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Die Unruhe des weiblichen Intellekts

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Sie hat sich immer für das Außergewöhnliche interessiert. Sie reiste nicht, wie Gleichaltrige um die Mitte der sechziger Jahre reisten, nur vom Femweh getrieben, sie wollte mehr, studierte an türkischen und ungarischen Universitäten und schloß ihre Studien dort mit dem Dolmetscherdiplom für die türkische Sprache und mit der Übersetzerprüfung für Ungarisch ab. Sie hat später dazu beigetragen, daß Werke ungarischer und türkischer Autoren von den weniger Sprachbegabten in deutscher Fassung zu lesen sind. Lyrikanthologien weisen sie überdies als Nachdichterin mit Einfühlungsvermögen aus. Als Kind wollte sie Tänzerin werden, oder Naturforscherin, allerdings damals schon Schriftstellerin. Die Rede ist von Barbara Frischmuth, sie ist heute nicht nur eine der prominentesten Autorinnen Österreichs, sie ist eine außergewöhnliche Frau.

Einer der Kinderträume der 1941 im steirischen Altaussee Geborenen hat sich also erfüllt. Das sagt man so leicht, Eingeweihte wissen, daß der Weg zur Realisation eines solchen Traumes domenreich ist und daß er keineswegs zum ersehnten Ziel führen muß. Zum unentbehrlichen überdurchschnittlichen Talent gehört eine gute Portion Durchstehvermögen, außerordentlicher Fleiß und Mut, sich auf einen Beruf einzulassen, der alles andere als materielle Sicherheit verspricht. Daß Barbara Frischmuth diesen Mut, auch im privaten Bereich, mehrfach zu beweisen hatte, entnimmt, wer zu lesen versteht, nicht nur ihrer Vita, sondern auch und vor allem ihren zahlreichen Publikationen, die vielfach mit Autobiographischem verknüpft sind. Daß sie aus dem Reservoir ihres persönlichen Erlebnisbereiches schöpft, also über das schreibt, was sie kennt, verleiht ihren Texten jene Glaubwürdigkeit, die zum Markenzeichen „der Frisch-muth" geworden ist. Ihre Bücher wecken nicht nur Sympathie, sie provozieren ohne Rücksicht auf diverse Empfindlichkeiten, sie fordern zur Stellungnahme heraus.

Dies beginnt mit dem Erstling „Die Klosterschule", für den die eigene Gmundener Schulzeit das Material geliefert hat, setzt sich fort mit dem Roman „Das Verschwinden des Schattens in der Sonne", einem Buch, in dem sie ihre Beobachtungen und Erfahrungen in der Türkei verarbeitet hat und über das dort Diskussionen bis heute geführt werdendes endet sicher nicht mit den 1988 und 1990 publizierten Romanen „Über die Verhältnisse" und „Einander Kind", in denen sich Zeitgeschichte mit der privaten Geschichte der Protagonisten verbindet.

Der Protagonistinnen, müßte man sagen, denn immer, in allen Büchern der Frischmuth, sind es ja vor allem Frauen, die handeln, die Vergangenheit nicht vergangen sein lassen, die das Gespür für die Zusammenhänge haben, trauern können, sich eingebunden fühlen in die Bedingungen, unter denen Leben abläuft und immer abgelaufen ist, aber auch behindert von den Zwängen. Die Frau, ihre Wünsche und Träume, ihre Enttäuschungen, ihr Ausgesetztsein, ihr gespaltenes Verhältnis zu den Realitäten der von Männern dominierten Welt und der Gesellschaft, in die sie hineingeboren ist, die Frau in der Krisensituation, die Frau mit dem „Geist-Leib-Problem", sie ist das eigentliche Thema dieser Schriftstellerin, die sich selbst als Feministin bezeichnet, aber vor allem deshalb, weil sie „das Gefühl hat, daß es der Welt nicht schaden würde, wenn sie etwas weiblicher würde". Sie hat, ihrer eigenen Aussage nach, ihren intellektuellen Dialog viele Jahre hindurch nur mit Frauen geführt, wird jedoch kritisch, wenn sie zum Beispiel feststellt, daß in der Kindererziehung nicht alles stimmt, wenn Kindersöhne ausschließlich von Frauen betreut werden, von Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen, Müttern, Großmüttern, wenn sie „umzingelt sind von Frauen", also erst einmal gar nicht erfahren, „wie sich ein Mann benimmt".

Barbara Frischmuth schiebt nicht alle Schuld auf die Männer, so leicht macht sie es sich und ihrem Geschlecht nicht..." schreibt Kurt Kahl 1975, als „Haschen nach Wind" erschienen ist, eine jener Spitzenpublikationen, an denen man die Qualität der österreichischen Gegenwartsliteratur einst messen wird. Auch wenn sie ihre „Sternwie-ser-Trilogie" nicht geschrieben hätte, wäre sie damit in die Literaturgeschichte eingegangen. „Ihre Frauen haben oft eine Unruhe in sich, für die der Mann nur die Reibungsfläche abgibt..." Es ist die Unruhe des seit langem unterdrückten weiblichen Intellekts, aber auch die Unruhe des Gefühls, der Sehnsucht nach Liebe, die sich nicht im Physischen erschöpft, eine Art Gegenkraft, die erst einmal ihre Freiheit bekommen, vielleicht auch über die Stränge schlagen muß, um dann zum richtigen Maß zurückzufinden.

Dann ist da noch das von der Frau geborene Kind. Da sind die Schwierigkeiten der Doppelexistenz als Mutter und freiberuflich Tätige, in „Amy oder die Metamorphose" kann man darüber lesen. Da ist das Kind als Person, für das man verantwortlich ist. Die Frischmuth schreibt Kinderbücher, sie hat einen Sohn. Der „Kürschner" von 1978 gibt ihre Anschrift noch mit Oberweiden an, dort entsteht „Tage und Jahre", das Mädchenbuch „Ida und Ob" und anderes. Dann erlebt sie das Scheitern ihrer Ehe, zieht sich nach Wien zurück, entdeckt von dort aus die Kinderheimat neu, geht eine neue Ehe ein und kehrt nach Altaussee zurück, die Gegend, in der sie ihre frühen Jahre verbracht hat, ist ohnedies in ihren Büchern immer präsent gewesen.

Sie „muß sich beim Schreiben plagen", sagt sie, leicht falle es ihr nicht. Das merkt man ihren Büchern nicht an. Aber man spürt in allem, was sie schreibt, persönliches Engagement und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. „Ich will sie dazu überreden, mit dem Lesen wieder anzufangen" ruft sie ihrem Publikum bei der Verleihung des Wildgans-Preises zu. Die Schreiberin dieser Zeilen weiß, daß man den Leser nicht zur Lektüre von Frischmuth-Büchem überreden muß, sie gehört selbst zu jenen, die von ihnen beeindruckt sind. Womit sie herzlich zum „runden Geburtstag" gratuliert, und zwar, weil sie selbst zu jenen gehört, die das Außergewöhnliche lieben, nicht nur der Schriftstellerin Barbara Frischmuth, sondern auch der außergewöhnlichen Frau.

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