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Im Netz von Interpol

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Da war ein jai>a’nischer Bankier. Er versuchte, sein Institut um die stattliche Summe von 5,300.000 amerikanische Dollars zu preUen. Der Coup war ganz einfach inszeniert: Der Bankier arbeitete mit dem Leiter einer großen Handelsgesellschaft zusammen, der der Bank gefälschte Wechsel präsentierte. Sie wurden akzeptiert und dank der Abzeichnung duroh den betrügerischen Direktor belieben. Mit der geteilten Beute machten sich Bankier und Handelsagent davon.

Die beiden hatten nicht mit Interpol gerechnet. Nachdem die .japanische Kriminalpolizei die Spuren atifgenommen hatte, gingen die Fahndungsunterlagen in alle Welt. Es bekamen der Handelsmann in Hongkong und der Bankdirektor am Pariser Place Pigalle nicht lange Gelegenheit, das süße Leben in Nachtlokalen zu genießen. Schon nach drei Tagen saß der eine in der britischen Kronkolonie, der andere in der Seine-Metropole hinter Gittern.

Nun ist das für Interpol ein Fall zum Paradieren. Nicht jeder gibt so wenig Probleme auf. Es ging schon manche Jagd über Kontinente hinweg. Und es dauerte oft schon Jahre, bis die Verbindungen und Spuren eines Verbrecherrings aufgedeckt, die Beweise erbracht und die Täter dingfest gemacht waren. Es ist auch schon mancher Fall ungeklärt geblieben. Jedenfalls macht sich von Interpol und ihrer Arbeitsweise ein falsches Bild, wer an James Bond denkt und an Krimifahnder wie im Fernsehen, die unfehlbar sind in ihren Aktionen und Kombinationen, denen die halsbrecherischsten Kunststücke gelingen und die niemals danebenschießen.’

Nichts von dem. In dem modernen Bürogebäude in der Pariser Vorstadt Saint-Oloud bekommt es der Besucher fast durchwegs mit gestandenen, älteren Herren zu tun, die sich gemessen bewegen, sparsam und überlegt sprechen, die bedächtig in Akten blättern und im Vorzimmer keineswegs Supermädchen sitzen haben, sondern eben Sekretärinnen, wie sie zu einem seriösen Amt gehören. Immerhin ist man hier in der Zentrale der Weltpolizei. Der Besucher hat Gelegenheit, durch die Räume zu wandern, er sieht endlose Regale und Myriaden von Karteikästen, er sieht Computer und Funkanlagen und Labore — er kann sich bei den Erklärungen in etwa verstellen, wie die Dinge laufen, aber er wird sich nicht einbilden, hinter das letzte Geheimnis des Hauses gekommen zu sein.

Interpol verdankt ihre Entstehung in erster Linie der Initiative des Wiener Polizeipräsidenten Dr. Johannes Schober, der vom 3. bis 7. September 1923 Polizeifachleute aus Deutschland, Dänemark, Ägypten, Fraiücreich, Griechenland und

Ungarn nach Wien eingeladen hatte, um die Verbrechensbekämpfung international zu organisieren. Schon im April 1914 hatte Prinz Albert I. von Monaco eine Tagung höherer Polizeioffiziere an der Riviera ab- gehalten. Doch erst die Wiener Konferenz schuf die „Internationale kri- minalpolizeiliohe Kommission“ als ständige Organisation der polizeilichen Zusammenarbeit. Zum Sitz wurde Wien bestellt, und die leitenden Funktionäre waren Österreicher. Im Jahr 1938 beteiligten sich bereits 34 Länder an den Arbeiten der IKPK, der Tätigkeitsbereich beschränkte sich jedoch im wesentlichen auf Europa. Der Anschluß von Österreich an Hitler-Deutschland und der Krieg unterbrachen die Zusammenarbeit.

Während des Kriegs wurden die Unterlagen der Zentrale nach Berlin verschleppt und konnten nach dem Zusammenbruch Deutschlands nicht mehr autgefunden werden. 1946 waren es die Belgier, die den Gedanken der polizeilichen Zusammenarbeit wieder aufgriffen und eine Tagung nach Brüssel einberiefen. Dort wurden neue Statuten ausgearbeitet und der Sitz der IKPK nach Paris verlegt. Als sich das Generalsekretariat an der Seine niederließ, benötigte es eine Telegrammadresse. Man wählte die Vokabel „Interpol“, eine Zusammenziehung des englischen Ausdrucks „international police". Sehr schnell wurde daraus ein Markenzeichen und ein Bestandteil des Namens der Organisation: Internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol. 1949 verliehen die Vereinten Nationen Interp>61 eine beratende Funktion, außerdem wurde eine enge Zusammenarbeit mit dem Euioparat vereinbart.

