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Prag schafft neues Recht

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Am gleichen Tag und in der gleichen Sitzung, da die Prager Regierung die Kreisordnung beriet, stimmte sie auch einem Gesetzesvorschlag über die Einheitissteuer zu und schon der folgende Tag brachte eine mindestens ebenso revolutionäre Neuerung auf dem Gebiet der Justiz: die Eröffnung der Arbeiterrechtsschule, die in einjährigen Lehrgängen Arbeiter zu Richtern und Staatsanwälten heranbilden wird.

Diese Einrichtung, die im ersten’ Jahrgang 80 Schüler zählt, die den Lohn ihres bisherigen Arbeitsplatzes weiterbeziehen, soll, nach den Worten des Justizministers Cepicka dazu dienen, die Klassenjustiz der ‘ Bourgeoisie zu brechen und die Jüstiz Volks- a tümlich zu machen. Aufmunternd hat das Beispiel Polens gewirkt, wo man angeblich hervorragende Erfahrungen mit den Arbeiterrichtern gemacht hat. Der Minister, wies die Schüler insbesondere auf den schweren Wettkampf hin, der ihnen mit den Berufsrichtern bevorstehen wird und in dem es gilt, sich durchzusetzen. In Begrüßungstelegrammen an den Staatspräsidenten, an den Sekretär der Kommunistischen Partei sowie an die Direktorin der polnischen Schwesteranstalt in Breslau betonten die Schüler, daß sie sich der Auszeichnung, die ersten Volksrichter der Tschechoslowakei zu werden, würdig zeigen werden.

Die Kreisordnung schafft die historischen Länder ab. An die Stelle Böhmens, Mähren-Schlesiens und der Slowakei — Karpathenrußland mußte schon 1945 Rußland überlassen werden — treten ab 1. Jänner 1949 1 9 K r e i s e; ihre Hauptstädte sind: Prag, Böhmisch-Budweis, Pilsen, Karlsbad, Aussig, Reichenberg, Königgrätz, Pardubitz, Iglau, Brünn, Olmütz, Gott- waldov (das kürzlich umbenannte Zlin), Ostrau, Preßburg, Neutra, Neusohl, Sillein, Kaschau und Preschov (Eperjes). Der Flächeninhalt dieser neuen Kreise — die sich weder mit den historischen Kreisen Böhmens, wie sie bis 1862 bestanden, noch mit den im Jahre 1920 geplanten Gauen decken — schwankt zwischen 4000 Quadratkilometer (Aussig) und 9500 Quadratkilometer (Prag), sie sind also kleiner als der Durchschnitt der österreichischen Bundesländer; ihre Einwohnerzahl beträgt durchschnittlich eine halbe Million, die wenigsten Bewohner zählt der Kreis Karlsbad (der sich im wesentlichen mit dem Regierungsbezirk Karlsbad der nationalsozialistischen Ära deckt), am meisten wiederum Prag, nämlich über zwei Millionen.

Die Kreisordnung schafft nicht nur eine neue Gebietseinteilung, sondern bringt auch wesentliche Änderungen im Gefüge der Verwaltungsorganisation mit sich. Wie in der Weimarer Republik der Gegensatz Reich- Preußen zu ständigen Konflikten führte, s-o waren auch die großen Länder, insbesondere aber Böhmen mit seinen 52.000 Quadratkilometern und 6V2 Millionen Einwohnern für die Prager Ministerien ein allzu mächtiges Gegengewicht. Es ist also wohl nur bedingt richtig, wenn behauptet wird, daß die neue Verwaltungseinteilung eine Dezentralisierung zur Folge haben wird —• gerade das Gegenteil dürfte der Fall sein, zumal jede Form der Selbstverwaltung — gebietliche jWie wirtschaftliche — in Wegfall ko mmt. .Übrigens stellt die Liquidierung, der Länder, beziehungsweise der Landesnationalausschüsse, wie ihre obersten Behörden eit dem Jahre 1945 heißen, die damit beauftragten Ministerien vor schwierige Probleme, zu deren Lösung umfangreiche Übergängsvorschriften erlassen werden mußten; so müssen insbesondere die Pensionen der zahlreichen Landesbeamten von nun an vom Staat getragen werden. In der Slowakei fallen die 1945 get schaffenen Dienststellen der „Beauftragten”, Filialen der Prager Ministerien in Preßburg, der Auflösung zum Opfer.

Die Kompetenz der Landes- nationalausschüss e, beziehungsweise „Beauftragten” wird nun auf die mit 1. Jänner 1949 errichteten Kreisnationalausschüsse verlagert, die. aus 36 bis .72 ernannten Mitgliedern — eine Wahl ist für später in Aussicht genommen — bestehen. Ihre laufende Verwaltung besorgt der Kreisrat, der aber auch nur ausnahmsweise al Kollegium in Erscheinung tritt. In der Regel treffen die einzelnen Fachreferenten, die gleichfalls-in Hinkunft gewählt werden sollen und in ihrer Gesamtheit den „Rat”: bilden, die Entscheidung. Vorläufig gibt es in jedem Kreis nur drei Referenten, nämlich für innere Angelegenheiten, für nationale Sicherheit (Polizei) und. für Planung; bis zum 31. März 1949, dem Tag der endgültigen Liquidierung der Landesnationalausschüsse, werden jedoch sämtliche Funktionen dieser Behörden übernommen sein.

