu wünschenswert: Denn keinen unauffälligeren Weg zur Steuererhebung gibt es eben, als den über die Geldentwertung, die unter anderem auch eine unausbleibliche Folge übersteigerter Lohnforderungen ist. Was uns freilich im inflationären Narrenparadies erwartet, darüber können uns Engländer und Schweden angesichts ihrer steigenden Arbeitslosenziffern genau Auskunft geben.

Die harte Nuß, an der sich die ÖVP-Finanzminister — bei schadenfrohem Händereiben der Sozialisten — die Zähne ausgebissen haben, ist auch für die roten Nachfolger nicht weicher: Schon in den Koalitionszeiten wurden nämlich dem Budget „dynamische“ Posten eingebaut, die dafür sorgen, daß schon die bestehenden Ausgabenverpflichtungen den Einnahmen ständig davonlaufen und dieser nur dank sporadischer Bluttransfusionen in Form neuer Steuern einigermaßen hinterherhumpeln können. Die Stolperdrähte der Budgetüberforderung, die einst die „linke Reichshälfte“ mit viel Sorgfalt und Vorbedacht für die schwarzen Finanzminister gezogen hat, drohen nun peinlicherweise auch dem eigenen Genossen unangenehm zu werden.

Auch künftig wird also der Finanzminister der Gefangene des Budgets bleiben; von souveräner Konjunkturpolitik über das Budget oder gar echten großen Reformen sind wir weiter entfernt denn je.

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