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Ein Anschlag auf die Selbsthilfe

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Noch sind Genossenschaften in der Praxis vom Kartellgesetz ausgenommen. Der Ansatz einer Neuregelung wird aber von vielen als Angriff auf eine soziale Idee gesehen.

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Noch sind Genossenschaften in der Praxis vom Kartellgesetz ausgenommen. Der Ansatz einer Neuregelung wird aber von vielen als Angriff auf eine soziale Idee gesehen.

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Der jüngste Entwurf des Bundesministeriums für Justiz eines neuen Kartellgesetzes (siehe Kasten) stellt die Berechtigung einer klassischen Säule der Sozialreform in Frage. Nicht zuletzt die christliche Sozialreform hat sich gegen die Auswüchse der liberalkapitalistischen Wirtschaftsein-

Stellung im vorigen Jahrhundert durch die Bildung von Genossenschaften eingesetzt.

Besonders das Werk von Friedrich Raiffeisen erlebte in Österreich eine Blüte. In den Raiffeisengenossenschaften blieb das soziale Gedankengut dieses großen christlichen Pioniers der Sozialreform lebendig. Trotz der sich wandelnden Verhältnisse in der Wirtschaft geht die Raiffeisen-organisation nach wie vor von der Selbsthilfeidee ihrer Mitglieder aus und ist die Kontrollfunktion bei den Genossenschaften in der Basis bei den Mitgliedern aus den betreffenden Bevölkerungsschichten verankert (vgl. FURCHE 48/1985).

Der wirtschaftliche Leistungsanreiz zum Erwerb wird nicht schlechthin dem individuellen Wettbewerbsdenken mit dem Ziel der reinen Gewinnmaximierung unterworfen, sondern die zentrale Zielsetzung ist die umfassende Förderung der Mitglieder im Verbund der gesamten sozialwirtschaftlichen Kooperation. Zum Unterschied von einem liberali-stischen Wirtschafts- und Wettbewerbskonzept, wo der individuelle Nutzen dominiert, geht es hier um die Einbindung des Einzelinteresses in das Gemeinwohl des Ganzen. Dies kommt in öster-

reichs Raiffeisenorganisation auch zum Ausdruck. Sie folgt ordnungspolitisch in ihrem dezentralen und föderalistischen Aufbau zur Förderung der autonomen Primärgenossenschaften dem Subsidiaritätsprinzip.

Ein solcher subsidiärer Zusammenschluß von autonomen Genossenschaften unter Erhaltung der sozialen Grundprinzipien in einer hochentwickelten Industriegesellschaft ist sogar Muster und beispielgebender Bereich zur Weiterführung der wirtschaftlichen Ordnungspolitik in Richtung sozial gerechter Lösungen entgegen kollektivistischer

Zwangswirtschaft oder individu-alkapitalistischer Ausbeutung.

Der Ansatz des Kartellgesetzentwurfes 1986 mit seiner Streichung der bisherigen gesetzlichen Sonderregelung für die Genossenschaften zeigt hingegen eindeutig in Richtung einer liberalen Ordnungsvorstellung und ist gegen die Genossenschaft und damit gegen den sozialen Gedanken gerichtet.

Dem großen ideellen Verlust durch das neue Gesetz würden organisatorische und wirtschaftliche Schritte der Raiffeisenorganisation folgen, die sie zu einem zen-tralistischen Großunternehmen machen. Viele Menschen, die sie bisher mitgetragen haben, würden aus ihrer Subjektstellung als Wirtschaftsbürger verdrängt und zu einflußlosen Einzelinteressenten im wirtschaftlichen Wettbewerb werden.

Damit erweist sich dieser Gesetzesentwurf, vermutlich von seinen Vätern gar nicht so zunächst bedacht, als ein Anschlag auf soziale Errungenschaften, ja auf den sozialen Gedanken in der Wirtschaftsordnung unseres Staates selbst. Die Instanzen, die sich — sei es in der wissenschaftlichen Lehre, sei es in der Sozialverkündigung der Kirche, sei es die christliche Sozialbewegung — für jdie katholische Soziallehre kompetent wissen, dürfen zu diesem Gesetzesentwurf daher nicht schweigen und sind ebenfalls dringend zum Protest aufgerufen!

