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Die Vernunft im Kärntner Versteck

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Bund um den Nationalfeiertag ging es in Kärnten hoch her: es gab eine Kundgebung des „Kärntner Heimatdienstes“ und einen Protestmarsch der „Kärntner Slowenen“, es gab bemerkenswerte Ansprachen des (noch) amtierenden Landeshauptmannes Sima und von Wien her eine kirchliche Ermahnung für alle Kärntner. Hochrufe und Pfiffe gab es auch. Und eine Menge zerbrochenes Porzellan. Bald, so fürchtet der Beobachter, wird gar keines mehr da sein, um es zu zerbrechen. Der ungewöhnlichste Sieg unter Menschen ist offenkundig einer der Vernunft.

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Bund um den Nationalfeiertag ging es in Kärnten hoch her: es gab eine Kundgebung des „Kärntner Heimatdienstes“ und einen Protestmarsch der „Kärntner Slowenen“, es gab bemerkenswerte Ansprachen des (noch) amtierenden Landeshauptmannes Sima und von Wien her eine kirchliche Ermahnung für alle Kärntner. Hochrufe und Pfiffe gab es auch. Und eine Menge zerbrochenes Porzellan. Bald, so fürchtet der Beobachter, wird gar keines mehr da sein, um es zu zerbrechen. Der ungewöhnlichste Sieg unter Menschen ist offenkundig einer der Vernunft.

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„Das Kärntner Problem ist schlechthin unlösbar.“ Der das au mir sagte, war kein großer Politiker und keiner aus den Reihen diverser Volkstumskämpfer. Es war ein Arzt. Und was in diesen Tagen rund um den Nationalfeiertag sich in Kärnten begab, scheint ihm recht zu geben. Hoffentlich, so möchte man am Ende aufseufzen, trügt dieser Schein!

Auf der Jahrestagung des „Kärntner Heimatdienstes“ fand dessen Obmann Feldner starke Worte. Er warnte vor einer „zunehmenden Radikalisierung der nationalslowenischen Aussage in Kärnten“, vernahm „immer deutlicher werdende Kampfparolen und Gewaltdrohungen“ aus „nationalsloweni-schen Kreisen“ und ermahnte „alle im Landtag vertretenen Parteien, einen einheitlichen Standpunkt zur Slowenenfrage zu erarbeiten und diesen gegenüber Wien auch durchzusetzen“.

Selbstverständlich votierte Feldner „für das Bekenntnisrecht“ (recte: Minderheitenfeststellung), womit er eine alte Forderung wiederholte. Nichts Neues könnte man also sagen, hätte Feldner nicht auch ausdrücklich die These Bruno Kreiskys zitiert, daß es jedermann freistehen müsse, „eine Gemeinschaft, mit der er sich nicht mehr identifizieren kann, auch zu verlassen“.

Da bleibt ein bitterer Nachgeschmack, denn man wird nicht irren, daß eine.solche Großzügigkeit im Sinne des „Heimatdienstes“ nur jenen widerfährt, die „aus dem Slo-wenentum auszutreten wünschen“. Im anderen Falle, also etwa dem des Wunsches nach „Rückkehr“ in diese Gemeinschaft oder bloß in jenem, aus dem „deutschen Volkstum auszutreten“, ist mit so großzügiger Nachsicht wohl nicht zu rechnen.

Die „Kärntner Slowenen“, unterstützt von einigen sozialistischen und kommunistischen Gruppen, aber auch von katholischen, brachten es zu einem Protestmarsch quer durch Klagenfurt, an welchem etwa 1200 Personen teilgenommen haben (nur um rund 1000 weniger als an der Kundgebung des „Heimatdien-stets“ in Völkermarkt). Sie urgierten die volle und sofortige Erfüllung des Staatsvertrages, erklärten, gute Österreicher zu sein, die sich aber „um ihre Rechte betrogen sehen“. Als sie zum Abschluß die Bundeshymne sangen, gab's aus dem Anti-spalier ein paar Pfiffe und als Kontragesang das „Kärntner Heimatlied“. Selbstverständlich waren die Kärntner Slowenen gegen das Bekenntnisrecht (also gegen die Minderheitenfeststellung) und so lautet der traurige Saldo: Da in den wesentlichen Punkten total konträre Vorstellungen herrschen, die nun auch schon auf der Straße ausgetragen werden, erhellte kein Lichtblick die grausige Szene. Daß der „Heimatdienst“ zuvor und gottlob ohne Erfolg befunden hatte, für eine „Kundgebung der Slowenen bestehe überhaupt kein Anlaß“ und daß auch unterschwellige Versuche, diese zu untersagen, gescheitert sind, zeigt schon, wohin der Hase läuft: auf jene Eskalation der Emotionen zu, die so oft so großes Unglück, aber noch nie eine vernünftige Lösung zustande gebracht haben.

