Pandemie und Mündigkeit: Das Volk, der große Lümmel
Das Verhältnis gewisser Impfgegner zum Staat erinnert an trotzige Kinder. Doch der demokratische Rechtsstaat beruht darauf, dass Menschen Verantwortung übernehmen. Ein Gastkommentar.
Das Verhältnis gewisser Impfgegner zum Staat erinnert an trotzige Kinder. Doch der demokratische Rechtsstaat beruht darauf, dass Menschen Verantwortung übernehmen. Ein Gastkommentar.
Seit zwei Jahren leisten kompetente, disziplinierte Ärzte und Pflegekräfte in unseren Krankenhäusern unter schwierigen Umständen hervorragende Arbeit. Anstatt diese Leistungen zu würdigen, pflanzt sich eine „Politikerin“ der MFG vor dem Krankenhaustor auf und beschimpft das Personal als „Verbrecher“, die Regierung so nebenher als „diktatorisch“. Schauplatzwechsel: Eine für ihren esoterischen Fundamentalismus bekannte Frau betritt in meiner Heimatgemeinde einen Supermarkt ohne FFP2-Maske. Ich spreche sie auf ihr Fehlverhalten an, sie erwidert mit überheblichem Grinsen, sie benötige so etwas nicht. Ihre Vorbilder findet sie im österreichischen Parlament, wo die Abgeordneten einer endgültig ins Bizarre abgerutschten FPÖ trotzig die Maskenpflicht verweigern. Noch einmal Schauplatzwechsel: Ein nicht geimpfter, genesener Covid-19-Patient wird aus dem Krankenhaus entlassen, wo er einen Platz in der Intensivstation in Anspruch genommen hat, und verkündet heroisch, er freue sich schon auf die nächste Demonstration gegen die „Impfdiktatur“.
Radikalliberaler Rebellenheroismus
Diese Beispielliste für staatsbürgerliches Infantilverhalten ließe sich beliebig erweitern, denn das soziale Geschehen rund um Corona liefert Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle. Die Pandemie spült politische Befindlichkeiten an die Oberfläche, deren sozial-psychologischer Kern ein unerwachsenes, unaufgeklärtes Verhalten gegenüber Staat und Politik ist. Einerseits neigt man in Österreich dazu, für alles und jedes den Staat in die Pflicht zu nehmen, andererseits schreit man sofort „Diktatur!“, wenn der Staat diese Verantwortung wahrnimmt. Entsprechen Gesetze und Verordnungen nämlich nicht den eigenen Bedürfnissen, erwacht bei manchen Leuten ein radikalliberaler Rebellenheroismus, der nicht viel kostet, denn unsere Verfassung sieht sogar für politisch verhaltensauffällige Landeskinder nur moderate Strenge vor, was ja grundsätzlich richtig ist.
Apropos „Landeskinder“: Das ambivalente Verhältnis gewisser Volksrebellen zum Staat erinnert mich tatsächlich an Kinder in der Trotzphase, mehr noch an Pubertierende, die so frei sind, dumme und gefährliche Dinge zu tun, Warnungen und Verbote als unzulässige Eingriffe in ihre Freiheitsrechte zurückweisen, aber zornig heulend zu Mami und Papi laufen, wenn die Sache plötzlich aus dem Ruder läuft. Kindern und jungen Leuten räumen wir bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sicherheitshalber den geschützten Status der Unmündigkeit ein, denn wir wissen nicht zuletzt aus eigener Erinnerung, dass Persönlichkeitsbildung ein störungsanfälliger Prozess sein kann.
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