Um den Behauptungen, genossenschaftliche Zusammenschlüsse sind eine den Markt beherrschende Macht geworden, zu entgegnen, müssen wir uns auf die Bedeutung und Stellung der Ge- * nossenschaften in der marktwirt-

schaftlichen Ordnung besonders besinnen. Dazu ist zunächst aber eine kurze wirtschaftsethische Klarstellung aus der Sicht der katholischen Soziallehre gegenüber einer liberal-individualistischen und deterministischen Auffassung von „freiet Marktwirtschaft" notwendig.

Der freie Markt ist eine sozialwissenschaftliche Modellvorstellung des gesellschaftlichen Vorgangs, wie individuelles Angebot und individuelle Nachfrage von und nach wirtschaftlichen Gütern am günstigsten in volkswirtschaftlichen Austausch kommen können. In der sozialen Wirklichkeit spielt sich das Marktgeschehen immer zwischen Menschen

ab, die sich der Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage bedienen, von denen es auch abhängt, ob sie die Marktregeln auch einhalten. Wenn sie die Marktregeln benützen, ist noch nicht ausgemacht, daß sie sie sittlich richtig handhaben. Ein wichtiger Maßstab dafür ist die soziale Gerechtigkeit, das Gemeinwohl, das ohne menschliches Zutun nun einmal nicht zustande kommt. Auch die beste Absicht, den Marktmechanismus automatisch arbeiten zu lassen, macht ihn noch nicht zum in sich guten Mittel wirtschaftlicher Kooperation, wenn er nicht in Beziehung zym guten Zweck gebracht wird und damit seine Zweckrichtigkeit erwiesen ist. Wir sprechen daher von Sozialer Marktwirtschaft unter einem Wertbezug oder auch von sozial geordneter Marktwirtschaft.

Genossenschaften haben gemäß Gründungsidee Pflicht zur Selbstkontrolle.

Der genossenschaftliche

Selbsthilfezusammenschluß nun von vielen kleinen marktschwachen Anbietern oder Nachfragern ist danach sicher in der sozialen Marktwirtschaft ordnungspolitisch gerechtfertigt. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung seit hundert Jahren ist auch am Genossenschaftswesen nicht vorbeigegangen. Geldwirtschaft, Vermarktung der Güter und Detailgeschäfte im Verkauf können ohne Zusammenarbeit der Primärgenossenschaften auf höherer Ebene nicht abgewickelt werden, sonst würden sie im Vergleich mit den Konzentrationsvorgängen in der übrigen Wirtschaft nicht genügend wirtschaftlich rational und effizient gemäß ihrer Gründungsidee sein, um so dem einzelnen Mitglied zu dienen. • Die Verhinderung einer ordnungspolitisch ungerechtfertigten Marktmacht bei den Genossenschaften müßte zwar in Analogie zur Kartellbeschränkung, aber nach der Eigenart der Genossenschaften erfolgen. Wie es zu geschehen hat, ergibt sich also eindeutig aus der Genossenschaftsidee.

Der Selbsthilfegedanke, aus dem heraus sich an der Basis die vielen Einzelmitglieder zur Sozialordnung des Marktes genossenschaftlich zusammengefunden haben, macht sie zu voll handlungsfähigen Partnern auf dem Markt, legitimiert aber nicht die Machtdynamik ungehemmten Profitstrebens. Auch auf der höheren Ebene der Zusammenarbeit von Genossenschaften bleibt daher die Bindung an die einzelnen Mitglieder aufrecht und muß aufrechterhalten werden im Sinne der Gründungsidee durch innerverbandliche Demokratie. Daher unterliegt das Auftreten der Genossenschaften auf den Märkten sicherlich zunächst der Pflicht zur Selbstkontrolle gemäß ihrer Gründungsidee.

Diese Überlegungen stehen also im Dienste der Bewahrung und Entwicklung des Genossenschaftsgedankens, sollten aber auch Anstoß für eine breitere ordnungspolitische Diskussion in Österreich sein auf der Basis unserer freiheitlichen und sozialen Wirtschaftsordnung und im Konsens der führenden Kräfte in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat.

Der Autor ist Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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