Landeshauptmann Sima appellierte „an die deutschsprachige Mehrheit des Landes, die Kraft zu finden, den Artikel 7 des Staatsvertrages zu erfüllen. Die slowenischsprechenden Kärntner forderte er auf, „bei ihren Vorstellungen und Zielsetzungen maßvoll zu bleiben“. Da klingt Vernunft auf — aber man weiß ja, wie angeschlagen sowohl

dieser Landeshauptmann als auch die Vernunft ist, seit wir den Ortstafelkrieg erlebt haben. Auch die kirchlichen Mahnungen an beide Sprachgruppen sind vernünftig und kommen nicht erst seit heute. Will man sie hören?

Wieder einmal muß der Beobachter betroffen feststellen: die Parteien, an welche Feldner appellierte, sind längst Gefangene eben des Appellanten. Sie teilen sich die Anhängerschaft im „Heimatdienst“ und analog unter den Wählern. Anderseits haben sie auch den slowenischen Kärntnern stets Avancen gemacht, wenn auch die SPÖ mit größerem Erfolg. Wahrscheinlich erleiden sie, wird ein Appell an sie gerichtet, höllische Gewissensqualen. Befreit davon ist nur die FPÖ, die sich da stets so wie der „Heimatdienst“ ausgedrückt hat und keine Sorgen um einen „slowenischsprachigen Anhang“ haben muß.

Dabei hätte man sich gut vorstellen können, daß gerade der Nationalfeiertag in Kärnten eine bessere Würdigung verdient hätte. Etwa, indem man sich der leicht faßlichen Worte Heimito von Doderers entsonnen haben würde,

daß das österreichische National-gefühl eben darin seinen schönsten Ausdruck finde, stets auch ein übernationales Gefühl zu sein. Oder an sehr gleichartige Erkenntnisse des großen Kärntners Guido Zernatto, der uns in seiner nachgelassenen Schrift „Vom Wesen der Nation“ geradezu einen Abriß der fürchterlichen Wirkungen des Nationalismus übergeben hat. Man hätte sich auch

— auf beiden, ja, auf allen Seiten!

— des großen Kärntner Dichters Perkonig erinnern können, dem diese heimlichen oder offenen Volks-tumskämpfe suspekt gewesen sind.

<_uer an v_suk.uits „inuvöiuuci iio , ein Stück, das immer brennendere Aktualität gewinnt. Nichts dergleichen ist geschehen: in Kärnten geriet der Nationalfeiertag zum Nationalitätentag, von schlimmen Gespenstern umstanden. Kaum, daß das Wort „Versöhnung“ fiel. Die Vernunft blieb in ihrem Versteck.

Man sage nicht: ja, aber der Herr Dandeshauptmann hat ja ohnedies gesagt... Dieser Landeshauptmann ist über die Erfüllung des Artikels 7 des Staatsvertrages gestolpert! Am Ende brach ihm eine stimulierte Gemeindewahl, die zu einer „Volks-tumswahl“ umfunktioniert worden war, das Genick. Es kann hier nicht mehr die Rede davon sein, was er hätte anders, was besser machen können. Auch nicht davon, was nun sein Nachfolger in dieser Frage anders oder besser machen wird. Davon steht allzuviel auf einem parteipolitischen Blatte, das hier nicht zum Thema gehört. Denn tatsächlich geht es in Kärnten mehr und mehr nach den Vorstellungen und dem Willen einiger Professionals des Volkstumskampfes, die vielleicht selbst guten Gewissens behaupten können, keine Eskalation zu wollen, diese aber dennoch herbeiführen, und zwar Schritt um Schritt.

Unsere Verfassung garantiert Ver-sammlungs- und Koalitionsfreiheit. Wer sich an die Gesetze hält, darf kundgeben, was er will und wann er will. Das ist die eine Seite. Die andere Seite sieht so aus: Wenn durch stimulierende Kundgebungen just in einer Zeit, da sich — spät genug! — Kommissionen bemühen, den vielleicht doch noch möglichen Konsens zu finden, diesem ein denkbar ungünstiger Boden bereitet

wird, so ist es sehr die Frage, ob das der richtige „Heimatdienst“ ist, der da ans Werk geht und auch die Frage bleibt, ob „Gegenprotestmärsche“ da nicht zur Unzeit veranstaltet werden.

Man muß nicht viel von Kommissionen halten. Wenn man das nicht tut, wird man aber endlich einmal selbst sagen müssen, wie es weitergehen soll. Indem die einen „Minderheitenfeststellung“ fordern, die anderen eine solche ablehnen, keiner aber sagt — oder sagen will —, was es dazwischen noch alles geben könnte, um gerecht und ver-

Problem bloß verewigt!

Österreich als „übernationale Idee“ könnte das Problem lösen und es bereitet keinen Genuß, stets die ferne Vergangenheit rekapitulieren zu müssen, wo man solchen Lösungen sehr nahe war oder sie schon gefunden hatte, bis der Nationalismus alles zerschlug. Aber von diesem Österreich ist leider nirgendwo die Rede. Jeder führt gegen dieses Österreich tausend gute Gründe an und an allen diesen guten Gründen wird schließlich auch alles zugrunde gehen.

