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Gericht im Kino

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Wenn früher ungarische Filmleute in die Betriebe gingen, dann wurden Räder und Drehbänke gezeigt, dann ergoß sich sprühend der glühende Stahl, dann glänzten die Augen und die schweißnasse Stirn des Stahlarbeiters. Jetzt zeigte Tamäs Almä-si seinen Dokumentarfilm „Unter Druck“, in dem von Personalabbau die Rede ist, von Umstellung der Produktion, von Sorge um die Arbeitsplätze. „Der Film will am Programm der ökonomischen und politischen Entfaltung teilnehmen“, stellte Imre Pozsgay, Generalsekretär der Patrioti-

sehen Volksfront, fest. Es sei notwendig, dunkle Punkte in der Ge-schichte aufzudecken.

Daß es solche Punkte in reichem Maße gibt, das hat der ungarische Film schon seit Jahren vorgeführt, aber noch niemals mit solcher beinahe erschreckender Offenheit wie in den Werken, die 1987 entstanden sind. Noch nie wurde beispielsweise die Revolution von 1956 so ausführlich und konkret nachgestellt, wie in dem Vier-Stunden-Film von Ferenc K6sa, „Der andere Mensch“. Allerdings nimmt seine Hauptfigur, der Student Antal, eine kritischdistanzierte Haltung ein, als sich seine Kommilitonen bewaffnen und mit unzulänglichen Mitteln auf sowjetische Panzer stürzen. Sein Vater war 1944, als Antal gerade elf Jahre alt war, von den Pfeükreuzlern liquidiert worden, weil er zuerst fälschlich der Fahnenflucht beschuldigt worden und dann wirklich nach Hause geflüchtet war. Kurz vor seinem Tode hatte der Vater geschworen, nie mehr eine Waffe in die Hand zu nehmen. Der Sohn hat diese Lehre behalten und geistig ausgebaut. Seine Argumente gleichen fast wörtlich denen heutiger Wehrdienstverweigerer, die ja gerade in Ungarn einen schweren Stand haben.

Der Regisseur Kösa, der nicht zum ersten Mal ein brisantes Thema behandelt hat, will es aller-

dings nicht so eng sehen. Er will grundsätzlich und weltweit für Gewaltlosigkeit wirken. Im ersten Teü seines Films, der 1944 spielt, ist auch die Rede von den Ursachen, die sein Land an der Seite Deutschlands und Italiens in den Krieg getrieben haben.

Das Königreich war nach 1918 um zwei Drittel seines Territoriums verkleinert worden. Mit Hitlers Hilfe hatte es wenigstens einen Teil der verlorenen Gebiete zurückbekommen. Allerdings gab es auch eine ungarische Volksgruppe in der Bukowina, die nach 1918 zu Rumänien gekommen war, dann nach dem Hitler-Stalin-Pakt der Sowjetunion zugesprochen wurde. Die Ungarn sollten (wie die Deutschen) „heim ins Reich“. Aber inzwischen war Jugoslawien besetzt worden, und die Ungarn kamen gleich in die (ehemals und nun wieder) ungarische Batschka, aus der sie dann von jugoslawischen Partisanen unter schrecklichen Bedingungen wieder vertrieben wurden. Die Uberlebenden haben nun vor den Filmkameras ihren Leidensweg zu Protokoll gegeben, und die Filmleute haben weder jugoslawische Empfindlichkeiten gescheut, noch den Marktwert eines

vierteiligen, gewiß nicht besonders kurzweiligen Films bedacht.

Mit ähnlicher Offenheit berichteten die Brüder Gyula und Jänos Gulyäs, wie „Ohne Gesetzesbruch“ Tausende unbescholtener Ungarn von der kommunistischen Regierung in den fünfziger Jahren deportiert wurden: Zwangs-Umsiedlung oder sogar Arbeitslager. Sie wurden nur wegen ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft verfolgt und enteignet. Als sie dann endlich „amnestiert“ wurden, gab es - bis heute - weder Rehabilitierung, noch angemessene Entschädigung. Es sei kein Gesetz verletzt worden, teilte man ihnen mit.

Nach 1956 war die Gesetzlichkeit noch lange nicht wiederhergestellt. Der Spielfilm „Schrei so laut du kannst“ von Zsolt Kezdi-Koväcs zeigt das tragische Schicksal eines Liebespaares etwa 1958.

Dem Film liegt ein Roman von Gyula Hernädi zugrunde, der 1961 geschrieben, aber erst 1979 zur Veröffentlichung freigegeben wurde: Maria und Käroly haben beide ihre Ehepartner verloren. Sie sind 1956 in den Westen geflüchtet. Maria hat in einem hohen Polizeioffizier einen Beschützer und Liebhaber gefunden, der sich aber bald als brutaler Tyrann

entpuppte. Nun will sie mit Hilfe Kärolys von ihm loskommen. Aber die Verbindungen des Tyrannen sind stärker. Er läßt Käroly so gründlich verprügeln, daß er einen Schädelbruch erleidet und sein Leben im Dämmerzustand in einem Irrenhaus zubringen muß. Als ihn Maria nach Jahren besucht (inzwischen hat sie sich in ihr Schicksal an der Seite des Verbrechers gefügt), kommt es zu einer ergreifenden stummen Begegnung. Ist die Anpassung immer noch die einzige Möglichkeit des Uberlebens?

Andräs Koväcs zeigt in „Nachhut“, wie sich die neue Errungenschaft der politischen Führung, dem Wähler die Auswahl zwischen zwei Kandidaten zu überlassen, auf der Bezirksebene auswirkt. Ein dynamischer Wissenschaftler, der sich schon tatkräftig für den Umweltschutz eingesetzt (und sich entsprechend Feinde gemacht) hat,“ wird vom „Volk“ als Kandidat für die Parlamentswahl gefordert. Daraufhin bewegt die örtliche Parteileitung die beiden von ihr nominierten Kandidaten, zurückzutreten und dadurch die Wahl unmöglich zu machen. Nach einem Jahr wird sie nachgeholt. Bis dahin ist der unbequeme Kandidat so weit gezähmt, daß man ihn ruhig aufstellen kann. Das wird (nach einer wahren Begebenheit) mit vielen unterschiedlich schattierten Charakteren und kontroversen Argumenten dargestellt.

Neben der Brisanz solcher Filme wirken die Schilderungen privater Kümmernisse allzu harmlos. Ein wirklich großer Film, den man international vorzeigen könnte, gelang leider auch nicht mit Hilfe eines italienischen Koproduzenten. „Miss Arizona“ von dem sonst so hervorragenden Sändor Pal hatte zwar viele schöne Momente, aber trotz der Mitwirkung von Hanna Schygulla, Marcello Mastroianni und vieler bewährter ungarischer Schauspieler blieb der Gesamteindruck merkwürdig unbefriedigend: die Geschichte vom Entertainer-Paar, das sich zwischen 1920 und 1944 in Ungarn und Italien durch die schweren Zeiten schlägt, wirkte ein bißchen konstruiert.

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