Für die zahlreichen Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten der Länder bedarf es keiner Überleitungsregelung: sie sind bereits verstaatlicht, so daß die Erbschaft, die die Kreise anzutreten berufen sind, nicht überwältigend sein dürfte. Über die räumliche Unterbringung der Kreisämter zerbrechen sich bereits Sonderbevollmächtigte des Innenministeriums für jeden einzelnen Kreis ihre Köpfe: in Pilsen und Gottwaldov erwartet man eine entscheidende Hilfe von den dortigen „Nationalen Betrieben”, also den Skoda-, beziehungsweise Bata-Werken, Einen weiteren Schritt auf dem Weg zur „Einheit der Verwaltung” stellt schließlich die Auflösung der Handels- und Gewerbekammern dar, deren Aufgabe in Hinkunft gleichfalls von den Kreisnationalausschüssen wahrgenommen wird. Die Kreisnationalausschüsse sind nämlich bereits in der: Maiverfassung als totalitäre Verwaltungsbehörden vorgesehen, die nicht nur die schon bisher zum Wirkungskreis der Bezirks- und Landesbehörden gehörenden Agenden wahrzünehmen haben, sondern für alle Verwaltungsaufgaben schlechthin, soweit sie in ihr Gebiet fallen, zuständig sind, also zum Beispiel auch für die Arbeits- oder Steuerverwaltung. Aufgelasseh werden dahef die Arbeitsämter, die 1945 in „Arbeitsschutzämter” ümbenannt worden waren, sowie die 1919 verselbständigte Finanzverwaltung. Während die Kompetenz der bisherigen Bezirksfinanzdirektionen, Steuerämter, Zollämter, Gefällskontrollämter und Katastralvermessungsämter auf die Bezirksnationalausschüsse übergeht, werden die Kreisnationalausschüsse die Aufgaben der bisherigen Finanzlandesdirektionen übernehmen.

Die grundsätzliche Kompetenzerweiterung gilt also nicht nur für die Kreisnationaläus- schüsse, sondern sinngemäß auch für die Bezirksnationalausschüsse; auch .hier, in der untersten Instanz, ist in Hinkunft die bisherige Doppelgeleisigkeit Staatsverwaltung- Selbstverwaltung beseitigt. Sie üben in ihrem Bereich gleichfalls die ganze öffentliche Gewalt aus. Postminister Neumann hat ihren Umfang kürzlich in einer Rede folgendermaßen umrissen: „Die Nationalausschüsse sind die Hüter der Demokratie und Verfassung, sie sorgen für die Sicherheit und wirken bei der Staatsverteidigung mit, sie arbeiten den Wirtschaftsplan aus, gewährleisten die laufende Produktion in der Landwirtschaft wie im Handwerk und in der Industrie, kümmern sich um die Abwicklung des Verkehrs, garantieren die Versorgung der Bevölkerung, organisieren das Bauwesen, mobilisieren die Arbeitskräfte, regeln den Arbeitsmarkt und sichern die Finanzmittel des Staates; Volksgesundheit, Erziehung, Volksbildung und Kultur sind ihre weiteren Aufgabengebiete; sie sind es schließlich auch, die die Volksrichter bestellen.”

Nicht nur die Finanzverwaltung erfuhr, eine Umorganisation, auch das bisherige Steuerrecht wurde durch die Einführung der „allgemeinen” Steuer einschneidend geändert. Diese neue Steuer tritt an die Stelle der bisherigen Umsatz-, Luxus-, Verkehrs- und Fahrkartensteuer, des Rechnungsstempels und überhaupt aller indirekte® Steuern. Sie soll das Rückgrat des neueh Steuersystems bilden und ist nicht nur als fiskalische Maßnahme gedacht, sondern wind gleichzeitig ein wichtiges Mittel der Wirtschaftsplanung darstellen —, eine Art Gewinnabschöpfung. Auch die Art ihrer Einhebung ist eine Neuerung; sie wird nicht vorgeschrieben, sondern vom Steuerzahler selbst. errechnet, wobei den Betriebsräten eine wichtige Kontrollfunktion zufällt. Schließlich ist die Koppelung von Steuer- und Preispolitik beachtlich: die Festsetzung der Steuersätze durch den Finanzminister kommt praktisch einer amtlichen Preisfestsetzung mit allen ihren marktregelnden Funktionen . gleich.

Die bisherigen, auf die direkten Steuern beschränkt gebliebenen Steuerreformen der neuen Regierung haben kein befriedigendes Ergebnis gezeitigt. Sie hat sich daher entschlossen, die für die Finanzierung des Fünf- Jahres-Planes erforderlichen Mittel durch . die indirekte Einheitssteuer, die „allgemeine Steuer” zu beschaffen. Finanzminister Do- länskf hat dafür die Bezeichnung „Generalverbrauchssteuer” abgelehnt —, in der Tat ist die neue Steuer viel mehr: ein Regulativ des Verbrauchs wie der Produktion. Zugleich bedeutet sie aber eine wesentliche Vereinfachung bei der Einhebung, die durch weitgehende Pauschalierung noch gesteigert Werden soll.

„Wir müssen eine Reform und Reorganisation der öffentlichen Verwaltung auf der Basis der Kreisnationalausschüsse, durchführen, auf allen Gebieten eine neue Rechtsordnung im Sinne der neuen Verfassung einführen und darauf achten, daß der volksdemokratische Staatsapparat einen mächtigen Hebel für den sozialistischen Gesellschaftsumbau bildet”, hatte Staatspräsident Gottwald vor dem Zentralausschuß der KPČ erklärt und Innenminister Nosek hat seinen Plan einer Verwaltuhgsreform auf der Versammlung der Vertreter aller Nationalausschüsse in Kremsier entwickelt, um schon durch die Wahl dieses Ortes an die großen Reformen vor genau 100 Jahren zu erinnern, die hier ihren Ausgang genommen, die alte Feudalordnung beseitigt und durch eine neue, „bürgerliche” ersetzt haben. Jetzt hat man auch sie hinweggefegt.

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