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Wirtschaftsprognostiker schlagen Budgetalarm

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Die Republik Osterreich treibt mit Riesenschritten dem Fiasko zu. Dies ist, verschlüsselt formuliert, die Botschaft des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen in seiner Budgetprognose für die nächsten fünf Jahre bis 1986.

Unter der sehr optimistischen Annahme, daß im halben Dezennium bis 1986 das Sozialprodukt jährlich real um 2,5 Prozent wächst, werden die Netto-Bud-getdef izite zwischen 56 und 58 Milliarden Schilling betragen. Ihr Anteil am Sozialprodukt wird über der Vier-Prozent-Marke liegen — vom früheren Finanzminister Hannes Androsch bis zum derzeitigen Staatssekretär Hans Seidel wurde eine Quote von zwischen 2,5 und drei Prozent als ökonomisch gerade noch zulässig befunden. Das Bruttodefizit dürfte 1984 bereits die 100-Müliarden-Schilling-Grenze überschreiten, die Verschuldung der Republik Osterreich wird sich von derzeit rund 300 auf bald 500 Milliarden Schilling nahezu verdoppeln.

Der nun schon einige Zeit währende Bewegungs- und Argumentations-Notstand von Bundesregierung und Regierungspartei deutete darauf hin, daß man nun auch bereits am Ballhausplatz und in der Löwelstraße Ahnungen für das Scheitern in der Wirtschafts- und Budgetpolitik verspürt.

Geredet wird über eine gefängnisfreie Gesellschaft, über die Gefahren der direkten Demokratie und über die Notwendigkeit zusätzlicher Urlaubswochen und kürzerer Arbeitszeiten, geschwiegen wird über den tatsächlichen finanziellen und wirtschaftlichen Status der Republik Osterreich, geschwiegen wird über den Ernst der Lage unseres Sozialversicherungssystems und über die rasch wachsenden Schwierigkeiten, mit steigenden Arbeitslosenzahlen fertig zu werden. Geschwiegen wird schließlich auch über die nachgerade unlösbar scheinende Sanierung verstaatlichter Unternehmen und Konzernbetriebe halbstaatlicher Banken.

Das wahre Ausmaß des Scheiterns in der Budget- und Wirtschaftspolitik zeigt sich am Beispiel des Budgetentwurfs für das laufende Jahr und dessen Realisierung. Dieser Budgetentwurf genügt nicht einmal dem bescheidenen Anspruch, ein auf 20 Prozent genaues Bild über die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben im laufenden Jahr zu. geben. Für 1982 geplant war ein Bruttodefizit in Höhe von 59,2 Milliarden Schilling und ein nach dem Abzug von Schuldenrückzahlungen verbleibendes Nettodefizit in Höhe von 31,6 Milliarden Schilling. Finanzminister Salcher war bereit, auf die Richtigkeit dieser Plandaten viel zu verwetten.

Inzwischen steht fest, daß im Bundeshaushalt brutto zumindest 73 Milliarden Schilling und netto jedenfalls 43 Milliarden Schilling fehlen werden. Auf das ganze Jahr umgelegt, ist gar mit einem Bruttodefizit von rund 80 Milliarden Schilling zu rechnen.

Der österreichische Kapitalmarkt ist dank der Schuldenpolitik der öffentlichen Hand ausgepowert; die fehlenden Milliardenbeträge müssen im Ausland aufgenommen werden, und den Preis, die Zinsen dafür, zahlen die Steuer-Bürger. Für die (mindestens 50) Milliarden Schilling, die die Republik Osterreich in diesem Jahr mehr benötigt, müssen pro Jahr rund fünf Milliarden Schilling Zinsen bezahlt werden. Das entspricht in etwa dem Sanierungsfall Semperit oder — da man in Osterreich nun einmal alles unter nur diesem Blickwinkel sieht-der Erhaltung von 8.000 bis 10.000 Arbeitsplätzen.

Mit immer mehr Schulden lassen sich gefährdete Arbeitsplätze auf die Dauer nicht finanzieren, immer mehr Schulden sind kurz-und mittelfristig immer höhere Steuern, höhere Steuern als Folge höherer Schulden gefährden und zerstören selbst die (vorderhand) noch sicheren Arbeitsplätze.

Um dies zu beweisen, bedarf es keiner wirtschaftstheoretischen und ökonometrischen Beweise. Dafür sprechen die Fakten: täglich mehr als sechs Insolvenzen und der Niedergang bislang als „unsinkbare Schiffe” verzärtelter Großkonzerne.

Die Republik Osterreich befindet sich in einer ernsten finanziellen und wirtschaftlichen Lage. Die Regierung stellt sich blind, taub und manchmal — so hat es den Anschein — auch tot. Dieses Verhalten macht aus bitterem auch noch traurigen, hoffnungslosen Ernst.

Schuld daran ist nicht das Ausland, denn dorthin funktionieren die Exporte noch einigermaßen. Schuld daran ist nicht die Marktwirtschaft, denn die funktioniert noch allemal besser als die dirigistischen Planspiele in der staatlichen Bürokratie.

Schuld daran ist die fehlende Perspektive, die Angst auch, dem Staatsbürger reinen Wein einzuschenken; ihm klarzumachen, daß in den Bilanzen zahlreicher Betriebe Verlustposten als Beteiligungen auf der Aktivseite ausgewiesen werden, daß wohl noch weitere „unsinkbare Schiff ?” untergehen werden, jedenfalls solange, bis man einen deutlichen Bruch mit der Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre riskiert, abspeckt und spart, Leistungen wieder gerecht entlohnt, den Markt wieder zu seinem Recht kommen läßt.

Polen — beispielsweise — hat die theoretische Unmöglichkeit des faktischen Staatsbankrotts widerlegt. Eine ähnliche Erfahrung zu machen, dafür ist Osterreich eigentlich zu schade.

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