Die Interpol sieht ihre Aufgabe in einer möglichst umfassenden Unterstützung aller kriminaapolizeilichen Behörden im Rahmen der in den einzelnen Ländern geltenden Gesetze. Weiter sollen aus aktuellen Erfahrungen laufend neue Methoden entwickelt und neue Einrichtungen geschaffen werden, um gemeine Verbrechen zu veriiüten und zu bekämpfen. Der Akzent liegt auf .gemeinen Veibrechen“. Denn jede Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters ist der Organisation untersagt. Daher können politische Terroraktionen, Akte von Luitpiraterie, Morde oder Geiselnahmen, die politischen Charakter tragen, nicht bearbeitet werden. Oft ist es hier schwierig, Grenzen zu ziehen, deim nicht selten werden Straftaten begangen, denen man ein ideologisches Mäntelchen umhängt, obwohl sie aus reiner Gewinnsucht vollführt wurden.

Ein Prinzip wird streng eingehal ten: Die staatliche Souveränität der Mitgliedsländer muß unter allen Umständen respektiert werden. So kann ein Mitglied des Generalsekretariats oder der Beamte eines. Nationalen Zentralbüros in einem anderen Staat keine Recherchen durchführen, Verhaftungen vornehmen oder sich direkt in die Arbeiten seiner Kollegen einmischen. Er darf nur konsultieren, eventuell koordinieren, und ist auf die Dienste der jeweiligen Länderpolizei angewiesen.

Das höchste Organ von Interpol ist die Generalversammlung, die einmal jährlich für eine Woche Zusammentritt. Ihre Beratungen erstrecken sich auf alle Fragen der inneren Angelegenheiten der Organisation und der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit. Des weiteren werden Vorschläge für Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung gemacht. Die letzte derartige Tagung fand vom 2. bis 9. Oktober 1973 in Wien statt, dieses Jahr wird sich das Gremium voraussichtlich in Atistralien treffen. Entscheidungen ynd Emi>fehlungen werden durch Abstimmung angenommen, wobei jedes Land eine Stimme hat Auch das Budget wird hier diskutiert für das man 1973 eine Summe von 5 Millionen Schweizer Franken vorsah. Damit gehören die Ausgaben von Interpol zu den bescheidensten, die eine internationale Organisation von solcher Bedeutung aufzuweisen hat Jedes Land kann selbst seinen Anteil gemäß den elf Stufen der Haushaltseinheiten bestimmen, wobei die Einheit 4850 Schweizer Franken beträgt. Es versteht sich, daß Industrienationen wie die Bundesrepublik, Frankreich und die Vereinigten Staaten bis zu 60 solcher Einheiten übernehmen, wäh rend ein afrikanisches Entwicklungsland vielleicht auf eine oder zwei kommt.

Die Generalversammlung wählt ein Exekutivkomitee, das sich aus dem Präsidenten, drei Vizepräsidenten und neun Delegierten zusammensetzt. Um eine angemessene geographische VerteUung zu gewährleisten, wurde 1964 ein Gentleman Agreement getroffen, nach dem drei Afrikaner, drei Amerikaner, drei Asiaten und vier Europäer in diesem Gremium sitzen. Der Generalsekretär ist seit 1946 stets ein Franzose gewesen, seit 1963 ist es Jean Nepote.

Die fachlichen Arbeiten von Interpol werden von zwei ständigen Einrichtungen übernommen: dem

Generalsekretariat und den Nationalen Zentralbüros. Das Nationale Zentralbüro ist eine Dienststelle, von den staatiichen Behörden dazu bestimmt, im Rahmen der Interpol auf nationaler Ebene die Aufgabe einer ständigen Verbindungs- und Zentralstelle für alle Probleme der internationalen kriminalpolizeilichen Zusammenarbeit zu erfüllen. Die ersten Nationalen Zentralbüros entstanden bereits 1927, ihre offizielle Existenz wurde jedoch erst 1956 bestätigt.

Das NZB ist gewissermaßen das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der nationalen Polizeibehörden. Es handelt sich um ein offizielles Organ, das umfassende Zuständigkeiten besitzt und jederzeit polizeiliche Maßnahmen auiSlösen kann. Fast immer sind die Nationalen Zentralbüros die obersten staatlichen Polizeibehörden oder die Zentralstellen der KriminalpolizeL NZB-Interpol unterliegt den Gesetzen des jeweiligen Landes. Es hat die Aufgabe, Auskünfte zu erteilen, Fahndungen, Mentifizienmgen und Festnahmen durchzuführen. Seine Beamte sind hochuqalifizierte Experten, die zudem sprachlich geschult wurden. Die Schlagkraft der Interpol beruht wesentUoh auf den Möglichkeiten dieser Büros, schnell einzugreifen und die Mitwirkung der eigenen Dienststellen, z. B. der Staatsanwaltschaften, zu erlangen. Die NZBs haben völlig freie Hand, untereinander direkte Verbindungen zu suchen. Sie sollen jedoch engen Kontakt zum Generalsekretariat halten.

