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Spannungen in FranzOsisch-Nordafrika

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Frankreich hat den Geburts Jahrgang 1927 unter die Fahnen gerufen. Französische Truppen, unterstützt von 25.000 deutschen Fremdenlegionären, unter denen sich viele ehemalige Soldaten des Deutschen Afrikakorps befinden sollen, fechten in Indochina gegen die kommunistisch orientierte Viet-Namh-Bewegung. Auf Madagaskar sind heftige Kämpfe entbrannt. Der Umbau des Empire Francais in die elastisch-föderative Union Francaise vollzieht sich unter heftigen Spannungen.

Die Bedrohung der erwähnten reichen Gebiete ist für Frankreich schmerzlich. Aber ihre periphere Lage läßt sie für die öffentliche Aufmerksamkeit, vom Ganzen her gesehen, gegen die nordafrikanischen Besitzungen zurücktreten, die stets den Kern des französischen Kolonialreiches bildeten und durch ihre kulturelle Affinität und ihre geographische Nähe als Fortsetzung des Mutterlandes gelten. So blickt Paris mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Entwicklung in diesem Raum, die durch die letzte Erklärung des Sultans von Marokko in ein sensationelles Stadium getreten ist.

Frankreich verwaltet in Nordafrika drei Gebiete von ganz verschiedener historischer Entwicklung und staatsrechtlicher Stellung: Algerien 7,250.000 Einwohner 575.000 km2 Tunis 3,000.000 „ 125 000 „ Marokko ;,000.00C „ 420 000 „ insgesamt 18,250.000 Einw. mit 1,120.000 km*

Algier ist das Hauptstück dieses Reiches, das sich über die Sahara hinweg mit den Kolonien am Senegal berührt. Außer Kanada ist Algier das einzige Gebiet in Übersee, in dem kompakte französische Ansiedlergruppen wohnen. Diese Siedler, etwa eine Million, haben als Kulturpioniere Mustergültiges geleistet. In ihren Händen liegt vor allem der Weinbau, dessen Produkt größtenteils nach Frankreich geht und im algerischen Export an erster Stelle steht. Die arabische Bevölkerung pflegt vorwiegend den Ackerbau und da sie sich alljährlich um 160.000 vermehrt, ist die Entwicklung der Landwirtschaft ein Problem von größter sozialer und wirtsdiaft-licher Bedeutung. Frankreich hat aber der beruflichen Ausbildung und der Hebung des allgemeinen Lebensstandards der moslemiti-schen Bevölkerung, sehr im Gegensatz zu seiner sonstigen kolonialen Gepflogenheit, durch lange Zeit wenig Augenmerk geschenkt, beeinflußt durch die französischen Siedler, welche die Araber zu Arbeiten höherer Ordnung für unfähig halten.

Diese Siedler besitzen allein die französische Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht. Sie haben den Vorschlag Pierre Vienots, etwa 20.000 ausgewählten Moslims die staatsbür-gerlidien Rechte zuzuerkennen, ebenso zu Fall gebracht wie jenen der Regierung Blum,durch Begünstigung mohammedanischer Kriegsteilnehmer die Zahl der Wahlberechtigten von 440.000 auf 500.000 zu erhöhen. Die algerischen Nationalisten fühlen sich dadurch zurückgesetzt und sind gegenwärtig stark aktiv. Im Mai 1945 kam es bei Serif zu sehr blutigen Zusammenstößen. Der extreme Flügel wird von Messali Hadj geführt, dessen Geheimorgan übrigens in französischer Sprache erscheint, da das maurische Arabisch ein mit zahlreichen französischen Worten durchsetzter Dialekt ist und es wenig Algerier gibt, die das klassische Arabisch beherrschen. Das Land entbehrt eines kulturellen Zentrums, wie es die Koranuniversitäten von Fez und Tunis sind. Messali Hadjs arabische Volkspartei wurde verboten, er selbst steht unter polizeilicher Aufsicht und es ist ihm untersagt, in den großen Städten öffentlich zu sprechen — eine halbe Maßnahme, die ihn nicht hindert, auf dem Lande große Meetings abzuhalten. Mit Mißtrauen sieht man, daß er seine propagandistische Tätigkeit in die Gegend der Massakers von 1945 verlegt, denn seine Rivalen, die „Demokratische Union des Algerischen Manifestes“ (UDMA), die für den Verbleib Algeriens in der Union Franjaise eintreten, werfen ihm vor, diese Unruhen durch seine Demagogie hervorgerufen zu haben. Die Besorgnis, mit der Frankreich die Lage in Algerien betrachtet, drückt sich in den aufeinanderfolgenden Besuchen französischer Staatsmänner aus, von denen übrigens Präsident Vincent Auriol einen algerischen Moslem in seinen Stab aufgenommen hat. Es ist gewiß, daß das Lebensinteresse Algeriens aufs engste mit dem Frankreichs verknüpft ist, aber es ist schwierig geworden, die algerischen Nationalisten hievon zu überzeugen.

Die Lage in Tunis ist durch wesentlich andere Momente gekennzeichnet. Das mehr dem Handel aufgeschlossene Land ist wirtschaftlich mit vielen Mittelmeerstaaten verflochten, seine Bevölkerung siedelt größtenteils in Städten. Unter den etwa eine Viertelmillion zählenden Europäern liegen die Franzosen heute in der Führung. Ihre Rivalität mit den Italienern, die bis 1943 ihre eigenen Schulen, ihren besonderen staatsrechtlichen Status und ihre Konsulargerichtsbarkeit hatten, ist entschieden. Mussolinis antisemitische Gesetzgebung brachte den Zuzug vieler Juden aus Livorno, die sich ebenso als Franzosen naturalisieren ließen, wie seit Kriegsende alljährlich viele ansässige Italiener. Ist dadurch der französische Resident von einer großen Sorge befreit, so ist die Beziehung zu der eingeborenen Bevölkerung um so schwieriger. Als die Achsentruppen Tunis besetzten, wurden von nationalistischen Bevölkerungsgruppen kriegsgefangene alliierte Soldaten mit Harte behandelt. Nach der Vernichtung des Deutsdien Afrikakorps suchten die Alliierten einen Sündenbock und zwangen den Bey zur Abdankung. Daß dies ein Mißgriff war, hat Frankreich indessen eingesehen. Denn Moacef Bey war seit langem der einzige wirklich populäre Fürst seines Hauses.

Die Verbündeten machten ihn zum Märtyrer und lieferten den Nationalisten einen guten Grund, die Rechtsgültigkeit der Maßnahmen seines Nachfolgers und folglich derjenigen der französischen Behörden zu bestreiten. Es wäre vielleicht im Vorjahre zu blutigen Ereignissen gekommen, wenn es nicht gelungen wäre, alle Mitglieder eines Geheimkongresses vorübergehend dingfest zu machen. Der Große Rat von Tunis, in eine arabische und eine französische Sektion zerfallend, hat wohl das volle Recht der Budgetkontrolle und setzt sich nuf mehr aus gewählten Mitgliedern zusammen. Aber die führende nationalistische Partei, der „Destur“, ist verboten und hat ihren Mitgliedern die Ausübung des aktiven wie passiven Wahlrechtes untersagt. Die unter Zensur stehenden Zeitungen können wenig politische Nachrichten bringen, aber die Spannung zeigt sich in der Ablehnung auch wohlgemeinter sozialer Maßnahmen der Regierung. Die unter Leitung des moslemitischen Theologieprofessors der Zeituna-Universität, Fahdel ben Achour, stehenden Gewerkschaften (UGTT) lehnen den Marxismus ab und stehen auf der Grundlage der sozialen Gesetze des Islams. Sie werden von britischer Seite mit den christlichen Gewerkschaften in Europa verglichen. Ihrer Angabe nach zählen sie siebzigtausend Mitglieder, die sich auf alle Arten von Land-und Industriearbeitern verteilen, und haben Organisationen aufgestellt, die sowohl Arbeitgeber als Arbeitnehmer umfassen. Frankreich ist bestrebt, das Regime in Tunis zu mildern, und hat vor kurzem den bisherigen Residenten aus der Zfcit des zweiten Weltkrieges, General Mast, durch einen Politiker aus der Umgebung Leon Blums ersetzt.

Während hier die Dinge noch im Fluß sind, ist in Marokko ein unerwartetes und wahrscheinlich weitreichendes Ereignis eingetreten. Der Sultan Von Marokko ist ebenso Souverän der Zonen des französischen und des spanischen Protektorats, wie oberster Landesherr des internationalen Gebietes von Tanger. Die Marokkaner der französischen Einflußsphäre sind Untertanen des Sultans und Frankreich kann Anordnungen nur durch Vermittlung der scherifischen Behörden erlassen, wie es auch Marokko nicht in das Zollgebiet der Union Franchise einbeziehen kann. Wohl ist unter großen Residenten, wie Marschall Lyautey, die scherifische Regierung, der Makhzen, zur bloßen Registrierungsstelle herabgesunken, aber der jetzige Sultan, 36 Jahre alt, zeigt sich in steigendem Maße gewillt, die Angelegenheiten des Landes selbst zu führen. Seine Waffe ist die Verweigerung seiner Unterschrift. Die Residentschaft weiß dies auszuschalten, aber solche Gesetze erklärt die nationale Opposition für ungültig. Im Jänner 1944 kam es zu blutigen Unruhen. Sie endeten mit der Unterdrückung aller unabhängigen arabischen Zeitungen, zahlreichen Inhaftierungen und dem Verbot der Unabhängigkeitspartei (Istiqlal). Die Nationalisten betonen die tausendjährige Selbständigkeit des Landes und suchen Anschluß an die Arabische Liga — zwischen ihnen und den französischen Siedlern, die im Wirtschaftsleben führen, klafft ein schroffer Gegensatz.

Als der Generalresident Labonne einzulenken versuchte, verließen die Vertreter der ansässigen französischen Bevölkerung unter Protest die Besprechung.

Vor kurzem übergab nun der Sultan gelegentlich eines Besuches in Tanger der Presse eine Erklärung, die eine zielbewußte nationale Aktivität ankündigt. Man kann sagen, daß er als Führer der Unabhängigkeitspartei in die französische Zone zurückgekehrt ist. Die Worte „Marokko hat den heißen Wunsch, seine vollen Rechte ZU erlangen“, waren von geschickt verhüllten Protesten gegen das Protektorat begleitet, das nur Beziehungen zu einer einzigen auswärtigen Macht — Frankreich — zulasse. In warmen Worten huldigte er der Freundschaft zu den übrigen arabischen Ländern und zur Arabischen Liga — der politischen^ Zentrale des vorderasiatischen wie des nordafrikanischen Arabertums. Der Sultan sprach den vielsagenden Wunsch aus, die höher Erziehung in Marokko möge nach dem Vorbild.der Universitäten in Kairo, Syrien, Libanon und dem Irak gestaltet werden. Während er früher eine autokratischen Rechte ängstlich zu hüten Schien, forderte er jetzt für sein Volk volle demokratische Rechte und fing damit die frische demokratische Brise in seine Segel. Sein Hervortreten in die Öffentlichkeit ist um so bedeutungsvoller, als es durch die Verschlechterung def weltpolitischen Lage inspiriert zu sein scheint. Die strategische Wichtigkeit Marokkos als Landekopf hat sich im zweiten Wellkrieg erwiesen.

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