Der Grexit und seine Schöpfer

Werbung
Werbung
Werbung

Die markantesten Markenzeichen von ökonomischen Krisen sind nicht bloß Rezession, Massenarbeitslosigkeit oder Inflation/Deflation. Ihr eigentlich bedeutendster Ausdruck liegt in ihrem Charakter des Ungefähren. Was vorher sicher war ist, wird fraglich und die Weltsicht krümmt sich zu einem Ort der Kargheit. Emsig bemüht versuchen die Menschen -und zwar nicht nur Omis sondern auch Politiker, Beamte und Banken -zu horten, was verfügbar ist. Ausgeben ist pfui, Sammelwahn hui -vor allem wenn es um das Geld geht.

Wer jetzt meint, hier werde eine rein emotionale Ebene beschrieben, irrt. Denn auch die Krisenpolitik verhält sich exakt so: vollkommen ungefähr. Die Politik setzt symbolische Handlungen, statt wirksame Taten, den Anschein von Aktion (Gipfeltreffen) statt konkreter Inhalte; sie verabschiedet Gesetze lieber als sich um deren faktischen oder auch nur berechenbaren Nutzen zu kümmern.

Die anti-neoliberale Troika

Am Beispiel Griechenlands lässt sich dieses Handlungsformat, dieser "Krisenmodus", seit mehr als sieben Jahren veranschaulichen. Es gilt nicht nur für die jeweiligen Regierungen in Athen, sondern auch für jene, die gewöhnlich für die Herren des neoliberalen Buchhaltertums gehalten werden: die Damen und Herren der Troika, die jetzt des politischen Fadenscheins wegen ihres Namens beraubt wurden, die aber um nichts weniger aktiv und wichtig sind.

Beide Seiten (Griechenland auf der einen, IWF, EU-Kommission, Eurogruppe, EZB auf der anderen) fischen nach Zahlen oder projektieren Maßnahmen, aber am Ende kommt wenig Nachprüfbares und noch weniger Wirksames heraus.

Die Realität wird dann von den Medien mit jenen Bruchstücken und Handlungsfetzen gemalt (der im Speck sitzende korrupte Grieche/der verarmte Pensionist), welche die Interessensgruppen (IWF/Syriza) aus trüben Wassern gefischt haben. Unter dem Eindruck solcher anekdotischer Geschichten samt Detailkalkulationen sitzt man dann in Brüssel zusammen und diskutiert vorurteilsreich über Gedeih oder Verderb Griechenlands in der Euro-Zone, wie in dieser Woche geschehen.

Vielleicht steht dieses Ungefähre, Unkonkrete, Nichtwissende am Ursprung eines Gefühls, das Presse-Leitartikler Wolfgang Böhm als "unerträgliche Leichtigkeit der Krise" bezeichnet hat. Wo es nur noch grelle Schlaglichter gibt -alle gleich falsch und gleich wahr - schafft die Verwirrung eine seltsame Wurschtigkeit trotz sich ständig erhöhender Gefahr.

Wenn wir die Analyse dazu bei den ökonomischen Worthülsen zum Griechenland-Desaster beginnen wollen, sollten wir bei der Troika anfangen. Sie gilt sich selbst und allen ihren Gegnern ja als "neoliberal". Tatsächlich widersprechen ihre Aktionen aber vollkommen dem freien Markt, dessen Philosophie sie zu vertreten glaubt.

So wurde als eine der ersten Maßnahmen eine Steuer auf importierte Autos von bis zu 30 Prozent eingeführt (Austeritätspaket Nr. 1) und der Wert von Privatvermögen per Gesetz erhöht (und damit die Steuer) sowie eine höhere Steuer auf Unternehmensgewinne verordnet (Austeritätspaket Nr. 3). Zur Erhöhung der Steuereinnahmen wurde zudem die Erhöhung der Mehrwertssteuern auf bis zu 23 Prozent beschlossen (Austeritätspaket Nr. 3). Steuererhöhungen für Reiche und Superreiche (Austeritätspaket Nr. 4). Eine Extrasteuer zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingeführt (Austeritätspaket Nr. 4). Eine Erhöhung der Steuern in der Immobilienwirtschaft beschlossen (Austeritätspaket Nr. 4). Alle diese Maßnahmen widersprechen nicht nur den Regeln des freien Wettbewerbs, sondern allen neoklassischen (und auch keynesianischen) Marktstrategien. Statt den Konsum zu fördern und den Wirtschaftskreislauf am Leben zu halten, drosseln die Steuern die Produktivität der Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Mehr als 20 Prozent der Griechischen Unternehmen sind seit 2008 in die Pleite gerutscht.

