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Ein Schwieriger über die Malaise der Welt

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In seiner Dankrede anläßlich der Auszeichnung mit dem Georg-Büchner-Preis 1962 sagte WoZfoancj Koeppen (Jahrgang 1906) von sich, daß er sich zum Schreiben, aber nicht zum Reden eigne; er sei als notorischer Einzelgänger „ein Zuschauer, ein stiller Wahmehmer, ein Schweiger, ein Beobachter“, der zwar der Menge nicht ausweicht, aber gern „die Einsamkeit der Menge“ genießt. Was die selbstverständliche Zugehörigkeit zur „engagierten Literatur“ angehe — „engagiert“, weil das so selbstverständlich sei wie das Atmen —, so sehe er „den Dichter, den Schriftsteller bei den Außenseitern der Gesellschaft“, als Leidenden, als Mitleidenden, „als Empörer, als Regulativ aller weltlichen Ordnungen ...“. Zur Abrun-dung des Porträts: Koeppen scheut die Teilnahme an Kongressen, Tagungen, Versammlungen, Protesten und Umfragen. Er ist auf der Suche nach einem Land „ohne Geschrei, ohne Fahnen, ohne Aufmärsche, ohne betonte Staatsgewalt, eine gute Verkehrsordnung nur unter Freien, eine freundliche Nachbarschaft, eine kluge Verwaltung, ein Land ohne Zwang, ohne Hochmut gegen den Fremden und den Nächsten“. Dort würde er, wenn er es je fände, gern zu Hause sein.

In den Jahren 1951 bis 1954 ist seine „Trilogie des Scheiterns“ entstanden, die seine drei besten Romane umfaßt: „Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“, „Der Tod in Rom“. Ihr Thema sind Erscheinungen, Einsichter. und Fehlentwicklungen im Leben der bundesrepublikanischen Welt, die erst Jahre später deutlich erkennbar werden sollten. In seinen beiden Romanen vor den „verlorenen, erlittenen, sprachlosen Jahren“ der HMerzeit: „Eine unglückliche Liebe“ (1934), „Die Mauer schwankt“ (1935), hatte sich Koeppen von seiner Zeit abzusetzen versucht, weshalb sie im Schatten der „Reichskultur-kammer“ als undeutsch abgelehnt wurden. Auch seine Romane der frühen fünfziger Jahre sind die eines Außenseiters. Während damals fast alle deutschen Nachkriegsautoren Kriegserlebnisse beschrieben, setzte sich Koeppen mit der bundesdeutschen Gegenwart auseinander und schrieb das Epos der Nachkriegsjahre. Seine gesellschaftskritische Aggressivität verblüffte oder schok-kierte, mit dem Ergebnis, daß die Bücher der Trilogie vielfach unterschätzt, verkannt, wenn nicht gar für verbotsreif gehalten wurden.

„Tauben im Gras“ (der Titel stammt aus einem Gedicht der amerikanischen Dichterin Gertrude Stein) schildert Gestalten und Vorgänge eines einzigen Tages des Jahres 1951 in einer ungenannten süddeutschen Stadt unter der amerikanischen Besatzung. Doch deuten alle Anzeichen auf München hin als Stadt der Handlung, in der Angst und Tod über den dunklen Mächten und Trieben herrschen. So sehr schienen Stoff und Zeitatmosphäre der Wirklichkeit angenähert, daß sich Beleidigte und 'Betroffene meldeten. Koeppens Kommentar dazu (der zugleich für die beiden anderen Romane der Trilogie gilt): „Natürlich hatte ich ein Pandämonium im Sinn. Immer. Ich sehe die Welt pandämonisch.“

War München als Schauplatz der Dämonisierung noch eher real erkennbar, so gleicht Koeppens Rom im dritten Roman („Der Tod in Rom“) mehr einer exotischen Gespensterkulisse für das schauerliche Geschehen. Vor ihr agiert ein ehemaliger SS-General als Waffeneinkäufer für einen arabischen Staat, organisiert in der Phantasie versäumte „Endlösungen“, bis er wirklich das Opfer seines mörderischen Terrors findet.

Auch Bonn im „Treibhaus“ mit Bundestag und den wie einer Wachsfigurenschau entlehnten

Akteuren ist nicht eindeutig entschlüsselbare, faßbare Wirklichkeit, sondern eher verhaßte Kulisse eines politischen Skandals, des Trauerund Satyrspiels über die Entscheidung der Wiederbewaffnung. Von Koeppens drei Zeitromanen ist „Das Treibhaus“ der am heftigsten diskutierte und kritisierte — bis zum törichten, wütenden Vorwurf des „Eigenen-Nest-Beschmutzens“, des „Zerrspiegels deutscher Wirklichkeit“, des „Porno-politischen Nihilismus“. Dabei zeigt er Koeppens literarisches Können, seine stilistische Meisterschaft, seine Kunst, anstößige Wahrheiten zu formulieren, auf einem Höhepunkt. Er ist von einer überzeitlichen politischen Aktualität; vielleicht kann man überhaupt erst aus der heutigen Perspektive die verblüffende Hellsicht dieses Romans ermessen, in dem manche Abschnitte 1972 und nicht 1952 geschrieben zu sein scheinen. Nicht, daß Koeppen darin besonders sensationelle Enthüllungen oder geheime Zusammenhänge zu bieten hätte, wie sie in jeder „Ochsentour des Wahlkampfes“ aufgeboten werden und ebenso rasch verschwinden. Mit solcher flacher Vordergründigkeit hat der Roman Koeppens nichts gemein. Er hat viel mehr getan, nämlich: denkbare Existenzen gestaltet, denkbare Entwicklungen entworfen.

Die zentrale Figur ist der oppositionelle Bundestagsabgeordnete Keetenheuven, der, aus der freiwillig gewählten Emigration zurückgekehrt, vor der „ungeheuren öle des Daseins“ in die Politik geflüchtet ist Eine Zeitlang glaubt er sogar, gewissenhafte, vernünftige Politik betreiben zu können, träumt als „Menschheitsromantiker“ von einem Reich Utopia ohne Krieg und Not, ist für Abrüstung, für Gewaltlosigkeit, für Brüderschaft unter den Menschen. Skeptisch gegen Schrebergarten- und Siedlungshausglück, denkt er sich „ein jedermann zugängliches einsam komfortables und verzweifeltes Glück in der nun einmal geschaffenen technischen Welt“ aus, würde am liebsten neue Häuser bauen mit „Eremitenzelien für Massenmenschen“. Und weiß zugleich, daß ihn niemand verstehen würde. Er vermag nicht zu überzeugen, weil die Zuhörer ahnen, daß er zweifelt. Ihm graut vor Phrasen, vor Parteioptimismus. Er liest moderne Lyrik, trägt manchmal einen Band mit sich in der Aktentasche, versucht sich an einer Ubersetzung Baudelaires, und das „macht ihn unterlegen, wenn es gilt rücksichtslos zu sein“. Nur widerwillig und unpünktlich besucht er die Ausschußsitzungen, hängt lieber seinen Tagträumen nach, denn er versteht das „Ausschußdeutsch“' nicht. Er „zerdenkt“ die Welt und bleibt nur ein politischer Dilettant inmitten der Menge von wendigen

Routiniers, von Ellbogenrittern, Interessenvertrelern und Spesenjägern. Es wimmelt unter ihnen von „Ehemaligen“, von „Verhütern, die Schlimmeres verhütet hatten“, und alle sind sie auf eine Rückwendung, auf die Wiederkehr des Gewesenen (Koeppen-Keetenheuve nennt es „restaurativen Nationalismus“) aus.

Keetenheuve leidet sowohl am eigenen Unvermögen wie auch an der Zeit, am „System“, an diesem Deutschland, das einem „großen öffentlichen Treibhaus“ -gleicht mit einem Klima, einer Üppigkeit „ohne Mark und Jugend“. Am meisten erbittert ihn, daß auch die Opposition dieser Restauration zwangsläufig dienen muß, auch der Außenseiter, auch Keetenheuve, „des Kanzlers getreuer Abgeordneter und Oppositioneller in Ergebenheit; ach ja, in Ergebenheit“. Das Fazit lautet: Versagt vor jeder Lebensaufgabe, gescheitert in der Politik, im Beruf und auch im privaten Leben, in der Ehe. Seine viel zu junge Frau, die er einst halbverhungert aus den Trümmern geholt und später geheiratet hat, war aus Verzweiflung und Verlassenheit am Alkohol, an Rauschgiften zugrunde gegangen. „Nicht mehr mitspielen“ ist nun sein einziger Wunsch, „nicht mehr mitmachen.. kein Käufer, kein Untertan mehr sein.“ So bleibt am Ende nur der Sprung von der Rheinbrücke in den Strom.

Vor die von so viel Melancholie überschattete private Tragödie drängt sich die Kritik an der Zeit. Keetenheuve scheint nur ein Einzel-

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