Bs mag schon sein, daß die SPÖ jetzt mehr als über diese Frage in Kärnten darüber grübelt, wie sie die nächste Landtagswahl „ohne Sima“ durchstehen kann; es trifft sicherlich zu, daß die ÖVP mitunter ganz gerne den Fuß aus dem „nationalen Fangeisen“ zöge, aber dann siegt wieder die parteipolitische Opportunität, weshalb ihr ja der einst verhaßte Sima, nun, da er (nicht zuletzt auch an der ÖVP) gescheitert ist, zum „liebsten Kind“ wurde. Und alle Parteien, die FPÖ natürlich miteingeschlossen (ja, sie ganz besonders), werden demnach mit dem Reizwort des Dr. Feldner „etwas gegen Wien durchzusetzen“ in ein schlimmes Gedränge gebracht: der „nationale Anti-Wien-Affekt“, zur rechten Stunde und Gelegenheit gekitzelt, verfehlt seine Wirkung auch am Nationalfeiertag nicht.

Wer in der Ersten Republik noch ein Junge oder Jüngling war, der hat das alles noch in den Ohren, wenn auch anders als manche, die damals schon zu den . Erwachsenen gehörten, dennoch aber, wie es nun scheint, Kinder geblieben sind. Und

ihm graut davor, daß die Eskalation „lustig“ weitergeht: erst wird einander beschimpft, dann gibt's Raufereien, dann werden mit Ortstafeln auch Gesetze umgelegt wie morsche Pfähle, schließlich wird man zur berühmten „action djrecte“ gelangen, die „vollzogene Tatsachen“ schaffen soll. Das alles garniert mit Umzügen, Manifesten, Resolutionen und dem berühmten „Gegen-die-da-oben“-Affekt.

Man muß gar nicht erst an Faschismus und Nationalsozialismus denken, es gibt eine genügend große Anzahl auch anderer Beispiele aus

der Geschichte, wie und wo das schließlich endet. Einige selbsternannte Heroen mag das befriedigen. Aber sind das wirklich die Sorgen des Volkes, um das es ihnen angeblich geht?

Sind diese Sorgen des Volkes nicht viel einfacherer Natur: da gibt es einen Vertrag, der 1955 überhaupt erst die Voraussetzung eines freien Österreich bildete. Und da gibt es. Vertragsbestimmungen, die der in diesem Lande siedelnden, ebenso österreichischen Minderheit an sich selbstverständliche Rechte gibt. Keine anderen, wie wir sie — ebenso selbstverständlich — für die Südtiroler forderten (und wohl auch zum größten Teil erhalten haben). Das Volk weiß das. Und es will zusammenleben. So darf es auch niemanden gelingen, den beiden Volksgruppen in Kärnten etwa eine historische Aufgabe auf Trennung und Feindseligkeit aufzuschwatzen. Viele Jahrhunderte gemeinsame Geschichte, gemeinsames Leben, gemeinsame Hochzeiten und gemeinsame Kinder sind lebende oder in der Erinnerung lebendige Zeugen gegen den Volkstumskampf. Früher einmal wußte man im ganzen Lande genug davon. Es gab deutsch- und slowenischsprachige Ortsbezeichnungen (auch auf den Tafeln), man sprach deutsch oder slowenisch und konnte einander dennoch verstehen.

Es liegt an der Mehrheit, zuerst der Vernunft Gehör zu schenken, wie es in der psychologischen Situation einer seit 1955 vertrösteten Minderheit liegt, an dieser Vernunft allmählich zu zweifeln oder an ihrem Ausbleiben zu verzweifeln; die von Feldner vernommenen '„Kamipfparo-len“ (zu „Gewaltdrohungen“ ist es ernstlich noch nicht gekommen!) und die „Radikalisierung der nationalslowenischen Aussage“ ist bis zu einem gewissen Grade das zwangsläufige Produkt einer auf die lange Bank geschobenen Vertragserfüllung und auch das ebenso zwangsläufige Ergebnis, eine Regel einführen zu wollen, die die Minderheit nicht anerkennen will. Maßlosigkeit

und immer höher geschraubte, schließlich mit Gewalt geltend gemachte Forderungen der Minderheit wären auch nicht exkulpierbar, aber sie sind nun einmal verständlicher, was immer auch dagegen spräche. Die Mehrheit zu haben heißt nicht, mehr Rechte zu besitzen, sondern legt einem im Ausgleich zwischen nationalen Gruppen mehr Pflichten auf. Vor allem die Pflicht zur Vernunft.

Vielleicht wird diese Vernunft bis zum nächsten Nationalfeiertag gesiegt haben, vielleicht! Viel Zeit hat sie dazu nicht mehr.

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