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Stabilität a la Einstein

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Der Finanzminister präsentierte sich dieser Tage in einer neuen, ungewohnten Rolle: als Sparmeister. Er habe ein Anti-inflationsprogramm ausgearbeitet, und das Budget 1973 werde ein Sparbudget sein. So stand es auch tags darauf nicht nur in der sozialistischen, sondern auch in der unabhängigen Presse zu lesen, und so tönte es auch aus Rundfunk und Fernsehen. Dabei ist wahrlich erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Regierung einfach alles abgenommen wird.

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Der Finanzminister präsentierte sich dieser Tage in einer neuen, ungewohnten Rolle: als Sparmeister. Er habe ein Anti-inflationsprogramm ausgearbeitet, und das Budget 1973 werde ein Sparbudget sein. So stand es auch tags darauf nicht nur in der sozialistischen, sondern auch in der unabhängigen Presse zu lesen, und so tönte es auch aus Rundfunk und Fernsehen. Dabei ist wahrlich erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Regierung einfach alles abgenommen wird.

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Dabei erklärte der besondere Publikumgliebling unter den Politikern im gleichen Atemzug, sein

.Sparbudget“ werde ein Defizit von .1,5 Milliarden Schilling aufweisen md damit alle bisherigen Rekorde des Schuldenmachens brechen; und trotz seiner energischen Inflationsbekämpfung müßten wir im kommenden Jahr mit der Rekordteuerung von 7 Prozent rechnen.

Also Rekorde über Rekorde, nur nicht gerade solche der Sparsamkeit; diese besteht aber nach Ansicht der Regierung darin, daß der Finanzminister die Ressortwünsche um insgesamt 1,5 Milliarden Schilling gestutzt hat, also um etwas mehr als 1 Prozent des Gesamthaushalts: das ist eine Routineangelegenheit, und so viel hat bisher noch der weichste Finanzminister den Ressorts abgehandelt.

Doch natürlich gibt es auch Gründe für das Rekordbudget: die Zollsenkung gegenüber der EWG und die Steuerreform bringen Einnahmenverluste. Nun wurden in einer Beiratstudie die Ausfälle bei den Zolleinnahmen für das kommende Jahr mit 1,5 Milliarden Schilling geschätzt; das wäre noch lange kein Grund für die außerordentliche Höhe des inlandswirksamen Defizits.

Auch vergißt der Finanzminister auf die Gegenrechnung: die stillen Einkommensteuererhöhungen durch das raffinierte Zusammenwirken von Inflation und Progression machen ein Vielfaches der Senkung aus; dazu kommen noch die zu erwartenden Mehreinnahmen aus der

Umsatzsteuer infolge der hohen Mehrwertsteuersätze.

Die Inflation wird ebenfalls motiviert: der preissteigernde Effekt der Mehrwertsteuer und die importierte Teuerung seien schuld. Gewiß lassen sich beide Faktoren nicht ausschalten (insbesondere, wenn man den Mehrwertsteuersatz hoch ansetzt); aber das allein würde noch lange nicht für 7 Prozent reichen.

Man könnte dies als übervorsich-tige Schätzung des Finanzministers bagatellisieren, gäbe es nicht die Erfahrungen, die wir schon in diesem Jahr machen mußten: die Inflationsrate 1972 hatte das Wirtschaftsforschungsinstitut mit 5 Prozent geschätzt. Viele hielten das für zu hoch gegriffen und meinten, das Institut wolle der Regierung die Chance bieten, unter der Schätzung zu bleiben und damit einen „Erfolg“ bei der Inflationsbekämpfung vermelden zu können. Nun aber hat die Inflationsrate die pessimistischen Erwartungen des Instituts schon überboten. Wir können daher nur hoffen, daß es im kommenden Jahr „wenigstens“ bei den 7 Prozent bleibt.

Das gilt auch für den Slogan von der „relativen Stabilität“: früher seien — so heißt es im Regierungslager — Preissteigerungen, manchmal bis 3 Prozent, in einer stabilen Umwelt passiert; heute hingegen seien 5 bis 7 Prozent noch immer „relativ“ stabil.

Es macht sich offenbar niemand die Mühe, in den internationalen Statistiken nachzusehen. Sonst nämlich müßte er merken, daß Österreich in den Jahren 1963 bis 1971 an drittletzter Stelle unter allen westlichen Industriestaaten hinsichtlich der Steigerung der Lebenshaltungskosten stand. Schon 1972 stimmt das, vorläufigen Erhebungen der OECD zufolge, nicht mehr, und 1973 wird es noch weniger zutreffen. Also auch mit der Stabilität ä la Einstein, mit der Relativitätstheorie als dernier cri der Währungspolitik, ist es nicht weit her.

Das Tuning war perfekt: Da deutet ein braungebrannter Bundeskanzler in einer televisionären Urlaubsplauderei an, er werde die öffentlichen Investitionen einschränken, und schon erhebt sich, wie bestellt, bei den Interessengruppen rechts und links ein Wutgeschrei. Genau das war es, was der Kanzler brauchte, um vor dem Volke als unerschrockener Streiter für Währungsstabilitä't und Konjunkturdämpfung dazustehen.

Und wenn der Finanzminister zwei Wochen später sein Rekordbudget als Sparbudget präsentiert, so ist das Publikum schon so weit präpariert, um auch das zu glauben, um fest überzeugt zu sein, es sei hier das äußerste an Einsparung gelungen. Man fragt sich nur: warum hat die Opposition den Kanzler nicht rechtzeitig beim Wort genommen, sondern sogar zum Teil — unfreiwillig — dessen Spiel mitgemacht?

So kommt es, daß jetzt die Regierung auf einmal als sparsam gilt, obwohl sich nichts geändert hat: das Budget sieht genauso aus, wie es auch ohne Sparbeschluß ausgesehen hätte, denn umfangreicher kann es wirklich nicht mehr sein. Das Antiinflationsprogramm enthält außer Gemeinplätzen nur die Ankündigung höherer Sparzinsen, allerdings schon mit dem Zusatz, daß diese nur für einen ganz beschränkten Kreis länger gebundener Einlagen gelten werden und sich am Spareckzins nichts ändern werde.

Und was die Baubremse betrifft, die der Kanzler einzulegen versprach: Die „Furche“ war so ziemlich die einzige Zeitung, die in ihre prinzipielle Zustimmung zu den Kanzlerworten etwas Skepsis mischte und befürchtete, daß es bei einigen publikumswirksamen Pro-forma-Maßnahmen bleiben könnte; genau das scheint auch — den jüngsten Äußerungen Dr. Kreiskys zufolge, in denen nur noch vom Aufschub des Fassendenputzes bei Amtsgebäuden und ähnlichem die Rede ist — einzutreffen.

Alles ist relativ, ob nun Sparbudget, Verwaltungsreform, Inflationsbekämpfung oder Baubremse; im gekrümmten Raum unserer posteuklidischen Wirtschaftspolitik gibt es eben keine Gerade und keinen rechten Winkel mehr.

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