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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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SOMMERREISEN GEGEN ÖSTERREICH! Die

Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) planen die Aufstellung einheitlicher „Eurotour'-Reiseschecks, die nur in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und den Benelux-Staafen Gültigkeit haben sollen. Sie stellen also eine Art Reisewährung der EWG-Sfaafen dar. Um Devisen zu sparen, soll damit der Touristenstrom aus EWG- Staaten in die Nlchtmifgliedssfaaten eingedämmt werden. Wir denken in diesem Moment unwillkürlich an Hitlers Tausendmarksperre gegen uns. Oesterreich würde durch diese Einführung schwer betroffen werden. 1958 belegten die Bundesdeutschen mehr als 70 Prozent aller an Ausländer vermieteten Belten. Der seit langem gefürchtete Zwist zwischen den beiden Wirf- schaftsbünden droht hier auf ein Gebiet überzugreifen, das, politisch und wirtschaftlich, besonders heikel ist. Mit einer Verstärkung unserer Verkehrswerbung in Deutschland und einer Modernisierung unserer Hotels und Pensionen allein ist es nicht getan. Oesterreich muß endlich eine auf weife Sicht planende konstruktive Wirtschaftspolitik treiben.

DER „GROSSTURKE" IN ROM. Zum erstenmal In der Geschichte hat der Papst ein türkisches Staatsoberhaupt empfangen. Wohl hatte schon, vor vier Jahren, Pius XII, den türkischen Ministerpräsidenten Menderes bei sich gesehen, dieser Besuch blieb jedoch ohne kirchenpolitische Folgen. In diesen Tagen nun empfing Johannes XXIII. den Staatspräsidenten Cela Bayar. Der Heilige Vater genießf seit seiner Tätigkeit als Apostolischer Delegierter in Istambul starke Sympathien im türkischen Volk. Nun hofft man, daß erstmalig eine Nuntiatur in der Türkei eingerichtet werden kann: ein Ereignis, das für die Beziehungen zwischen Islam und katholischer Kirche fruchtbare Folgen haben könnte. Der Weltislam befindet sich heute in einer zwiespältigen Lage, Noch nie zuvor bestanden in muselmanischen Eliten zwischen Nordafrika und Kairo so intime Kontakte mit dem christlichen Geistesleben wie heute und umgekehrt. Anderseits aber ist der politische Aufbruch in den islamischen Staaten mehrfach verbunden mit einer Wiederbelebung eines nafionalislamischen Kampfgeistes. Die Konfaktnahme in Rom entspricht dem ebenso kühnen wie vorsichtigen Vorgehen Papst Johannes' XXIII., der zuerst ein Klima der Freundschaft, des Vertrauens schaffen will, um dann behutsam die heilen Eisen anzugehen.

SPD WEHRT SICH GEGEN IĮNKS. Mit großer Schärfe hat sich der Geschäftsführer der SPD- Bundestagsfraktion, Dr. Mommer, gegen den Frankfurter Kongreß des Sozialistischen Studentenbundes gewandt, der in Zusammenarbeit mit Gruppen der sozialistischen Jugendorganisation „Die Falken”, der Gewerkschaftsjugend und der Naturfreundejugend Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gefordert hatte. Geschickter als sein Bonner Kollege drückte sich kürzlich der Führer der bayrischen SPD, Waldemar von Knoeringen, In München aus; er spricht von der Notwendigkeit von Kontakten mit den ostdeutschen Jugendorganisationen, fordert ober dabei von den westlichen Jungsozialisten „Selbstbewußtsein und offensiven Geist". Mutatis mutandis, sollte diese Mahnung und Forderung auch von nichtsozialistischen Jugendorganisationen und ihren Vertretern im Umgang mit östlichen Gruppen und einzelnen beachtet werden: Die Frage ist heute nicht mehr, wie noch manche meinen, ob man mit diesen Menschen sprechen soll. Die Frage lautet eindeutig — das haben die Amerikaner soeben wieder gezeigt — wie, in welchem Geist, In welcher Haltung man den jungen Menschen aus der anderen Hemisphäre entgegentritt.

DIE BISHER IN FRANKREICH STATIONIERTEN

amerikanischen Atombombengeschwader müssen infolge General de Gaulles Forderung eines Mitspracherechtes über ihren eventuellen Einsatz und der nicht unverständlichen Weigerung Washingtons, diesem Verlangen nachzukommen, auf das Gebiet anderer NATO-Staaten, nach Sizilien vielleicht, oder nach England, verlegt werden. Vom Standpunkt der westlichen Sicherheit aus gesehen ist das mehr als bedenklich. Die Abwehrkraft der NATO beruht in erster Linie auf dem Prinzip der unerschütterlichen Einigkeit und der Hintansetzung nationaler Sonderinferessen gegenüber dem Gesamtverteidigungsplan. Schon einmal hat der General gegen dieses Prinzip verstoßen, als er die französische Mittelmeerflotte, auch für den Kriegsfall, dem Oberkommando der NATO entzog; jetzt hat er den Verstoß wiederholt, obwohl er sich hätte sagen müssen, daß es gerade in diesem Zeitpunkt, ongesichfs der neuerlichen sowjetischen Offensive Im Kalten Krieg, ganz besonders darauf ankam, alles zu vermeiden, was auf ernste Meinungsverschiedenheiten oder gar die Möglichkeit einer Spaltung im Allierfen-Lager schließen lassen konnte. Freilich, man weiß wohl, wie empfindlich der französische Staafschef in Fragen des nationalen Prestiges ist; aber wenn selbst Großbritannien es für durchaus vereinbar mit seiner nationalen Würde gehalten hat, den Amerikanern Stützpunkte und Depots aller Art,

auch für nukleare Waffen, zur freien Verfügung zu überlassen, so müßte dasselbe doch sicherlich auch für das militärisch schwächere Frankreich gelten.

EUROPAIDEEI Man ist versucht, die EWG angesichts der fortschreitenden Konzernierung und Kartellisierung in ihrem Bereich ein EGK, eine Europäische Gemeinschaft der Kartelle, zu nennen. Nichts gegen den Europagedanken und gegen das 'geradezu heroische Bemühen, Gren- zfcn aufzuheben und Bastionen da zu schleifen, wo es dem Menschen nützt. Anderseits scheint aber die EWG immer mehr in die Hände der Grofjen zu kommen, die hinter den Monopolgebilden der Wirtschaft stehen. Die Hohe Behörde (der Montanunion) hat vor kurzem einen Konzentrationskoefflzienfen errechnet. Bei ihren Ermittlungen ging die Hohe Behörde so vor, daß sie fesfstellfe, wieviel die jeweils 20 größten Unternehmungen einer Branche von der Gesamtzahl der Beschäftigten umfassen. Ein Koeffizient von 1 stellt die höchstmögliche Konzentration dar. In diesem Fall würden alle- Beschäftigten einer Branche bei den untersuchten 20 Betrieben beschäftigt sein. Der Koeffizient, das Maß der Konzentration der Beschäftigten, ist am stärksten beim Bergbau, Ibei Eisen und Mte+all sowie Energie, erreicht etwa in den Niederlanden beim Bergbau 0,95 und bewegt sich jedenfalls im Durchschnitt in den verschiedenen Wirtschaffs zweigen um 0,8 herum. Man sagt, daß die Bildung einer Europäischen Gemeinschaft und eines Gemeinsamen Marktes notwendig die Aufgabe von staatlichen Souveränltätsrechten bedeute und ihre Uebertragung auf übernationale Behörden. Dabei meint man, wenn von Souveränität die Rede ist, vor allem politische Hoheits- rechfe. Bei näherem Zusehen aber erweist es sich, dafj die EWG im Wesen ein Superkartell zu werden beginnt. Die gegenseitigen Verflechtungen der Unternehmungen in der EWG, der Austausch von Eigenfumsanteilen, Lizenzen und Personal nimmt offensichtlich derartigen Umfang an, dafj wohl in einigen Wirtschaftszweigen in wenigen Jahren nur noch wenige die tatsächlichen Herren sein werden. Die neuen Grofjen aber bilden eine Art europäischen Hochadel, Adelshäuser und Adelshöfe, an denen schließlich auch die große Politik gemacht wird. Ist das wirklich die Europaidee?

ENGLXNDERTUM — das enthielt als eines seiner Elemente das ungeschriebene und gerade darum so dauerhafte Gesetz: Ich bin ein Brite, reise, wohin ich will. Ich bin ein Brife und lasse zu mir kommen, wer nach meiner Art zu leben wünscht. In einer solch klugen Philosophie konnte weder Rassendiskriminierung noch Trennung der Hautfarben Eingang finden. In der Taf, bis vor wenigen Monaten konnte England stolz darauf hinweisen, daß es rassische Probleme zwischen Farbigen und Weißen auf den britischen Inseln nicht gebe. London war im Worfsinn die internationalste, farbigste Sfadt und blieb doch die englischste. Noch vor wenigen Wochen ergab eine Umfrage unter den Farbigen des Commonwealth, daß die größte Mehrheit London allen anderen Weltstädten vorzöge: dort seien sie zu Hause, weil sie nicht „geduldet’, sondern mit echter Selbstverständlichkeit aufgenommen waren. Auf dieses Verhältnis fielen erstmals Schatten. Im September 1958 war es in einem von Farbigen bevölkerten Londoner Viertel zu Zusammenstößen gekommen. Die der Täterschaft überführten Halbstarken wurden, unter lautem Beifall der Oeffenf- lichkeit, zu schweren Strafen verurteilt. Mifte Mal forderte aber der latente Rassenkleinkrieg das erste Todesopfer. Teddy Boys (der englische Name für Halbstarke) erdolchten einen Neger. Die Bluttal erregte ungeheures Aufsehen und allgemeine Beunruhigung, zumal in Paris eine Bande Jugendlicher vier Negerstudenten überfielen und schwer verletzten, „während hunderte Menschen ruhig zusahen'. Diese früher undenkbaren Vorfälle sind eine ernste Warnung für die Behörden und zugleich ein ernstes Sympfom, weil sie sieh deutlich von den üblichen, durch heiße Musik und kalten Fruohtsaft ausgelösten Schlägereien unterscheiden: sie sind erstmals offene Ausbrüche des Rassenhasses. Niemandem sieht es aber an, empört-genüßlich nun mit dem erhobenen Zeigefinger auf London zu deuten. So bedauerlich die Fälle sind: daß sie die Macht haben, Grundsätze des weltoffenen Volkes zum Einsfurz zu bringen, das glauben wir nicht.

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