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Ghaddafi in Not, Nachbarn im Boot

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„Viel Feind, viel Ehr“ - das ist offensichtlich der Wahlspruch von Libyens exzentrischem Revolutionsführer Ghaddafi. Hinter seinem jüngsten Rundumschlaggegen die arabische Umwelt stehen freilich ernste wirtschaftliche Probleme seines Landes.

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„Viel Feind, viel Ehr“ - das ist offensichtlich der Wahlspruch von Libyens exzentrischem Revolutionsführer Ghaddafi. Hinter seinem jüngsten Rundumschlaggegen die arabische Umwelt stehen freilich ernste wirtschaftliche Probleme seines Landes.

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Libyen, das sich noch in den letzten Monaten die Freundschaft und sogar eine militärische Allianz des neuen Regimes des Sudan mit reichen Rohöl- und Lebensmittelspenden erkaufen konnte, tritt jetzt wirtschaftlich extrem auf der Stelle. Unter Firmen und Geschäftsleuten, die sich früher an Ghaddafi gesundverdient hat ten, aber auch im weiten Kreis der von Tripolis in der westlichen Welt angeheuerten Informanten und Propagandisten, waren die wachsenden libyschen Zahlungsschwierigkeiten schon länger ein offenes Geheimnis.

Jetzt haben die Nöte Ghaddafis, dem bisher wenigstens in ökonomischen Belangen ein klarer Kopf bescheinigt worden war, jedoch ein Ausmaß erreicht, das auch seine Nachbarn Ägypten und Tunesien in den Strudel von Pleite und sozialer Unrast hineinzureißen droht.

Begonnen hatte alles noch im August mit einer damals kaum beachteten Aussendung der amtlichen libyschen Nachrichtenagentur Jana. Sie berief sich auf einen Beschluß des „Allgemeinen Volks-Kongresses“ in Tripolis. Dieses direkt-demokratische Organ der Dschamahirija (Volksstaat) forderte die Herstellung „voller wirtschaftlicher Autar kie“. Nur ganz nebenbei war von einem ökonomischen Engpaß als dem eigentlichen Grund für die bald folgenden drastischen Maßnahmen die Rede.

Aber auch die diesbezügliche Reduktion des arabischen Gastarbeiter-Standes als Hauptheilmittel für die libyschen Wirtschaftsnöte wurde zunächst ganz unterschwellig angekündigt. Immerhin überrundeten die hier seit Anfang der siebziger Jahre beschäftigten Ägypter, Tunesier, Mauretanier und schwarzen Muslime aus dem Tschad, Niger und Mali bisher fast die bodenständige Bevölkerung von nicht einmal drei Millionen Libyern.

Doch nicht einmal der damals in Kairo versammelte Kongreß von 1500 Delegierten der insgesamt 4,5 Millionen Auslandsägypter nahm den Wink mit dem Zaunpfahl ernst. Man blieb bei der Uberzeugung, daß Libyen ohne ägyptische Bauern, Handwerker, Kellner, Verwaltungsangestellte und Bankbeamte nicht weitermachen könne, ja erst recht zusammenbrechen müßte.

Tatsächlich schien ir. Tripolis der nächste Schritt dem beschwichtigenden Wunschdenken der Ägypter Recht zu lassen: Ghaddafi bot pathetisch allen arabischen Gastarbeitern, die im Lande zu bleiben wünschten, die libysche Staatsbürgerschaft an.

Den rund 100.000 hier beschäftigten Tunesiern wurde aber in der Praxis gar keine Möglichkeit für eine solche Option mehr gelassen. Schon zwei Tage vor der ersten Jana-Meldung war ein erstes Kontingent tunesischer Schmutz- und Hilfsarbeiter auf Lastwagen an die Grenze bei der libyschen KZ-Insel Abu Farwa geschafft und dort hinübergeprügelt worden.

Bei den Ägyptern hingegen gab es anfänglich ein regelrechtes Liebeswerben um das Verbleiben der qualifizierten Kräfte. 100.000 der über eine Million starken ägyptischen Handarbeiter wurden aber wie die Tunesier sofort auf die Ausweisungsliste gesetzt.

Ghaddafi, dessen früher bei über 20 Milliarden Dollar liegende Erdöleinnahmen in diesem Jahr keine acht Milliarden mehr ausmachen dürften, blieb keine andere Wahl: Bisher hatten ihn die Gastarbeiter allein jährlich zwei Milliarden Dollar gekostet.

Inzwischen haben aber auch die Fachkräfte unter den Ägyptern geschlossen den Hut genommen. Vor die Wahl gestellt, war fast keiner bereit, Bürger Libyens zu werden.

Angesichts dieser Entwicklung ergreift nun Ghaddafi die Flucht nach vorne: Bei einer Massenkundgebung im südlibyschen Sebha spricht er auf einmal von rein politischen Beweggründen für den Gastarbeiter-Kehraus und von seiner gezielten Absicht, sowohl Kairo wie Tunis mit diesem Abwürgen einer wichtigen Devisenquelle und empfindlicher Steigerung der ohnedies schon katastrophalen Arbeitslosenzahlen „revolutionsreif“ zu machen.

Am Nil beginnt diese Drachensaat des Unruhestifters von Tripolis auch schon aufzugehen. Schon ist die Regierung des ExGenerals Kamal Hassan Ali zu Fall gekommen.

Vordergründig betrachtet keine so negative Sache: Hassan Ali, zunächst als Sadats Verteidigungsminister am zuständigen Platz, hatte dann als dessen bedingungslos treuer Gefolgsmann zunächst Kairos verfahrene Außenpolitik und dann 1984 unter Mubarak als Verlegenheitslösung das Amt des plötzlich verstorbenen Regierungschefs übernehmen müssen. Eine glückliche Figur hatte er in keinem der beiden Ämter gemacht.

Zwar ist nun Ägyptens neuer Premier Ali Lutfi ein hervorragender Wirtschaftsmann. In der jetzt mit dem Rückströmen der Gastarbeiter noch akuter gewordenen Not und Verknappung kann aber auch er keine Wunder wirken.

Ghaddafi beweist bei allen seinen gegenwärtigen Schwierigkeiten immer noch den längeren Atem und das größere Stehvermögen als seine Nachbarn. Auch aus der letzten Revolte von Luftwaffe und Grenztruppen ist er — wie schon so oft — als strahlender Sieger hervorgegangen.

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