Das Generalsekretariat ist das Herz, oder besser gesagt: das Gehirn von Interpol. 1973 waren 126 Bedienstete aus zwölf Nationen ln diesem Amt tätig. Die Leute werden teilweise von den nationalen Polizeidienststellen abkommandiert oder direkt rekrutiert. Fünf Beamtengruppen des Amts studieren laufend bestimmte Deliktsbereiche. Sie leisten, wenn man will, eine Art Stabsarbeit. Ihre Tätigkeit stützt sich auf eine ständig umfangreicher werdende Unterlagensammlung über Rechtsbrecher und deren Verhalten. In zwei Zentralregistem werden Personalien und Charakteristiken von Mördern, Einbrechern, Räubern, Zuhältern, Drogenhändlern usw. festgehalten. Spezialkarteien beispielsweise für Sohiffsnamen, Zulassungskennzeichen für Kraftfahrzeuge, Paßnummem usw. unterstützen zusätzlich Fahndungen, die manchmal über ganze Kontinente gehen.

Das Generalsekretariat ist gleichzeitig zentrale Informations- und Forsohungsstelle für alle die Polizei betreffenden rechtlichen und fach lichen Fragen. So wurden eingehende Berichte über den Besitz, das Führen imd die Eigenheiten von Schußwaffentypen ausgearbeitet; Häufig dient auch die Schreibmaschine als Werkzeug bei der Begehung von Straftaten. Da der Schreibmaschinenmarkt international ist, kam es auch hier auf eine Erfassung an. Ein Fachausschuß wurde bea’uftragt, eine intCTnationale Klassifizierungsmethode für Schreibmaschinen gemäß ihrer Schriften zu finden. Ähnliches gilt für Kraftfahrzeuge.

Auch hinsichtlich der Herstellung und Verbreitung von Täterporträts wurde wertvolle Arbeit geleistet; Ob es sich um die Sammlung und Ausdeutung von Indizien oder von Personenbeschreibungen handelt, die Kriminaltechnik ist im Laufe der Jahre in verblüffender Weise verfeinert worden. Der Laie und wohl auch nicht die Masse der Verbrecher können sich kaum ein Bild machen, welche Vielzahl von Hilfsmitteln der modernen Polizei bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen.

Die rasante Entwicklung des Flugverkehrs gestattet es heute den Kriminellen, in wenigen Stunden mehrere Grenzen zwischen sich und den Tatort zu lagen. Es. ist daher für Interpol wichtig, den Flüchtigen möglichst auf den Fersen zu bleiben. 1970 bis 1973 entstand die zentrale Funkstation 130 Kilometer .südlich der französischen Hauptstadt. Das eigene Funknetz, dem 51 Nationale Zentralbüros in allen Kontinenten angeschlossen sind, ermöglicht es, in kürzester Zeit auch Fingerabdrücke oder Bilder in alle Welt zu senden. Durch die Verwendung von Coden werden Sprachschwierigkeiten ausgeschaltet. Jeder versteht den anderen. Für die Nachrichtenübermittlung wurden Dringlichkeitsstufen geschaffen, bei einer sogenannten XD-Mittellung wird der gesamte übrige Funkverkehr lahmgelegt.

Der Kampf gegen den illegalen Rauschgifthandel steht bei Interpol an erster Stelle. Wenn man den Tätigkeitsbericht für den letzten Wiener Kongreß betrachtet, stellt man fest, daß von den 22.733 behandelten Fällen eines Jahres 14.194 mit dem Drogenhandel zusammen- hinigsn, gegenüber nur 3630 Fälschungen oder 2195 Betrügereien. Interpol entwickelte den sogenannten SEPAT-Plan, der ausschließlich der Bekämpfung des Rauschgifthandels gilt. Europa wurde entsprechend der Verbreoheraktävitäten in drei’ Zonen aufgeteilt. Deutschland, Italien und Schweden stellten dem Generalsekretariat Polizeioffiziere zur Verfügung, die systematisch beobachten, studieren, fahnden und die Lücken in der polizeilichen Zusammenarbeit aufspüren.

Es liegt in der Natur der Sache, daß es bei Interpol wesentlich auf Flexibilität, auf rasches Umschalten und Umdenken ankommt. Das „Genie der Verbecher“ stellt die Mannschaft Immerzu vor neue Rätsel und Situationen. Es gibt bewährte Arbeitsweisen mit Dutzenden von Varianten die x-mal schon zum Ziel führten, aber die Beamten wären am Ende ihres Lateins, würden sie ihren Dienst als Routinesache ansehen. Erfahrung ist wichtig, dazu müssen aber Intelligenz und Phantasie kommen — die Fähigkeit, die Planung und Arbeitsweise eines Verbrechers gedanklich nachzuvollziehen.

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