6834261-1975_05_05.jpg
Digital In Arbeit

Das Unaufschiebbare

Werbung
Werbung
Werbung

Die Möglichkeiten eines immer größeren Angebots an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, von immer mehr Staatsbeamten, immer mehr Mitbestimmung und immer mehr sozialer Gerechtigkeit sind, so scheint es, durchgespielt. Systemimmanente Auswüchse haben deutlich gemacht, daß die dieser Entwicklung zugrunde liegenden Ideen der Gleichberechtigung und der Demokratisierung verbraucht werden können. Alle Versuche, sie weiter und weiter auszudehnen, schaffen keine höhere Qualität des Lebens, können aber zum Wildwuchs in der Verwaltung, zu Willkür und Inflation — auch im politischen Bereich — und zuletzt zu einer Bedrohung der Staatsfinanzen führen.

Was sich Österreich heute sicherlich nicht mehr leisten kann, sind noch mehr Erfahrungen mit noch „mehr Staat”. Dennoch wird, nachdem hier die Grenze schon überschritten erscheint, nach neuen Grenzen gespäht.

Nach fast sechs Jahren eines ungebrochenen wirtschaftlichen Booms in der ÖVP- und in der SPÖ-Zeit), st der Staat in eine sehr ernste Crise seiner Finanzen geraten: Das iudgetdefizit 1974 dürfte — genaue Wahlen werden noch zurückgehalten — bei rund 20 Milliarden Schilling iegen. Din Teil davon erwies sich m letzten Jahr als nicht so einfach iinanzierbar, der Staat wurde zu sinem säumigen Schuldner der Privatwirtschaft. Das wiederum fand in stagnierenden Mehrwertsteuerein- lahmen des Bundes seinen Nieder- ichlag. Schließlich muß Österreich kurzfristige Kredite in (jedenfalls lerzeit instabilen) Auslandswährungen aufnehmen.

In diesem Jahr soll das Budgetde- &zit bei rund 16,3 Milliarden Schilling liegen, doch alles deutet darauf lin, daß die tatsächlichen Steuererwartungen wahrscheinlich hinter den Schätzungen Zurückbleiben werden und daß ferner sowohl die Stabilitätsquote als auch das Konjunkturausgleichsbudget realisiert werden müssen. Alles zusammen genommen würde eine Verdoppelung des Budgetdefizits bedeuten. Ein derartiger Betrag ist mit den üblichen Methoden nicht mehr finanzierbar, dies um so weniger, als der Bund im laufenden Jahr die neu auf genommenen Kredite vor allem für den Zinsendienst einsetzt.

Diese Entwicklung war vorhersehbar. Wer aber mit kritischen Einwänden gegen den Strom des regie- rungsoffiziellen Optimismus ankämpfte, wurde mit schmählichen Worten belegt — „Kassandra” war noch das feinste davon.

Nun riefen im Spätherbst 1974 Finanzminister Androsch und Wiens Bürgermeister Gratz nach einer Vorverlegung der Nationalratswahlen. Beide wußten, daß sich die Finanzkrise — im Bund und in seiner Heimatstadt — nur noch um wenige Monate verschießen ließ. Als beide jedoch erkennen mußten, daß sich in der eigenen Partei keine Bereitschaft für eine Vorverlegung der Wahlen in den März 1975 erzielen ließ, blieb ihnen nichts übrig als eine Strategie der Offensive: Leopold Gratz erwirkte in Wien eine empfindliche Eihöhung zahlreicher öffentlicher Tarife, Hannes Androsch sprach plötzlich von der Notwendigkeit, den Mehrwertsteuersatz von 16 auf 18 Prozent zu erhöhen. Der Finanzminister verspricht sich davon Mehreinnahmen in Höhe von rund 5 Milliarden Schilling.

Zu den Wiener Tariferhöhungen fiel Bundeskanzler Kreisky wenig ein, zu den Steuererhöhungsvorschlägen des Finanzministers hatte er eigene Ideen, nämlich die der zusätzlichen Besteuerung sogenannter Luxusgüter, worunter der Bundeskanzler ausdrücklich Farb-TV-Ge- räte und Personenkraftwagen verstanden wissen wollte. Hätte er diesen Vorschlag auch nur eine halbe Stunde lang von einem Experten — und davon soll er ja genug haben — durchrechnen lassen, so wäre er daraufgekommen, wie unsinnig diese Idee ist, soll es nicht zu einschneidenden Preiserhöhungen von „Luxus”-Gütem kommen. Denn will die Regierung auf diese Weise tatsächlich die vom Finanzminister ersehnten 5 Milliarden Schilling Mehreinnahmen erzielen, dann müßte die Belastung eines Volkswagens mit indirekter Steuer wohl verdreifacht werden. Dagegen aber wird nicht nur der ARBÖ sehr gewichtige Einwände haben. Ebenfalls unberücksichtigt ließ Bundeskanzler Kreisky den notwendigen administrativen (also personellen) Mehraufwand der differenzierten Steuerberechnung bei Bund und Privatwirtschaft.

Jahrzehnte hing die Sozialdemokratie am steuerpolitischen Postulat, daß direkte — die Einkommensverhältnisse berücksichtigende — Steuern sozialer seien als indirekte Steuern, die auf alle Preise aufgeschlagen werden. Ende der sechziger Jahre änderte die schwedische Sozialdemokratie angesichts tiefgreifender Finanzschwierigkeiten ihre Haltung und behauptete, daß dieses Postulat heute nicht mehr stimme. Jede Steuer sei gut, solange sie zur Finanzierung einer vom Staat verordneten Lebensqualität diene, die doch allen Staatsbürgern zugute komme. Der Einwand, daß doch nur ein Teil der Steuereinnahmen für die Verbesserung der Lebensqualität aufgewendet werde, der andere — wahrscheinlich gleichhohe — Teil allein der Verwaltung zufließe, wurde stillschweigend unter den Tisch fallengelassen. Daß er stimmt, beweisen das Wachstum der Verwaltung in Schweden, Österreich und anderen Wohlfahrtsstaaten.

Nahezu frei von allen ideologischen Zwängen suchen heute (sozialdemokratische) Regierungen (nicht nur in Österreich) nach neuen Einnahmequellen.

Eine neuerliche Steuererhöhung würde Österreich freilich bereits in einen „Medaillen”-Rang im Klassement der Steuerbelastung unter den OECD-Staaten bringen, die Steuerzahler zugleich noch erfinderischer bei der Suche nach Steuerumgehung machen.

Unaufschiebbar ist heute eine Sanierung der Staatsfinanzen, aber sie sollte nicht nur auf der Einnahmenseite, sondern gleichzeitig — und mit noch größerer Intensität — auf der Ausgabenseite vorgenommen werden. Denn hier hat man in den letzten Jahren sehr oft gegen die Regeln der Sparsamkeit verstoßen.

Sparsamkeit, so heißt eine Definition eines sehr konservativen Philosophen, 1st die Tochter der Vorsicht, die Schwester der Mäßigkeit und die Mutter der Freiheit. Welche Regierung auch immer sie nicht übt, hinterläßt nicht bloß eine Finanzfcrise — denn die wirft vor allem technische Probleme auf —, sondern eine Staatskrise, und die ist mit simplen Techniken allein nicht mehr zu lösen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung