Widerspruch aushalten

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Daniela Strigl über Antisemitismus, Omri Boehms vermeintliche "falsche Rede am falschen Ort" und andere Meinungen, die man aushalten muss.

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Daniela Strigl über Antisemitismus, Omri Boehms vermeintliche "falsche Rede am falschen Ort" und andere Meinungen, die man aushalten muss.

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Der ehemalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde hätte also den deutschisraelischen Philosophen Omri Boehm bei seiner „Rede an Europa“ im Rahmen der Wiener Festwochen mit Eiern beworfen, wenn er „dreißig Jahre jünger“ wäre – so begnügt er sich im Kurier damit, die Rede, deren Wortlaut er noch nicht kannte, als „die falsche Rede am falschen Ort“ zu tadeln und implizit anderen, Jüngeren den Griff zu den Eiern nahezulegen. Vermutlich hat Boehms Kritiker in erster Linie die zu erwartende Rede für falsch gehalten, ganz egal, wo der Redner aufgetreten wäre. Der Judenplatz kann für einen israelischen Staatsbürger, der sich dem moralischen Universalismus eines Immanuel Kant verpflichtet fühlt und über die Schatten der Geschichte und den Nahostkrieg sprechen wollte, nicht ganz falsch gewesen sein, zumal der Platz ja offenbar auch durch das Werfen von (faulen?) Eiern nicht entweiht worden wäre.

Boehms Kollegin Isolde Charim hat im Falter darauf hingewiesen, dass im Gaza-Krieg Widerspruch aus den jeweils eigenen Reihen von beiden Seiten besonders heftig bekämpft wird: Die „Logik des Krieges“ sei eine „Logik der jeweiligen Gemeinschaft“. Charim beruft sich auf Boehm, der gegen das Prinzip einer identitären Brüderlichkeit das Prinzip der Freundschaft setzt, die sogar in extremis zwischen Israelis und Palästinensern möglich ist, sofern sie sich über Schuld und Versagen auf beiden Seiten verständigen. Boehm hat den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhalten und in seinen Dankesworten dem deutschen Bundeskanzler von Angesicht zu Angesicht eine falsche, nämlich bedingungslose Auffassung von deutsch-israelischer Freundschaft vorgeworfen. Und der hat das ausgehalten. Weil man in einer erwachsenen Demokratie Meinungen aushalten muss, die man falsch findet, ohne zu mehr oder weniger originellen Wurfgeschoßen zu greifen.

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