Starre Planwirtschaftsmodelle

Aber auch die Einschnitte in den Staat sind alles andere als eine gewinn-oder ertragsorientierte neoliberale Entschlackungskur. So sollte die Zahl der in Staatseigentum stehenden Unternehmen von 6000 auf 2000 verkleinert werden. Doch die Privatisierung wurde zu einer Verschleuderung von Vermögen. Jene 50 Milliarden Euro, die daraus lukriert werden sollten, sind längst schon Illusion. Das Grundproblem: Investments bräuchten Investoren und die fehlen wegen der Krise.

Ähnlich verheerend erwiesen sich die Einschnitte im Beamtenapparat Das liegt allerdings auch an den ausführenden Politikern in Athen. Denn als sie von den 900.000 Beamten (Stand 2008) 150.000 in Frühpension oder in die Arbeitslosigkeit entließen, nahmen sie die wohlbestallt untätigen Beamten, etwa jene, die jahrelang nicht zum Dienst erschienen, aus. Sie konzentrierten sich auf die Schwächeren: Auf junge Lehrer, billige Schulwarte, auf Ärzte in öffentlichen Spitälern - mit dem dadurch entstehenden Versorgungsnotstand als Konsequenz. Die Erhöhung der Steuern auf Medikamente schadet letztlich der Volksgesundheit und scheint nach einigen Studien auch die Kindersterblichkeit zu erhöhen.

Anti-Humankapitalistisch

Der britische Lancet erläutert in seiner jüngsten Ausgabe, wie die Kürzung eines Gratisspritzenprogramms für Heroinabhängige und die Kürzung der HIV-Programme die Gesamtkrankenzahlen erhöht. Auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung scheint die Kürzung der Mutter-Kindprogramme zu erhöhten Sterblichkeitsraten zu führen. Sie schadet, um das einmal in ökonomisierter Sprache zu sagen, dem Humankapital der Gesellschaft. Dazu sei hier vermerkt, dass beide Programme in Summe einen zweistelligen Millionenbetrag ausmachten, bevor sie zusammengestrichen wurden. Verglichen mit Griechenlands Schulden (siehe unten) also ein Promillebetrag.

Während die Zivilbevölkerung schwer unter den Maßnamen gegen die Wirtschaft und das Sozialsystem zu leiden hat, verweigert die Regierung Tsipras wirkliche Reformen. Statt etwa einen schlagkräftigen Apparat im Steuergesetzvollzug aufzubauen, erlässt die Regierung Gesetze, die zum Teil weder kontrolliert noch eingehalten werden. "Unsere Schwierigkeit mit der Mehrwertsteuer ist, dass wir sie nicht einheben können", dieser Satz von Finanzminister Yannis Varoufakis beschreibt dieses Problem eindrucksvoll.

Fazit: Auch nach sieben Jahren Krisenpolitik gibt es weder in Brüssel noch in Athen eine verlässliche Liste aller Gesetzesmaßnahmen und ihrer finanziellen Wirkung. Entsprechend hat sich seit 2008 noch keine einzige Konjunkturprognose als richtig erwiesen und selbst im Nachhinein tut sich die Statistikbehörde schwer, Budget und Defizit zu benennen. Während also Gegenwart und Vergangenheit im unkonkreten Bandbreiten herumwabern, wird weiter scheinbar aufs Präziseste die Zukunft vorausgesagt. So wurde für heuer noch im Jänner mit exakt 2,9 Prozent Wachstum gerechnet, mittlerweile nähert sich der Erwartungswert der Nullkommafünf.

Aber uns selbst geht es ebenso. Wir wissen nicht, was ein Grexit Österreich kosten könnte. Politiker und Medien hantieren je nach wissenschaftlicher Quelle mit sechs Milliarden, neun Milliarden oder 10,9 Milliarden. Man könnte also meinen, wir seien Griechenland näher als wir meinen. Nur dass sich unsere Weltsicht noch nicht im Krisenmodus ums Eingemachte krümmt weil uns der Schein noch einen Reichtum verspricht, den die Wirklichkeit längst schon ausgegeben hat.

SCHULDENFALLEN

Brüder gar?

Natürlich hat Österreich das weitaus umfangreichere BIP im Vergleich zu Griechenland. Aber sind die Schulden in absoluten Zahlen nicht auch eindrucksvoll? Man könnte beinahe sagen: So nah waren wir uns selten. Immerhin bleibt Österreich auch mit den Hypo-Schulden noch ein wenig budgetäre Luft, die Alexis Tsipras (r.) trotz Lächeln nicht mehr hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung